Auf einen Blick
- Es gibt immer mehr Meldungen zu Kinderpornografie
- Polizei hat zu wenig Ressourcen für steigende Fallzahlen
- Mitte-Nationalrätin will Meldepflicht einführen
Die Ermittler unter Serdar Günal Rütsche geben sich im Netz als junge Mädchen aus und machen so Jagd auf Kinderschänder. Rütsche ist der höchste Cyberpolizist der Schweiz: Er leitet das nationale Cybercrime-Netzwerk (Nedik) und die Cybercrime-Abteilung der Kantonspolizei Zürich.
Tag für Tag durchforsten die Ermittler die Abgründe des Internets. Sie suchen etwa nach Tätern, die sich vernetzen, Kinderpornos tauschen oder in Chatforen den Kontakt mit Minderjährigen suchen. Auch Zusammenarbeit ist wichtig: Fahnder erhalten immer wieder Hinweise von anderen Schweizer Polizeistellen oder ausländischen Behörden.
Alles verdächtige Material, das die Ermittler im Internet ausfindig machen, muss das Team auch selbst auswerten, sagt Rütsche. «Ein grosser Teil davon ist legale Pornografie. Ein kleiner Teil der Bilder und Filme zeigt schreckliche bis abscheuliche Szenen.»
Kein Fischer kann alle Fische fangen
Aber kein Fischer könne alle Fische aus dem Ozean ziehen, sagt Rütsche. Genauso verhalte es sich mit verbotener Pornografie.
Die Zahl gemeldeter Fälle von verbotener Pornografie ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Das zeigen die Zahlen des Bundesamts für Polizei (Fedpol). 2023 sind 14'420 Meldungen eingegangen, doppelt so viele wie noch 2021.
Die Meldungen stammen vom Zentrum NCMEC aus den USA: Dort sind Internetprovider gesetzlich verpflichtet, verbotenes Material zu melden. Das Zentrum schickt die Verdachtsmeldungen dann in die Schweiz, wenn sie einen entsprechenden Bezug haben.
Verurteilungen steigen kaum an
In Zürich habe man auf diesen Anstieg reagiert, die Zusammenarbeit mit anderen Kantonen soll verbessert werden. Die Ermittler brauchten für ihre Arbeit Beharrlichkeit, sagt Rütsche. Und ein gut geschultes Auge. Sie müssten genau hinschauen, um abzuschätzen: Ist das verboten oder nicht? Sind diese jungen Menschen jünger als 16 Jahre?
Die Anstrengungen der Polizei reichen allerdings knapp, um dem dem rasanten Wachstum von Kinderpornografie hinterherzukommen. Während es im Vergleich zu 2021 vergangenes Jahr 7000 Meldungen mehr gab, ist die Anzahl der Verurteilungen fast nicht angestiegen.
Wie auf dem Spielplatz, so auch im Netz
«Grundsätzlich wissen wir: Die Polizei hat zu wenig Ressourcen, um dem Anstieg entgegenzuhalten», sagt Regula Bernhard Hug von Kinderschutz Schweiz. Einige Kantone stünden besser da als andere.
Hug sieht in der Schweiz eine Gesetzeslücke: Die Ermittlungen wären einfacher, wenn man mehr Anhaltspunkte hätte. So könnte man gezielter vorgehen. Sowohl in der EU als auch in den USA gilt für sogenannte Hoster, die Speicherplatz für Webseiten im Internet anbieten, eine Meldepflicht an die Behörden, wenn sie auf problematische Inhalte stossen. In der Schweiz gibt es keine solche Regel: Gesetzlich steht es den Hosting-Anbietern heute frei, ob sie solche Inhalte melden und sperren wollen.
Auch Rütsche sagt: «Wenn man verdächtige Inhalte im Netz feststellt, muss es dafür auch eine Meldepflicht geben. So wie es jeder auf dem Spielplatz machen würde, der eine Kindesmisshandlung beobachtet.» Diese soziale Kontrolle fehle momentan im Internet.
Die grossen Techplayer in den Vereinigten Staaten hätten diese Meldepflicht schon, darum erwartet Rütsche mit der gleichen Massnahme in der Schweiz auch nicht massiv mehr Meldungen. Aber immerhin: Es wäre eine Quelle mehr und das würde helfen.
Bundesrat geht das Problem gemächlich an
Auch in der Politik will man das Problem nun angehen. «Die Schweiz behandelt dieses Thema zu stiefmütterlich. Wir sind noch nicht dort, wo wir sein sollten», sagt Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach (64, FR). Sie hat in der vergangenen Session einen Vorstoss eingereicht, der verlangt, dass solche Hostingdienste verpflichtet werden, pädokriminelle Inhalte zu melden und zu sperren.
Der Bundesrat sieht ebenfalls Handlungsbedarf – aber geht das Problem gemächlicher an. Während die Meldepflicht für Hostingdienste in der EU schon Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, wollte der Bundesrat bis im Frühling eine Gesetzesvorlage erarbeitet.
Dieser Prozess verzögert sich allerdings: Wie die Zeitung «Le Temps» schrieb, sei die Vorlage nicht vor diesem Herbst abgeschlossen, die Rechtsfragen seien komplexer als ursprünglich angenommen. Nun schreibt das Bundesamt für Kommunikation auf Anfrage von Blick, man sei voraussichtlich vor Ende des Jahres so weit.
Diese Frist scheint also erneut später angesetzt. Bis das Gesetz in Vernehmlassung geht und vom Parlament verabschiedet wird, dürften noch Jahre vergehen. Und das kinderpornografische Material wird sich im Netz weiterhin verbreiten.