Inhaltliche Debatten fehlen
So gaga ist der Wahlkampf

Eine Politikerin wollte einen inhaltlichen Wahlkampf führen, doch Experten haben ihr davon abgeraten. Stattdessen wurde ihr empfohlen, einfach wandern zu gehen. Ein exemplarischer Fall für den Schweizer Stimmenfang.
Publiziert: 07.10.2023 um 16:24 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2023 um 09:57 Uhr
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Die Politiker machen im Wahlkampf alles – ausser über Inhalte debattieren.
Foto: keystone-sda.ch
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Robin BäniRedaktor

Es ist Wahlkampf und was machen die Politiker? Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (56) geht mit Lamas spazieren. SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen (44) gibt eine Yoga-Lektion. Und SVP-Nationalrat Martin Haab (61) kurvt im Käse-Mobil herum. Sein Motto: Statt Käse zu reden, ihn verteilen.

Dabei fehlt es ausgerechnet am Reden – über Politik. Kreative Aktionen gehören zum Wahlkampf. Doch eine Politikerin erzählt, wie ihr Profis dringend davon abgeraten hätten, inhaltlichen Wahlkampf zu betreiben. Es sei besser, sie gehe einfach wandern.

Tatsächlich gibt es diesen Herbst kaum grosse Debatten. Die SVP schreit «Zuwanderung», die FDP «Wirtschaftsschwäche», die Mitte «Gesundheitskosten», die SP «Kaufkraft» und die Grünen «Klimawandel». Jedes Schlagwort steht für das drängendste Problem der Schweiz – aus Sicht der jeweiligen Partei.

Aber eine Auseinandersetzung findet nicht statt: Jede Partei habe sich in ein Thema verbissen, sagt Politgeograf Michael Hermann (52). Für den Leiter des Forschungsinstituts Sotomo gibt es «keine politischen Duelle, in denen das bessere Argument zählt». Statt auf die Themen der anderen einzugehen, blieben alle in ihren Silos. «Das ist Gesprächsverweigerung im Wahlkampf.»

SVP hat Debatte aufgemischt

Doch bereits im Kalten Krieg war es so, als das Polit-Kartell FDP, CVP und SP regierte. Diese Parteien waren so dominant, dass sie nicht um Stimmen kämpfen mussten. In den 90er-Jahren änderte sich das, weil die SVP und die EU-Frage aufkamen. Doch mittlerweile hat sich die Parteienlandschaft wieder grösstenteils gefestigt. Was zur Folge hat, dass die Parteien im Wahlkampf vor allem ihre eigenen Themen bewirtschaften.

Hermann schränkt aber ein, dass das bei nationalen Abstimmungen anders sei. «Da greifen sich die Parteien an und ringen um ein Thema», sagt er. Zudem gebe es in den politischen Kommissionen einen Diskurs auf hohem Niveau – doch dieser findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wenden sich die Parlamentarier an die Bevölkerung, um Stimmen zu fangen, ändert sich das. «Dann reden die Politiker aneinander vorbei.»

Keine Schlacht auf fremdem Terrain

Ebenso sieht es Politanalyst Mark Balsiger (56). Für ihn steckt eine klare Strategie dahinter: In den letzten Monaten vor den Wahlen versuche jede Partei, ihre Mitglieder und Sympathisantinnen zu mobilisieren – und nicht neue Stimmbürger von sich zu überzeugen. «Das wäre vergebene Liebesmüh», sagt er.

Also hofft jede Partei, die eigenen Anhänger mit ihrem Kernthema an die Urne zu bringen. Und um der Gegnerschaft möglichst keine Plattform zu bieten, ignorieren die Kandidaten deren Argumente. Denn: «Die Parteien gewinnen keine Schlacht auf fremdem Terrain», erklärt Balsiger. Im Gegenteil: Würde sich beispielsweise die SP auf das Thema Zuwanderung einlassen, profitiert letztlich die SVP.

Es wäre im Sinne der Bevölkerung, über Themen intensiv zu diskutieren, statt nur oberflächlich. «Doch was bleibt, sind knallende Wahl-Botschaften ohne Tiefgang», sagt Balsiger.

Das Volk, ein Stimmvieh

Und: «Der politische Diskurs in der breiten Gesellschaft verarmt.» Eine differenzierte Meinungsbildung sei schwieriger, da auch die Medien finanziell und personell geschwächt seien. Das bedeutet: Die Bürgerinnen und Bürger treffen ihre Wahlentscheide aus Balsigers Sicht inzwischen schlechter informiert. «Schlimmstenfalls verkommt ein Teil des Volkes so zum Stimmvieh», sagt er. Gemeint sind Leute, die völlig uninformiert wählen.

«Als Staatsbürger bin ich besorgt», sagt Balsiger deshalb. Denn das seien schleichende Prozesse, ohne Big Bang, den alle bemerken. Zudem komme es zu einer Entfremdung. Es besteht die Gefahr, dass sich die Leute von der Politik abwenden. Teils, weil Politik für sie abstrakt und schwer verständlich sei.

Untersuchungen zeigen jedoch, dass eine sinkende Wahlbeteiligung allein gerade in der Schweiz noch kein Anlass zu grosser Besorgnis geben muss. Schliesslich können die Bürger hierzulande ihre Meinung auch bei Abstimmungen kundtun.

Positiv ist es dennoch nicht, wenn Politiker weiterhin Käse verteilen, statt sich den inhaltlichen Debatten zu stellen.

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