Niemand hatte ihn auf der Rechnung. Hans-Ueli Vogt (52) verabschiedete sich vergangenes Jahr aus dem Nationalrat. Nun kehrt er zurück auf die Polit-Bühne – und wie: Der Rechtsprofessor der Uni Zürich will Bundesrat werden! Am Mittwoch, zwei Tage vor Ablauf der Meldefrist, gab die Zürcher SVP die Kandidatur bekannt.
Der Kantonalpartei gelingt damit ein Überraschungscoup. Nach der Rücktrittsankündigung von Ueli Maurer (71) war das Feld potenzieller Kandidierender aus Zürich von Tag zu Tag kleiner geworden. Regierungsrätin Natalie Rickli (45) wollte nicht. Die Nationalräte Gregor Rutz (50) und Thomas Matter (56) sagten ab, ebenso wie die meisten andern Zürcher Vertreter im Nationalrat.
Zürich schon aufgegeben
In der Partei schwand langsam, aber sicher der Glaube, noch einen ernst zu nehmenden Kandidaten auftreiben zu können, um den Zürcher Bundesratssitz zu verteidigen – ausgerechnet die Sektion, die der SVP Schweiz jahrelang den Stempel aufgedrückt hat. Prominente Mitglieder fürchteten schon eine Alibi-Kandidatur, mit der sich die Zürcher SVP der Peinlichkeit preisgibt. Mehrfach wurde kritisiert, dass es die Partei in den vergangenen Jahren verpasst habe, mehrheitsfähige und willige Kandidatinnen und Kandidaten aufzubauen.
Doch mit dem Hervorzaubern von Vogt hat die Zürcher SVP gerade noch die Kurve gekriegt. Der ehemalige Nationalrat ist der erste ernsthafte Konkurrent für Kronfavorit Albert Rösti (55) aus dem Kanton Bern. Das Rennen um den Regierungsposten, das für viele Beobachter schon gelaufen schien, ist damit wieder spannender geworden.
Die Eigenen mögen ihn nicht
«Das ist ein geschickter Schachzug: Vogt ist sicher keine Alibi-Kandidatur», kommentieren andere Bürgerliche im Bundesparlament. «Die Zürcher SVP kann froh sein, dass sie noch jemanden gefunden hat. Vogt hilft ihr, einigermassen gesichtswahrend rauszukommen», so einer.
Allerdings werden Vogts Wahlchancen infrage gestellt. Die grösste Hürde könnte für ihn die eigene Bundeshausfraktion sein. Dort sei er wenig verankert, sagt ein anderes Parlamentsmitglied. «Seine Fraktion mag ihn einfach nicht», drückt das eine weitere Person aus.
Denn Vogt ist nicht nur einmal vom offiziellen SVP-Kurs abgewichen, ein Beispiel ist die Konzernverantwortungs-Initiative, bei der er sich gegen den Willen der Partei für einen Gegenvorschlag starkgemacht hatte. Zudem sass der Zürcher, selbst schwul, im Ja-Komitee zur Ehe für alle, die die Mehrheit der SVP ablehnte. «Er ist immer wieder weit weg von seiner eigenen Partei», urteilt ein Bürgerlicher.
Kandidat mit Schönheitsfehler
Doch selbst wenn es Vogt neben Favorit Rösti aufs SVP-Ticket schafft, bleibt es schwierig. Als «Schönheitsfehler» bezeichnet es etwa FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (47), dass Vogt nicht mehr im Bundeshaus politisiert. «Wäre er noch im Nationalrat, wäre die Ausgangslage eine andere.»
Allerdings hat sich Vogt erst Ende 2021 aus Bern verabschiedet, sodass er keineswegs bereits in Vergessenheit geraten ist. Insbesondere in der Kommissionsarbeit hat er viele beeindruckt. Da wurde er als «eigenständig und konstruktiv» wahrgenommen, so ein SP-Politiker. Einer, der auch zuhören könne und zu Kompromissen bereit gewesen sei. Ähnlich sieht es Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42): «Hans-Ueli Vogt hat mehr als einmal bewiesen, dass er bereit ist, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.»
Blochers Bedeutungsverlust
Immer wieder wird Vogts Intellekt herausgestrichen. Er sei allerdings mehr Experte als Politiker, ist zu hören. «Ihm fehlt die politische Gravität», urteilt einer. «Vielleicht wird es Vogt aufs SVP-Ticket schaffen – er wird aber kein Gamechanger sein», so der Bürgerliche. Favorit ist und bleibt Rösti, da sind sich viele Parlamentarier einig: «Wenn er es aufs Ticket schafft, ist er gewählt.»
Aufs offizielle SVP-Ticket könnten es Vogt wie Rösti schaffen. Über ein solches «Softie-Ticket» würde sich nicht nur das linke Lager freuen. Sogar bei FDP und Mitte reibt man sich die Hände. Schickt die SVP nämlich keinen echten Hardliner ins Rennen, deute diese auf einen «weiteren Machtverlust von Herrliberg hin», analysiert ein Bürgerlicher. «Blocher und Co. scheinen bei der Kandidatenfindung praktisch keine Rolle mehr zu spielen.»