Gewinner sehen eigentlich anders aus: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron (44) hat auf dem Weg in seine zweite Amtszeit erneut einen herben Schlag einstecken müssen. Der erste traf ihn bereits bei der Präsidentschaftswahl vor einigen Wochen von rechts, als er sich in der Stichwahl nur mit Mühe gegen Rechtsnationalistin Marine Le Pen durchsetzen konnte. Den zweiten noch massiveren Hieb kassierte er am Sonntag von links bei der Parlamentswahl.
Das neue Linksbündnis, angeführt von Jean-Luc Mélenchon (70), liegt in der ersten Runde der Wahlen nur ganz knapp hinter dem Mitte-Lager des Präsidenten. Laut dem vorläufigen amtlichen Ergebnis kam Macrons Bündnis landesweit auf 25,75 Prozent der Stimmen. Dies teilte das Innenministerium in Paris in der Nacht zu Montag mit.
Die vom Linkspolitiker Mélenchon angeführte Allianz aus Linken, Kommunisten, Grünen und Sozialisten kam demnach auf 25,66 Prozent und hatte damit hauchdünn das Nachsehen. Der Unterschied betrug gerade einmal 21 442 Stimmen – bei rund 48,7 Millionen Wahlberechtigten.
Linkes Urgestein konnte punkten
War sich Macron, der die grosse Bühne und visionäre Reden liebt, seiner Sache möglicherweise zu sicher und hielt sich – wie bereits bei der Präsidentschaftswahl – zu lange aus dem Wahlkampf heraus? Zwar bot er damit seinem unverhofften Gegenspieler Mélenchon, dem binnen Tagen der Coup gelang, das zersplitterte linke Lager hinter sich zu vereinen, keine Angriffsfläche. Der gewiefte Linksideologe und Stratege aber nutzte diesen Freiraum umso mehr, um sich als Fürsprecher des Volks und der sozialen Gerechtigkeit herauszustellen.
Kompliziertes Wahlsystem
Dennoch ist Prognosen zufolge davon auszugehen, dass das Lager des frisch wiedergewählten Präsidenten in der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag die Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung holen wird.
Das komplizierte Wahlsystem führt zu teils gravierenden Unterschieden zwischen prozentualem Stimmanteil und Sitzverteilung – und die liberalen Kandidaten haben bessere Chancen, um Stimmenwanderung nach dem Ausscheiden zahlreicher Kandidaten abzufangen.
Ob die Mitte-Kräfte aber ihre absolute Mehrheit im parlamentarischen Unterhaus behalten und damit Macrons Vorhaben leichter umsetzen können, ist ungewiss.
Geringe Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung lag laut den Zahlen des Innenministeriums bei nur 47,51 Prozent und damit noch niedriger als bei der Parlamentswahl vor fünf Jahren.
Die Nationalversammlung ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann die Regierung per Misstrauensvotum stürzen. Eine Mehrheit in der Kammer ist für das Regieren wichtig. In der ersten Runde wurden nur 2 der 577 Sitze direkt vergeben. Über alle anderen Mandate entscheiden die Stichwahlen. (SDA/noo/kes)