Das Volk hätte mit 50,7 Prozent der Stimmen knapp Ja gesagt, doch wegen des Ständemehrs ist die Konzern-Initiative gescheitert. Mit dem Nein tritt nun automatisch der indirekte Gegenvorschlag in Kraft, den das Parlament nach langem Ringen erarbeitet hatte. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen, sondern wird wohl frühestens im April 2021 der Fall sein. Denn auch gegen den Gegenvorschlag könnte das Referendum ergriffen werden, weshalb die entsprechende Frist abgewartet werden muss.
Auch dann ändert sich für sehr viele Unternehmen erst einmal gar nichts. Neu werden Publikumsgesellschaften und grosse Finanzinstitute über ihre Aktivitäten im Ausland Bericht erstatten müssen – allerdings nur diejenigen, die mehr als 500 Mitarbeitende haben oder eine Bilanzsumme von über 20 Millionen Franken jährlich verzeichnen. Sorgfaltspflichten gibt es im Bereich Kinderarbeit und Konfliktmineralien, mit Ausnahmen bei Kinderarbeit für die KMU.
Annäherung an EU-Regeln
Dieser Gegenvorschlag ist im Kern nichts anderes als eine Annäherung an bestehendes Recht der EU. Seit 2016 gibt es auf dieser Ebene allgemeine Berichterstattungspflichten, was Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen Umweltstandards betrifft – das ist das international abgestimmte Vorgehen, das Justizministerin Karin Keller-Sutter im Abstimmungskampf gern betonte. In diversen EU-Mitgliedsländern sind noch weitere, unterschiedliche Konzernregeln in Kraft oder in Planung.
Der Ruf nach einem europäisch abgestimmten Regelwerk ist lauter geworden. Eine Anfang Jahr veröffentlichte Evaluation im Auftrag der EU ist zum Schluss gekommen, dass der Status quo unbefriedigend ist. Die Wirkung der Berichterstattung ist miserabel, die Pflichten werden schlecht eingehalten und es gebe zu wenig Monitoring und zu wenige Kontrollinstanzen. Dazu kommt, dass national unterschiedliche Regelungen für die Unternehmen auch eine erhebliche Rechtsunsicherheit bedeuten – weil sie dann selbst kaum mehr wissen, was denn ihre Berichte alles abdecken müssen.
Gesetzesvorschlag in Arbeit
Die EU-Justizkommission will nun einen Gesetzgebungsvorschlag für ein sogenanntes Lieferkettengesetz erarbeiten. Erwartet wird dieser im Frühsommer. Wie er aussieht, ist aber noch offen. Ein Knackpunkt ist – wie auch beim Streit über die Konzern-Initiative in der Schweiz –, ob und welche Haftungsregeln nötig sind und inwiefern auch für KMU neue Regeln gelten sollen. Ein bisschen Einblick in die Pläne gibt das Konsultationsverfahren, mit dem die Kommission Meinungen zum künftigen Gesetz einholt. Etwa bei den KMU: Da geht die Kommission so weit, danach zu fragen, ob es gar nur für Mikrounternehmen mit zehn oder weniger Angestellten Ausnahmen geben soll.
Spannend wird auch sein, wie weit Unternehmen künftig möglichen Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden vorbeugen müssen. Gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS schliesst der zuständige EU-Justizkommissar Didier Reynders (62) Haftungsregeln nicht aus und redet gar von einer Sorgfaltspflicht für die gesamte Wertschöpfungskette – was weiter gehen würde als die Konzernverantwortungs-Initiative. Reynders betont dabei, dass Unternehmen «nur für das, was sie auch wirklich kontrollieren können», verantwortlich gemacht werden können.
Was für Regeln auch kommen: Bis der Vorschlag steht und ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wird, kann es noch dauern – bekanntlich mahlen die Mühlen in der EU langsam. Doch einen Entscheid für strengere Regeln könnte die Schweiz kaum ignorieren. Sonst wäre sie nämlich das schwarze Schaf, das es mit Menschenrechten und Umweltstandards nicht so ernst nimmt. Dazu kommt, dass die Schweizer Wirtschaft eng mit dem europäischen Binnenmarkt verbandelt ist. Der Druck nachzuziehen wäre gross – auf politischer und wirtschaftlicher Ebene.