Jetzt sind wir wieder öfters krank
Hatte das Immunsystem zu lange Pause?

Die Corona-Massnahmen hielten auch andere Viren in Schach, jetzt kehren Erreger wie die Grippe wieder zurück. Und treffen auf Immunsysteme, die womöglich zu lange geschont wurden.
Publiziert: 18.07.2021 um 13:51 Uhr
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Aktualisiert: 18.07.2021 um 15:55 Uhr
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Durch die Schutzmassnahmen wegen des Coronavirus hatte unser Immunsystem Pause.
Foto: Keystone

Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, haben laut Studien die besseren Abwehrkräfte. Denn die ständige Konfrontation mit Keimen trainiert das Immunsystem und verbessert damit die Abwehr.

Die letzten eineinhalb Jahre aber sind viele Kinder in erster Linie mit den Staubmilben im eigenen Haushalt konfrontiert worden. Die Massnahmen gegen Corona, von geschlossenen Schulen bis zur Maske, hielten auch andere Erreger in Schach.

Viren schlagen zurück

Doch der Alltag kehrt zurück, hierzulande, aber auch in Deutschland. Und dort erkranken Kinder – wie sonst nie im Sommer – gerade «reihenweise» an Atemwegsinfekten, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet. Nach monatelangem Abstandhalten und Maskentragen schlagen die Viren zurück.

Es könne sein, dass das Immunsystem während der Pandemie eine wichtige Lernphase verpasst habe, so die Zeitung. Während in der vorletzten Saison etwa 190'000 Grippe-Infektionen gezählt wurden, waren es 2020/2021 noch 564. Auch in der Schweiz hat die Grippe-Welle während Corona quasi nicht stattgefunden.

Kinder im Fokus

Sorgen macht das den Experten vor allem bei Kindern. Etwa beim Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV), einem Erreger, der kleine Kinder schwer krank machen kann. Im vergangenen Winter sei die Zahl der RSV-Infektionen um 90 Prozent zurückgegangen, berichtet Gesine Hansen, ärztliche Direktorin des Zentrums Kinderheilkunde und Jugendmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Man müsse damit rechnen, dass die sehr jungen Kinder, die den Infekt noch nicht hinter sich hätten, dies nun nachholen, so Hansen.

Die Pause für das Immunsystem muss aber nicht unbedingt nachteilig sein. Der deutsche Immunologe Carsten Watzl sieht auch Vorteile: Denn ein Immunsystem, dass sich weniger mit Keimen herumschlagen müsse, altere langsamer. Bei künftigen Erregern habe der Körper damit quasi mehr Reserven und Zellen die bereit seien, auf Neues zu reagieren.

Ungewisse Zukunft

Wie sich die Erfahrung der letzten Monate aber letztlich auswirken wird, wisse man schlicht nicht, sind sich die Experten einig. So sagt Kindermedizinerin Hansen: «Wir müssen abwarten, ob sich dies langfristig auswirkt oder ob diese verpassten frühen Erfahrungen des Immunsystems einfach später mit ähnlichem Lerneffekt aufgeholt werden können.»

Eines sei aber klar: Die Massnahmen gegen die Pandemie seien nötig gewesen, hält sie fest. Diese aber nun ewig aufrechtzuerhalten, sei allerdings auch nicht sinnvoll – sobald es die Pandemie erlaubt, «müssen wir wieder zum normalen Leben zurückkehren.»

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