In einem vertraulichen Corona-Bericht kommen sie zu erstaunlichen Schlüssen
Kantone sind voll des Lobes – über sich selbst

Fazit aus der Corona-Krise: Sobald die Kantone am Ruder sind, klappt wenig. Das lässt nichts Gutes erwarten für den Herbst, wenn die Ansteckungen wohl wieder zunehmen. Die Kantone sehen das aber völlig anders. Ein vertraulicher Bericht zeigt: Nachbessern soll der Bund.
Publiziert: 31.03.2022 um 07:46 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2022 um 13:17 Uhr
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Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) unter der Leitung von Christian Rathgeb zieht ein positives Fazit nach zwei Jahren Corona.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Anfang Jahr urteilte der «Vater des Föderalismus»: «Die Schwäche vieler Kantonsregierungen zeigt sich derzeit sehr gut.» Die Kantone hätten Mühe, sich rasch an die extreme Dynamik der Pandemie anzupassen, befand der Berner Politologe Adrian Vatter (56). Ihnen fehle eine vorausschauende Planung und eine effiziente Krisenorganisation, erklärte er in einem Interview mit dem «Bund».

Diese Sicht deckt sich mit anderen Urteilen. Die Kantone waren nicht auf die Pandemie vorbereitet – und lernten wenig dazu. Mal funktionierte das Contact-Tracing nicht, dann ging es mit dem Impfen nicht vorwärts. An Schulen herrschte Testchaos, und mit griffigen Massnahmen warteten die Kantone so lange zu, bis die Spitäler übervoll waren. Es haperte eigentlich immer, wenn der Bund die Corona-Verantwortung an die Kantone abgab.

Nur anfangs Schwierigkeiten

Zu einem gänzlich anderen Schluss kommen die Kantone selbst. Im vertraulichen Entwurf zum Schlussbericht «Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie: Schlussfolgerungen und Empfehlungen» der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) klopfen sich die Regierungen gegenseitig auf die Schultern.

Sie räumen zwar ein, dass die erste Phase der Covid-Krise bis Herbst 2020 «durchzogen» gewesen sei. Aber dann sei alles wunderbar gelaufen. «Dank starker kantonaler und kommunaler Strukturen konnten die auf Bundesebene angeordneten Massnahmen in aller Regel rasch und wirksam umgesetzt werden», heisst es im Bericht, der Blick vorliegt. Blättert man durch die Zeitungen der letzten zwei Jahre, zeigt sich ein ganz anderes Bild.

Der Bund solls richten

Mit dem Fall der Maskenpflicht und dem Wegfall der Isolation tritt die Schweiz nun in eine entspanntere Corona-Phase. Doch schon im Herbst könnte die Situation erneut schwierig werden. Dann müssen die Kantone liefern. Der Bericht weckt aber Zweifel daran, dass sie dafür gewappnet sind.

Er vermittelt vielmehr den Eindruck, als wollten die Kantone ihre Fehler und Schwierigkeiten wegorganisieren, statt diese anzugehen. Sie machen sich zwar für Verbesserungen stark – aber für solche beim Bund.

Kantone wollen Zeit in der Krise

So moniert die KdK unter der Leitung des Bündner Regierungsrats Christian Rathgeb (52), die Kantone seien vom Bund zu wenig oder nur mit äusserst knappen Fristen angehört worden, dabei seien sie es ja, die die Massnahmen umsetzen müssten. Für die Zukunft verlangen sie daher mehr Zeit – was in einer Krise allerdings wenig realistisch ist. Zudem: Während die Kantone für ihre Stellungnahmen meist mehrere Tage zur Verfügung hatten, blieben den Bundesräten und ihren Departementen oft nur wenige Stunden. So gingen die Corona-Anträge häufig erst dienstags um 9 Uhr ein, 24 Stunden später musste die Landesregierung darüber entscheiden.

Die Kantone verlangen aber nicht nur mehr Zeit, sondern auch mehr Mitsprache. Dabei gelang es der KdK in der Corona-Krise selten, sich auf eine Meinung zu einigen. Die Kantone taten sich sogar auf regionaler Ebene schwer damit, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. So waren in einem Kanton die Beizen geschlossen, worauf die Bevölkerung einfach in den Nachbarkanton reiste, wo diese geöffnet waren.

Mehr Zeit, mehr Einfluss – auch das reicht den Kantonen noch nicht. Sie wollen auch mehr Geld, weil die Massnahmen, die der Bund angeordnet habe, zu hohen Kosten im Vollzug geführt hätten. Dabei trug der Bund sehr viele Kosten der Kantone, und er hat mit verschiedenen Corona-Hilfen auch die Wirtschaft breit unterstützt. Das alles hinterliess deutliche Spuren in der Rechnung des Bundes – während die Abschlüsse der Kantone positiver ausfallen als erwartet. Beispiel Bern: Dort schliesst die Jahresrechnung 2021 mit einem Defizit von 63 Millionen Franken ab. Erwartet worden war ein Fehlbetrag von 549 Millionen Franken.

Einzelne Kantone bewerten sich selbst

Auch wenn es sich um eine Analyse der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-Krise handelt, stellt sich die Frage, ob sich die Kantone unter dem Eindruck der letzten zwei Jahre nicht zu stark von der Corona-Pandemie haben einnehmen lassen. Denn der Schlussbericht fokussiert sehr auf den Pandemie-Fall, statt sich auch auf neue Krisen, beispielsweise Naturkatastrophen, vorzubereiten.

Konfrontiert mit den Vorwürfen, geht die KdK nicht darauf ein. Man habe stets dahingehend informiert, «dass wir keine Evaluation, also auch keine Bewertung des Krisenmanagements der einzelnen Kantone machen». Es sei Sache jedes Kantons, das eigene Krisenmanagement kritisch zu prüfen, was den Informationen der KdK zufolge auch gemacht werde.

Definitiver Bericht Mitte April

Die Kantonsregierungen hätten am Freitag im Rahmen der KdK-Plenarversammlung eine intensive Diskussion über ihre Schlussfolgerungen sowie allfällige Empfehlungen geführt, so die KdK. Man sei daran, den Schlussbericht entsprechend abzufassen. Der definitive Bericht soll Mitte April publiziert werden. Zu ganz anderen Schlüssen wird dieser wohl kaum gelangen.

Und egal, wie der Bericht letztlich daherkommt – die öffentliche Meinung übers kantonale Management ist längst gemacht. So zitierte die «Neue Zürcher Zeitung» im Dezember einen Journalisten, der die Situation im zweiten Pandemie-Winter in einer Pressekonferenz wie folgt zusammenfasste: «Zuerst kam der Bundesrat und sagte: ‹Kantone, ihr seid jetzt in der Verantwortung.› Dann kamen die Kantone und sagten: ‹Bundesrat, mach du mal.› Der Bundesrat setzte sich hin, machte Vorschläge und gab sie in die Schnellvernehmlassung. Und dann sagten teilweise die gleichen Kantone: ‹Ja, also so weit wollen wir nicht gehen.›» Gesundheitsminister Alain Berset (49) entgegnete hierauf trocken: «Sie haben das wirklich sehr schön zusammengefasst. Ich danke für die sehr präzise Zusammenfassung.»

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