Es war ein rabenschwarzer Sonntag für den Freisinn: Die FDP musste in St. Gallen ihr letztes Präsidium in einer grösseren Stadt preisgeben – der Regierung steht dort nun eine SPlerin vor. Und in Davos verlor die Partei nach Jahrzehnten der Vorherrschaft das Amt des Landammanns.
In Basel-Stadt büssten die Freisinnigen gar den einzigen Regierungsrat ein: Baschi Dürr (43) wurde abgewählt. Ein historischer Verlust, sass doch seit Kantonsgründung 1833 stets ein FDP-Mitglied in der Regierung. Nun droht den Freisinnigen am Rheinknie die Bedeutungslosigkeit.
Miserable Wahlausgänge
Zuvor hatte die FDP im Oktober schon bei den Grossratswahlen im Aargau 1,3 Prozentpunkte abgegeben. Gleich viel hatte die FDP Schweiz bei den Nationalratswahlen ein Jahr zuvor verloren. Das sind miserable Wahlausgänge.
Petra Gössis (44) einst staatstragende Partei ist im Krebsgang. Während der ersten Corona-Welle war die FDP auf nationaler Ebene unsichtbar, aber auch nach den Sommerferien vermochten die Freisinnigen keinerlei Akzente zu setzen.
Schuld an der politischen Inexistenz der FDP Schweiz sind auch die zahlreichen Wechsel im Generalsekretariat – vor allem aber an dessen Spitze: Gössis rechte Hand und Stratege Samuel Lanz (37) verabschiedete sich in die Privatwirtschaft. Die 41-jährige Neuenburgerin Fanny Noghero hat noch nicht Fuss gefasst.
Nach der Wahlschlappe im Aargau kritisierte die dortige Kantonalpartei die Präsidentin in einem harschen Brief. Es gelinge ihr zu wenig, in den Medien mit klaren Positionsbezügen auf sich aufmerksam zu machen. Im Schreiben ist die Rede von «Rückschlägen», die sich seit den nationalen Wahlen 2019 fortsetzten.
Für Longchamp ist der Freisinn in einer Identitätskrise
Laut Politologe Claude Longchamp (63) akzentuiert sich die Misere der FDP in mittelgrossen bis grossen Städten. Hier ist dem Freisinn mit der GLP eine starke Konkurrentin erwachsen.
Und natürlich gäben auch lokale Probleme den Ausschlag fürs schlechte Abschneiden, so Longchamp: «In St. Gallen brach die bürgerliche Unterstützung auseinander, und in Basel-Stadt wurde dem FDP-Kandidaten Leistungsschwäche vorgeworfen.»
Doch für den Politologen hat die Partei auch ein grundlegendes Problem: «Die FDP ist in einer Identitätskrise. Sie ist immer noch sehr verbandelt mit der Wirtschaft, die in Umwelt- und Europafragen aber in verschiedene Richtungen zieht.» Und lange habe sie den gesellschaftlichen Wandel gerade im urbanen Raum verschlafen oder gar negiert.
Gössi verweist auf Erfolg im Wallis
Petra Gössi war für BLICK am Montag nicht erreichbar. Sie liess lediglich ein dünnes Statement verschicken, in der sie sich kämpferisch zeigt. «Wir müssen dafür sorgen, dass wir zusammen mit allen Parteiexponenten unsere Positionen in der Öffentlichkeit besser bekannt machen», heisst es darin.
Und sie betont, dass ihre Partei nicht flächendeckend verloren hat. So ergatterte die FDP das Stadtpräsidium von Brig. Das Ergebnis im Oberwallis macht für Gössi vor, «wie man Wahlen erfolgreich bestreitet». Doch solche Lichtblicke mögen nicht über das Grundproblem der FDP hinwegtäuschen.