Ständeräte sind stolz auf ihre Debattenkultur. Im Gegensatz zum Nationalrat hört man sich in der kleinen Kammer zu, respektiert andere Meinungen und unterbricht sich nicht. Es herrsche ein «spezieller Geist» im Stöckli, sagte Präsident Alex Kuprecht (63) vor einigen Monaten.
Doch nun bricht ausgerechnet er mit den vornehmen Gepflogenheiten. Am Montag gab er der Grünen Ständerätin Maya Graf (59) offensichtlich widerwillig das Wort und fluchte: «Frau Graf ... Gopferdammi nomal».
Auf Anfrage von Blick sagt Kuprecht, das «Gopferdammi nomal» sei ihm rausgerutscht. Es sei nicht gegen eine Person gerichtet gewesen. Weiter mag er sich nicht zum Vorfall äussern. Auch Ständerätin Graf schreibt, sie gebe dazu öffentlich keine Auskunft. Sie habe den Zwischenfall mit dem Ständeratspräsidenten besprochen und erledigt.
Kuprecht unterbricht Graf
Doch die Angelegenheit ist nicht vom Tisch. Schon vergangene Woche gerieten die beiden aneinander. In der AHV-Debatte unterbrach Kuprecht die Grüne nach wenigen Minuten. «Ständerätin Graf, ich möchte Sie bitten, jetzt keine allgemeine Rentendebatte zu halten», sagte er. Die Getadelte reagierte überrascht und meinte: «Sie sind der Präsident und Sie bestimmen, wie lange geredet wird – auf alle Fälle bei mir.»
In der Tat ist es unüblich, dass der Ratspräsident die Ständeratsmitglieder unterbricht. FDP-Ständerat Philippe Bauer (59) sprach im Juni fast eine Stunde am Stück! Erst nach 55 Minuten bat Kuprecht seinen Ratskollegen «langsam zum Schluss zu kommen». Schliesslich habe man für die Behandlung des Geschäfts insgesamt anderthalb Stunden eingeplant.
Alte Herren geben den Ton an
Gegenüber «Tele Züri» sagte Kuprecht, er habe sich an der Parteipolitik von Ständerätin Graf gestört. «Wir sind keine Parteienvertreter im Grundsatz, sondern Vertreter der Kantone.» Zudem sei Maya Graf in der Differenzbereinigung der AHV-Debatte plötzlich wieder auf die Eintretensdebatte zurückgekommen, das habe ihn geärgert.
Für Grafs Parteikolleginnen sind das bloss Vorwände. Sie haben bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass die arrivierten Ständeräte die jungen Frauen, die seit den Wahlen 2019 im Stöckli sitzen, gezielt übergehen würden. «Es herrscht im Rat die Erwartung vor, dass Minderheiten – Frauen, Junge, Grüne – nicht zu viel Platz einnehmen», sagte die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (33) im «SonntagsBlick».
Auch ihre Neuenburger Parteikollegin Céline Vara (36) betonte, dass sie manchmal mehrmals darum bitten müsse, das Wort zu erhalten. Zudem gäbe es einige Ständeräte, die ein Problem damit hätten, wenn sich eine junge Frau ihrer Meinung widersetzte.
Frauen arbeiten an Netzwerk
Das wollen sich die Ständerätinnen nicht gefallen lassen. Zwar sind die Banden unter den Männern im Stöckli stark. Um aber dennoch Gehör zu finden, spinnen die Frauen jetzt an einem eigenen Netzwerk. Sie wollen künftig regelmässig gemeinsam essen gehen und sich in ihren Voten gezielt auf die Vorrednerinnen beziehen. Etwas, das unter den Männer längst geschieht.