Anders als bei vorangegangenen Abstimmungen kann Pierre-Yves Maillard (56) bei der Gesundheitsreform Efas nicht auf eine geeinigte Linke zählen. Die Grünen haben für die Abstimmung über das Krankenversicherungsgesetz am 24. November Stimmfreigabe beschlossen. Und die SP-Kantonalverbände Graubünden, Aargau und Basel-Landschaft wollen ein Ja einlegen – anders als die nationale Partei. Grund genug für ein Gespräch mit dem mächtigen Gewerkschaftsboss und SP-Ständerat, in dem er erstmals seit langem zum EU-Dossier Stellung nimmt.
Herr Maillard, welche Note geben Sie Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider?
Ich war zwar früher Lehrer, aber an Bundesräte vergebe ich keine Noten. Ich respektiere Frau Baume-Schneider, auch wenn wir beim Thema Efas anderer Meinung sind.
Die Bundesrätin verspricht: Efas beseitigt Fehlanreize im Gesundheitssystem …
Efas ändert nichts an der zentralen Frage, wer wie viel abrechnen darf. Damit wird kein Fehlanreiz aufgelöst. Es handelt sich primär um eine Verschiebung der Verwaltung von 13 Milliarden Steuergeldern von den Kantonen zu den Krankenkassen. Die Efas-Idee stammt übrigens aus der Versicherungslobby. Alain Berset und Elisabeth Baume-Schneider haben versucht, sie weniger schlimm zu machen. Trotzdem ist Efas ein Murks.
Wie meinen Sie das?
Seit Jahrzehnten haben alle Gesundheitsreformen die Macht der Lobbyisten verstärkt und damit die Kosten für Bürgerinnen und Bürger erhöht. Das geht mit Efas weiter. Der Bundesrat sagt selbst, dass Efas zu höheren Prämien führt: in Basel um 3 Prozent, in Bern um 1,9 Prozent und in Zürich um 1,6 Prozent. Mit der Einführung der Langzeitpflege im System werden die Prämien noch stärker steigen und die demokratische Kontrolle wird abnehmen.
Wenn die kantonale Gesundheitspolitik so gut funktioniert – weshalb gibt es an kantonalen Spitälern so viele Skandale? Und warum steigen die Prämien ständig?
Weil die letzte Reform der Spitalfinanzierung die Verantwortung der Kantone über die Spitäler geschwächt hat. Efas erweitert diese Politik auf die Altersheime und die Spitex.
Warum hat die Mehrheit der SP im Parlament dann für Efas gestimmt?
In den Kantonen gibt es viele SVP-Gesundheitsdirektoren. Einige in der SP trauen ihnen nicht und hoffen, dass eine nationale Lösung besser wäre. Doch immer, wenn man Macht von den Kantonen zum Bund verlagert, gewinnen am Ende die Lobbyisten in Bern. Von der neuen Spitalfinanzierung profitieren nicht die Prämienzahler und die Spitäler, sondern die Krankenkassen und die Privatkliniken.
Auch die Hausärzte sind für Efas. Travailsuisse und der Pflegepersonalverband haben Stimmfreigabe beschlossen. Sind die alle blind?
Wissen Sie, was unglaublich ist? 2025 werden wir insgesamt etwa 7 Milliarden mehr Prämien bezahlen als noch 2022. Wir bräuchten dringend mehr Kinderärzte oder Hausärzte – doch die 7 Milliarden werden dieses Problem nicht lösen, weil die sogenannten Tarifpartner das Geld schlecht verwalten.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Wir müssen zum Beispiel die Anzahl von Tarifpunkten pro Arzt pro Tag begrenzen. Auch der Tag eines Arztes hat nur 24 Stunden – Spezialisten sollten nicht 27 Stunden verrechnen dürfen! Es muss mehr Transparenz geben. Und Ärzte, die zu viel abrechnen, müssen gebremst werden. Das wollen die Tarifpartner aber nicht mitmachen.
Sprechen wir noch über das Europa-Dossier. Bundesrat Beat Jans äussert sich häufig zum Thema Europa, kritisiert aber nie die Gewerkschaften. Haben Sie mit Jans einen Deal gemacht?
Nein, da gibt es keinen Deal. Vielleicht weiss Bundesrat Jans aber, dass die Gewerkschaften nicht das Problem sind.
Wie bitte? Sie bremsen doch ebenfalls beim EU-Dossier …
Unsere Position ist seit Jahren bekannt. Wir fordern Sicherheit beim Lohnschutz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Und wir akzeptieren nicht, dass Elektrizität und Bahn liberalisiert werden sollen. Jeder in Europa weiss, dass der Schienenverkehr in der Schweiz funktioniert.
Was halten Sie von den Milliardären hinter der EU-kritischen Initiative Kompass Europa?
Auch bei den EU-Befürwortern dürfte es Milliardäre geben. FDP-Nationalrat Simon Michel ist jedenfalls nicht arm (lacht). Wir haben mit allen Kontakt, definieren unsere Position aber selbständig.
Wenn die Verhandlungen mit Brüssel aber nicht im Sinne der Gewerkschaften ausfallen: Machen Sie dann mit Kompass Europa gemeinsame Sache?
Nein. Wenn ein schlechtes Resultat vors Volk kommt, machen wir, wie immer, unsere eigene Kampagne.
Der Bundesrat lädt Sie regelmässig zu Besprechungen über das EU-Dossier ein. Kommen Sie bei diesem sogenannten «Sounding Board» weiter?
Es gibt in diesen Sitzungen keine Verhandlungen. Das Sounding Board dient dem Informationsfluss. Ich habe aber noch nichts gehört, was mich zufriedenstellt. Mir fehlt die Zusicherung, dass Errungenschaften für die Schweizer Arbeitnehmer und unseren Service public nicht infrage gestellt werden.
Die Bilateralen III sind also bereits gescheitert?
Nein, aus meiner Sicht ist das EU-Thema noch offen. Allerdings werden wir in unseren Kernanliegen nicht nachgeben. Wir haben viele Vorschläge gemacht, wie mit Brüssel eine Lösung zu finden wäre. Im Gegensatz zur SVP lehnen wir das Abkommen nicht pauschal ab – der Bundesrat und Brüssel sollten diese Chance nutzen.
Wie bewerten Sie die Zurückhaltung von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter im EU-Dossier?
Wir kennen nur die Haltung des Gesamtbundesrats. Und wir haben das Gefühl, er möchte diesmal die Verantwortung ans Parlament delegieren. Das Problem ist, dass die Parteien immer an die nächsten Wahlen denken. Das Risiko, ein Prozent der Stimmen zu verlieren, wird höher bewertet als die Aussicht auf eine Lösung beim schwierigen EU-Dossier.
Pierre-Yves Maillard (56) stammt aus Lausanne VD. Er war Lehrer für Französisch, Geschichte und Geografie, langjähriger Staatsrat für Gesundheit im Kanton Waadt und ist seit 2018 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Seit 2023 ist Maillard Ständerat.
Pierre-Yves Maillard (56) stammt aus Lausanne VD. Er war Lehrer für Französisch, Geschichte und Geografie, langjähriger Staatsrat für Gesundheit im Kanton Waadt und ist seit 2018 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Seit 2023 ist Maillard Ständerat.