Er könne «nur den Kopf schütteln», sagt Volker Hesse. Der Regisseur, der die Inszenierung bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels verantwortet hat, hat sich im «St. Galler Tagblatt» zur Debatte um Derwische, Heuhaufen und «Schweizer Grundwerte» geäussert.
«Ich empfinde jedenfalls eine riesige Diskrepanz zwischen den Aufführungen am Volksfest und dem, was jetzt in der Öffentlichkeit diskutiert wird», sagt Hesse im Interview. Die Vorstellungen vom Wochenende seien riesige Erfolge mit Tausenden Zuschauern gewesen, die Reaktionen unglaublich positiv.
Hesse weiter: «Die Normalmenschen aus Uri und dem Tessin und all die Festbesucher konnten die Aufführung ganz mühelos emotional und intellektuell nachvollziehen. Wenn nun eine wild gewordene SVP-Nationalrätin sich über islamistische Propaganda äussert oder der scheinheilige Boulevard wegen eines nackten Busens einen Sexskandal konstruiert, kann ich darüber nur den Kopf schütteln.» Die Reaktion der Aargauer Politikerin sei «ein armseliges Herumkeifen».
«Bizarre Show»
Es ist das erste Mal, dass Hesse sich öffentlich äussert. Immerhin hatte die Inszenierung schon letzte Woche für einigen Wirbel gesorgt. Selbst internationale Medien hatten sich intensiv mit den Bildern und der Symbolik von Hesse befasst. Auf Twitter wurde die Show als «gruslig», «schräg» und «bizarr» beschrieben (BLICK berichtete).
Richtig los gingen Diskussionen aber erst, als der Bundesrat am Montag einen Vorstoss der Aargauer SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger beantwortet hatte. Flückiger hatte in alarmistischen Ton Fragen zur Feier gestellt und sah insbesondere durch tanzende Derwische die «schweizerischen Grundwerte» verraten. Vom Bundesrat wollte sie wissen, ob er diese Sorgen aus der Bevölkerung teile.
Der Bundesrat schrieb daraufhin in seiner nachgereichten Antwort zur Fragestunde vom Montag: «Die künstlerische Inszenierung mit dem Leitbild Mythos Gotthard bedient sich ausschliesslich an Figuren und Sagen, die der Alpenkultur entstammen. Bei den angesprochenen Figuren handelte es sich nicht um Derwische, sondern um tanzende Heuhaufen.»
Hier wiederspricht Regisseur Hesse vehement: «Ich wollte im Spektakel das Ausser-sich-Sein beschreiben – dazu dienen die Drehungen der Derwische und der Heuhaufenfiguren.» Es sei ihm darum gegangen elementar menschliche Ekstaseformen darzustellen: «Jedes Kind weiss, dass man in einen anderen Zustand gerät, wenn man sich lange um sich selbst dreht.»
Legitim, wenn die Show arabische Assoziationen enthalte
Auf den Einwurf im Interview, dass Sylvia Flückiger nicht den Islamismus, sondern die Anspielung auf ein muslimisches Ritual als Verrat schweizerischer Grundwerte ansah, sagte Hesse: «Es ist völlig legitim, wenn meine Show arabische kulturelle Assoziationen enthält.» Er sei der festen Überzeugung, dass archaische Kulte sich in verschiedenen Kulturen berührten.
Diese Tänze, die nun als fremde arabische Einflüsse dargestellt würden, seien «elementar menschliche Ekstaseformen». Er habe nie an eine politische Polemik gedacht oder mit der Möglichkeit gerechnet, dass einige Zuschauer deswegen «xenophobe Anfälle» kriegen könnten.
Barbusige Gestalt sei nicht pornografisch
Weiter verwahrt sich Hesse dagegen, dass die barbusige Gestalt mit den weissen Flügeln «wohlfeile pornographische Sachen» seien, mit denen er seine Inszenierungen zu würzen versuche. «Die Engelsfigur erhält durch ihre Nacktheit und die Maske eine gewisse Fremdheit.» Er habe in dieser Szene an den Angelus Novus des deutschen Philosophen Walter Benjamin erinnern wollen.
Auf die Frage, welches für ihn schweizerische Grundwerte darstellten, sagt Hesse dann noch: «Ich habe lange in der Schweiz gelebt, meine Frau und meine Kinder sind Schweizer, meine ganze Lebensgeschichte ist von Schweizerischem geprägt. So sehr der Gotthard-Basistunnel eine grosse politisch-ökonomisch-technische Leistung ist, auf welche die Schweiz stolz sein kann, kann ich nicht anders als daran erinnern, dass an diesem Werk unzählige Ausländer mitgearbeitet haben.»
Er liebe die alpenländische Kultur. Aber er sei auch ein Mensch, der auf eine Internationalität hin lebe und wisse, dass viele Probleme national nicht mehr lösbar seien. Hesse: «Darum finde ich es unerträglich, wie diese Aargauer Politikerin ein Ereignis wie die Gotthard-Eröffnung als ausschliesslich nationales Ereignis sehen will. Der Hass gegen Fremdes und gegen Internationales, der aus Abstimmungen wie jener über die Ausschaffungs-Initiative spricht, ist schon verstörend.»