Für Emmanuel Macron (44) ist es eine bittere Niederlage. Der im April wiedergewählte Präsident wird verhandeln müssen, um Frankreich während seiner fünfjährigen Amtszeit zu regieren. Dies ist die wichtigste Lehre aus der zweiten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich, die am Sonntag stattfand. Den Hochrechnungen zufolge, die bei Redaktionsschluss vorlagen, wird die Koalition des Präsidenten bestenfalls über 230 von 577 Sitzen verfügen. Für eine absolute Mehrheit wären mindestens 289 Sitze erforderlich.
Die beiden Konkurrenten Macrons, die rechtspopulistische Marine Le Pen (53) und der Anführer des linken Bündnisses, Jean-Luc Mélenchon (70), können hingegen feiern. Beide können mit rund 90 Abgeordneten rechnen, während sie zuvor gerade einmal 8 bzw. 17 Abgeordnete hatten. Das Linksbündnis wird voraussichtlich auf 160 Parlamentarier anwachsen.
Macron wurde in Frankreich auch «Meister der Uhren» genannt. Eine Anspielung darauf, dass er immer bestimmt hat, wie die Dinge liefen. Nun ist die Uhr aus dem Takt geraten. Der Präsident ist gezwungen, sich als Chef einer relativen parlamentarischen Mehrheit neu zu erfinden. Eine Mehrheit, die sein Premierminister von Geschäft zu Geschäft neu finden muss.
Das Ergebnis ist eine dreifache Niederlage für einen Präsidenten, der wohl irrtümlich geglaubt hatte, dass er nach seiner Wiederwahl als Präsident bei den Parlamentswahlen durchmarschieren könne.
Die erste Niederlage ist eine persönliche, da mehrere enge Vertraute Macrons an den Wahlurnen geschlagen wurden. Was seine Regierungstruppe anbelangt, wird Macron also dringend über die Bücher müssen.
Seine zweite Niederlage ist eine ideologische. Das Projekt Macrons, die Spaltung zwischen rechts und links zu überwinden, ist gescheitert. Die Rechte hat sich radikalisiert – die Linke ebenfalls. Und die Mitte ist geschrumpft. Macron II. wird sich, um regieren zu können, noch weiter rechts positionieren müssen. Der Reformer ist dazu verurteilt, konservativ zu werden.
Die dritte Niederlage ist die des Präsidenten als Institution. Die Franzosen haben mit ihrer Abstimmung gezeigt, dass sie eine stärkere Machtteilung zwischen der Exekutive und dem Parlament wollen. Ausserdem forderten sie mit ihrer Stimme mehr Luft für Demokratie. Das Problem: Diese Kombination ist explosiv, da die stärksten Parteien in der Versammlung diejenigen sind, die am stärksten gegen Macron sind. Die Revolte hat die Wahlurnen dominiert.
Es bleiben zwei Elemente, die den Unterschied ausmachen können. Das erste ist das taktische Gespür des Präsidenten, der alles daransetzen wird, neue Verbündete zu gewinnen. Dies, indem er wahrscheinlich seine Regierung im Eilverfahren umbildet und dann «Deals» zu seinen Reformen anbietet. Zudem kann er auf nächstes Jahr hoffen. Nach einem Jahr der Legislaturperiode hat Macron die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Die Uhr Macron tickt also noch.