Eine Stimme machte den Unterschied. Ausgerechnet Roger Köppel (57), SVP-Nationalrat und Präsident des «EU-No»-Komitees, fehlte vergangenen Juni, als der Nationalrat über einen umstrittenen europapolitischen Vorstoss abstimmte. Die grosse Kammer sagte hauchdünn Ja – wäre Köppel da gewesen, wäre der Vorstoss vom Tisch gewesen.
Dass eine Abstimmung so knapp ausgeht, passiert selten. Häufig sind aber Köppels Absenzen. Blick hat ausgewertet, welche Parlamentarierinnen und Parlamentarier seit den Wahlen 2019 am häufigsten im Rat fehlten. Wie bereits von 2015 bis 2019 ist Köppel der Schwänzer Nummer 1. Rund jede fünfte Abstimmung hat der «Weltwoche»-Chefredaktor im Nationalrat verpasst. In den vergangenen drei Jahren fehlte er an 21 Tagen unentschuldigt, was 13 Prozent der Sessionszeit entspricht.
GLP- und Mitte-Politiker fehlen am häufigsten
Sehr oft abwesend war auch Ex-BDP-Präsident Martin Landolt (54). Der Glarner verpasste 744 von 3925 Abstimmungen – fast so viele wie Köppel. Auf eine sehr hohe Absenzenquote von über 18 Prozent kommen zudem der Zürcher GLP-Nationalrat Martin Bäumle (58) und der Solothurner Mitte-Parlamentarier Stefan Müller-Altermatt (46).
Die Abstimmungsdisziplin ist besonders bei alteingesessenen Nationalräten und Nationalrätinnen geringer. Am höchsten ist die Absenzenquote bei GLP und Mitte, deren Parlamentarier durchschnittlich 5,2 beziehungsweise 4,8 Prozent der Abstimmungen verpassen. Die Grünen fehlen nur bei 2 Prozent.
«Eigentlich nicht vertretbar»
Schwänzer-König Köppel hat auf eine Anfrage von Blick nicht reagiert. 2019 hatte er die vielen Absenzen unter anderem mit seiner Arbeit für die «Weltwoche» begründet. Im Gegensatz zu einigen Fraktionsmitgliedern, die sich hinter vorgehaltener Hand über Köppels Abwesenheiten beschweren, sieht er selbst darin kein Problem. «Ich bin kein Araldite-Politiker, der zum Sitzungsgeldkassieren am Sessel klebt», sagte er 2019 zum SonntagsBlick.
Auch Martin Landolt bringt vor, die Arbeit eines Parlamentariers umfasse Wichtigeres, als den Abstimmungsknopf zu drücken – zum Beispiel die Kommissionsarbeit.
Die Auswertung des Abstimmungsverhaltens der Nationalrätinnen und Nationalräte basiert auf der Abstimmungsdatenbank des Parlaments. Berücksichtigt wurden sämtliche Abstimmungen während der ordentlichen Sessionen der laufenden Legislatur, also seit Winter 2019. Die vor kurzem zu Ende gegangene Wintersession 2022 konnte noch nicht miteinbezogen werden. Nationalrätinnen und Nationalräte, die weniger als vier Sessionen im Rat sind, sind von der Auswertung ausgenommen.
Die Auswertung des Abstimmungsverhaltens der Nationalrätinnen und Nationalräte basiert auf der Abstimmungsdatenbank des Parlaments. Berücksichtigt wurden sämtliche Abstimmungen während der ordentlichen Sessionen der laufenden Legislatur, also seit Winter 2019. Die vor kurzem zu Ende gegangene Wintersession 2022 konnte noch nicht miteinbezogen werden. Nationalrätinnen und Nationalräte, die weniger als vier Sessionen im Rat sind, sind von der Auswertung ausgenommen.
Selbstkritischer ist Mitte-Nationalrat Müller-Altermatt. Eine so hohe Absenzenquote wie seine sei «eigentlich nicht vertretbar», findet er. «Ich wäre noch so froh gewesen, sie wäre tiefer.» Wegen der Geburt seines fünften Kindes und Krankheitsfällen in der Familie sei es aber leider oft nicht möglich gewesen, mehr da zu sein.
Bei GLP-Kollege Bäumle ist derweil das Amt als Stadtrat in Dübendorf ZH Grund für die vielen Absenzen in Bern. «Es gibt Terminkollisionen – und dann muss ich priorisieren», sagt er. Zudem renne er nicht immer für eine Abstimmung in den Nationalratssaal, wenn er beispielsweise gerade mit Gästen eine Sitzung im Bundeshaus habe. Doch: «Geht es um zentrale Geschäfte oder könnte es knapp werden, gehe ich natürlich abstimmen.»
Wer bleibt am häufigsten unentschuldigt fern?
Man muss sagen: Eine Abstimmung ist schnell verpasst. Nicht selten stimmt der Nationalrat an einem Tag mehrere Dutzend Male ab. Übrigens: Wer an einem Tag gar nicht im Bundeshaus auftaucht, erhält auch das Sitzungsgeld von 440 Franken pro Tag nicht. Es sei denn, man ist entschuldigt – wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaftsurlaub.
Die Parlamentsdienste führen auch über diese ganztägigen Absenzen Buch. Nebst Köppel auf Rang 1 der Liste der unentschuldigten Schwänzer werden auch die Plätze 2 und 3 von Mitgliedern der SVP-Fraktion besetzt. Der Tessiner Lorenzo Quadri (48) und Yvette Estermann (55) aus Luzern fehlten je an elf Tagen unentschuldigt. Beide machen geltend, sie seien krank gewesen, hätten dies aber nicht gemeldet.
Gewisse Abstimmungen seien «Zeitverschwendung»
Im grossen Ganzen sind die Nationalrätinnen und Nationalräte aber sehr gewissenhaft. Fast drei Viertel der Nationalrätinnen und Nationalräte fehlten nie unentschuldigt. Im Ständerat sind es zwei Drittel. Mit zehn unentschuldigten Fehltagen führt der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser (61) die Absenzenliste im Stöckli an, gefolgt vom Thurgauer Jakob Stark (64, SVP) und dem Schwyzer Othmar Reichmuth (58, Mitte). Sie begründen das Fehlen mit beruflichen oder politischen Verpflichtungen. Noser sagt zudem, dass er ab und zu auf die Schlussabstimmungen jeweils am letzten Tag einer Session verzichte, weil er diese «Zeitverschwendung» finde.
Wie oft die Ständeräte tatsächlich am Pult sassen und abstimmten, konnte Blick nicht auswerten. Eine Abstimmungsstatistik wie für den Nationalrat gibt es nicht.
Keine einzige Abstimmung verpasst
Während einige Parlamentarier mit Absenzen glänzen, gibt es auch die Gewissenhaften. Eine Handvoll Nationalrätinnen und Nationalräte hat an weniger als 10 der 3925 Abstimmungen, die bei der Auswertung berücksichtigt worden sind, nicht teilgenommen.
Ein Nationalrat hat in den vergangenen drei Jahren sogar keine einzige Abstimmung verpasst: der SVPler David Zuberbühler (43) aus Appenzell-Ausserrhoden. Er nehme seinen Job sehr ernst, sagt er dazu. «Das Abstimmen gehört zu den wichtigsten Aufgaben von uns Politikern.»