Es ist immer dasselbe. Sobald es zu einer Wahl für einen freien Posten kommt, verfallen Menschen in Angststarre. Schwitzen. Und diskutieren. Das ist auch beim Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) nicht anders.
Mitte Januar schlug der Vorstand der Gewerbekammer Henrique Schneider (45) als Nachfolger von Noch-Direktor des SGV Hans-Ulrich Bigler (64) vor. Bigler wird Ende Juni pensioniert. Nun soll der bisherige Vize-Direktor und Chefökonom Schneider beim Verband das Ruder übernehmen. Diesen Mittwoch soll er gewählt werden.
Konkurrenz muss er bei der Wahl keine fürchten. Der SGV-Vorstand hat der Gewerbekammer ein Einerticket unterbreitet. Neben Schneider soll zwar noch mindestens eine weitere Person am Amt interessiert gewesen sein. Diese habe sich schliesslich aber zurückgezogen, weil sie sich nicht einer Kampfwahl stellen wollte. Sie sei nämlich woanders in ungekündigter Stellung gewesen, heisst es. Das sorgte unter einigen SGV-Mitgliedern für Kritik.
Harte Linie, keine Kompromisse
Viel mehr zu reden gibt Schneider selbst. Blick sprach mit verschiedenen einflussreichen Personen im Gewerbeverband. Lobende Worte für den heutigen SGV-Vize fanden wenige. Kritik einige: «Schneider ist ein Libertärer und als solcher eine Fehlbesetzung», ist einer ungewohnt offen.
Der SGV sei eigentlich der wichtigste Wirtschaftsverband, weil er ganz verschiedenen Betrieben mit unterschiedlichen Interessen eine Stimme gebe – vom Coiffeursalon bis zum Altersheim. Die Befürchtung: Schneider werde als Direktor eine zu harte Linie fahren. Er sei nicht kompromissbereit. Etliche Branchen fühlten sich durch Schneider vom Verband ausgeschlossen.
Der Ökonom eckt an
Der studierte Ökonom eckt immer wieder an. So 2019, als Schneider sich öffentlich gegen das Covid-19-Gesetz aussprach und so die SGV-Haltung untergrub.
Seit Wochen herrscht zudem wegen Schneider Unruhe in der Wettbewerbskommission (Weko), wie die «Handelszeitung» gestern berichtete. Der Volkswirtschaftsprofessor zog mehrfach über die Behörde her, der er selbst angehört. Er soll die Weko gar mit einer Diktatur verglichen haben. Die Äusserung schlug derart hohe Wellen, dass sich am Ende Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63) habe einschalten müssen.
Alternative fehlt
Mehrere SGV-Mitglieder fürchten nun, dass er sich auch im Gewerbeverband wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten werde. Mit Schneider an der Spitze komme es früher oder später zum Eklat im Verband. Ein Mitglied befürchtet gar, dass es nicht bloss dem Verband enorm schadet, wenn Direktor Schneider eine Menge Geschirr verschlägt, sondern dass bei einem «Chlapf» im SGV auch der Stuhl von Präsident Fabio Regazzi (60) wackeln dürfte. Mitte-Nationalrat Regazzi müsse entweder miserabel beraten worden sein, weil er Schneiders Kandidatur zugelassen habe, oder aber der Tessiner fürchte sich vor einem guten Direktor, der ihm den Rang ablaufen würde.
Bei all der Kritik an Schneider müsste man meinen, es käme zu einem Aufstand gegen den Vize. Doch Fehlanzeige: Seine Wahl zum SGV-Direktor gilt als sicher. «Das Einerticket ist ein demokratischer Entscheid des Vorstands, den es zu akzeptieren gilt», erklärt das Andreas Züllig (64), Präsident von Hotelleriesuisse – und selbst Vorstandsmitglied. Man kenne Schneider und wisse, was man mit ihm bekomme. Es werde aber bestimmt Stimmen für und gegen ihn geben – auch solche, die einen Neustart fordern.
Kein Neustart
Einer, der für einen solchen Neustart plädiert, ist Alois Gmür (67), Mitte-Nationalrat und Präsident der Genossenschaft SwissDrink. Er erklärt offen: «Ich bedaure es, dass nicht zwei Kandidierende zur Wahl stehen. Denn ich bin überzeugt: Es braucht einen Wechsel an der Spitze des SGV. Henrique Schneider ist schon lange Vize-Direktor.» Er hätte es darum begrüsst, eine Alternative zu haben.
Doch eben, im Verbandsvorstand sieht man das offenbar anders als in der Gewerbekammer. So erlebt Vorstandsmitglied Gian-Luca Lardi (53), Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV), die derzeitige Stimmung als entspannt. Er beschwichtigt: «Jedes Mal bei einer Wahl werden Differenzen zwischen den verschiedenen Mitgliedern ersichtlich.» Er gehe darum davon aus, dass es keine einstimmige Wahl werde. «Das wäre ja sonst wie in einer Diktatur», so Lardi.
Eine Auffrischung im Verband, die sich viele Mitglieder wünschen, müsse nicht zwingend von aussen kommen, meint Lardi. Andere befürchten, dass stattdessen bald ein sehr rauer Wind weht bei den Gewerblern.