«Der bilaterale Weg ist entscheidend für unsere Wirtschaft»
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Tiana Angelina Moser:«Der bilaterale Weg ist entscheidend für die Wirtschaft»

GLP-Politikerin Tiana Moser will das EU-Rahmenabkommen retten
«Wir haben einen Führungsmangel»

Eine der wichtigsten Befürworterinnen des Rahmenvertrags ist die grünliberale Fraktionschefin Tiana Angelina Moser. Ihre Gegner haben sie ins Visier genommen. Sie wehrt sich – und kritisiert die Landesregierung.
Publiziert: 28.03.2021 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2021 um 16:37 Uhr
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«Das wäre eine Bankrotterklärung»: Tiana Angelina Moser über die Option, dass der Bundesrat das Abkommen versenkt.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Reza Rafi

BLICK:Sind Sie eine Antidemokratin, Frau Moser?
Tiana Angelina Moser: In keiner Weise.

Am Montag wollten Sie als Präsidentin der APK, der Aussenpolitischen Kommission, den Bundesrat dazu zwingen, den Entscheid über den Rahmenvertrag ans Parlament weiterzugeben.
Als Kommissionspräsidentin kann ich den Bundesrat zu gar nichts zwingen. Was wir in der Kommission diskutierten, war die Frage, wie der Entscheid über das Abkommen legitimiert sein soll.

Verfassungsmässig ist die Sache doch eindeutig.
Der Bundesrat ist für das Dossier zuständig, keine Frage. Nur fällt das Rahmenabkommen ja nicht vom Himmel. Seit bald sieben Jahren verhandeln wir und führen Gespräche mit der EU. Im Jahr 2019 hat der Bundesrat die grundsätzlich positive Würdigung nach einer umfassenden Konsultation vorgenommen und den Bedarf nach Klärungen festgehalten. Wenn derselbe Bundesrat den Vertrag nun ohne Einbezug des Parlaments beerdigen würde, wäre das ein herber Vertrauensverlust und eine Bankrotterklärung der Regierung.

Weshalb? Wenn die Regierungsmitglieder nicht wollen, wollen sie nicht.
Es geht hier nicht nur um den Bundesrat, sondern auch um die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Schweiz als Verhandlungspartnerin und um die Zukunft der Bilateralen. Das Abkommen ist seit mehr als zwei Jahren fertig verhandelt, und trotzdem kommt der Bundesrat nicht zu einem Entscheid und verweigert einen echten demokratischen Prozess. Gleichzeitig hat sich unsere Regierung mehrfach zu den institutionellen Fragen bekannt. Im aktuellen Aussenpolitischen Bericht nennt der Bund die Weiterentwicklung der Bilateralen erneut als vordringliches Ziel der Schweizer Aussenpolitik. Genau über solche Fragen hat sich die APK ausgetauscht – und sie akzeptiert, dass die Gespräche noch am Laufen sind. Wir wollen aber miteinbezogen werden in diesen Prozess.

Machen wir uns doch nichts vor: Wenn das Abkommen vors Volk kommt, profitiert neben der SVP genau ein Akteur: Ihre Partei, die Grünliberalen.
Es geht doch hier nicht um Parteipolitik. Die Bevölkerung hat sich über all die Jahre stets positiv zum bilateralen Weg geäussert. Sie ist sehr pragmatisch und sieht, welche Optionen es gibt: die EU-Mitgliedschaft, den EWR und unseren massgeschneiderten bilateralen Weg, der nur mit dem Rahmenabkommen eine Zukunft hat. Umfragen zeigen, dass es die Mehrheit der Bevölkerung diesmal auch so sieht.

Und vor einer Abstimmung könnten Sie genüsslich zusehen, wie die anderen Parteien sich in Flügelkämpfen aufreiben.
Mit Genuss hat das wenig zu tun. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die SP einen konservativen Gewerkschaftsflügel hat, der das Abkommen kritisch sieht, und eine breite Basis, die sehr stark hinter den guten Beziehungen zu Europa steht. Bei der Partei Die Mitte haben wir einen Präsidenten, der sich anders als die wirtschafts- und forschungsnahen Kreise dagegen ausgesprochen hat. Deswegen kann die Regierung doch nicht den demokratischen Diskurs abwürgen. Ich erwarte vom Bundesrat, dass er das Landesinteresse über Parteiinteressen stellt.

Der Bundesrat hat dazu in der jüngsten Vergangenheit vor allem geschwiegen.
Wir haben in diesem Dossier seit Jahren einen Führungsmangel. Es ist mir unerklärlich, dass der Bundesrat die Europapolitik faktisch seit Jahren marginalisiert. Dass die Regierung damit zulässt, dass die Europapolitik öffentlich bagatellisiert und zerredet wird, ist verheerend. Man muss auch mal mit dem völlig falschen Narrativ aufhören, das derzeit dominiert …

Welches?
Dass es das Beste wäre, wenn der Bundesrat das Abkommen beerdige, bloss weil eine Mehrheit der Stimmbürger ungewiss ist. Das wäre eine Bankrotterklärung und unserer Demokratie nicht würdig.

Betrachten wir den Bundesrat genauer: Bei den beiden SVP-Vertretern wäre eine Ablehnung keine Überraschung …
… wobei die entscheidenden Dossiers – Bildung und Forschung, die Marktzugangsabkommen – in den Bereich von Bundespräsident Guy Parmelin fallen. Eine Ratifizierung müsste eigentlich in seinem Interesse sein.

Und die Freisinnige Karin Keller-Sutter hatte schon vor ihrer Wahl in den Bundesrat das Abkommen deutlich kritisiert.
Dabei haben alle Bundesräte in ihren Departementen ein Interesse an diesem Schlüsseldossier. Nehmen Sie die Sozialdemokraten: Sowohl Energieministerin Sommaruga mit dem Stromabkommen als auch Gesundheitsminister Berset mit der Frage der Patientenversorgung müssten an einer Lösung interessiert sein. Der Bundesrat hat eine Gesamtverantwortung für die Interessen des Landes. Kein Bundesrat kann sich hinter Aussenminister Ignazio Cassis verstecken. Alle sieben stehen in der Verantwortung.

Was sollen die sieben Departementsvorsteher denn konkret tun?
Ich würde mich freuen, wenn der Bundesrat eine selbstbewusste Umsetzung des Rahmenabkommens vertreten würde. Dieses bietet der Schweiz nämlich volle Souveränität bei der Gesetzgebung.

Wie bitte? Gerade wegen der Souveränitätsfrage wird das Abkommen doch bekämpft.
Wir können die Rechtsentwicklungen nicht nur beeinflussen, sondern auch jederzeit ablehnen. Es ist im Abkommen sogar festgehalten, dass die EU in dem Fall künftig keine unverhältnismässigen Gegenmassnahmen mehr ergreifen darf, wie sie dies beispielsweise bei der Börsenäquivalenz getan hat. Das stärkt unsere Rechtssicherheit.

Wenn Sie so überzeugt sind, dass das Abkommen an der Urne eine Chance hat, können Sie jederzeit Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln. Sie bräuchten den Bundesrat gar nicht.
Das wäre die Ultima Ratio. Zuerst müssen nun die Gespräche mit Brüssel beendet werden, und der Bundesrat muss Position beziehen. Aber als letztes Mittel wäre eine Volksinitiative eine Option.

Mitstreiter hätten Sie.
Die Unterstützung der Bilateralen ist immer in einer breiten Europa-Allianz erfolgt. Diese formiert sich nun. Die Vereinigung Progresuisse ist aktiv geworden, die Operation Libero beginnt sich zu engagieren, und vor allem Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Wir dürfen das Feld nicht den Schlechtmachern überlassen. Den Preis einer Nichtunterzeichnung zahlt der Mittelstand. Das ist die Realität. Rund 800'000 Arbeitsplätze profitieren direkt vom Zugang zum europäischen Binnenmarkt, indirekt weit mehr. Dies zu riskieren, noch in einer Krisensituation, ist fahrlässig.

Jetzt bemühen Sie Drohkulissen. So handeln Sie sich den Vorwurf der Angstmacherei ein.
Nein. Der bilaterale Weg und das Rahmenabkommen sind im Kern pragmatisch. Weder der Bundesrat noch die kritischen Parteien oder der Verein um Alfred Gantner ...

... die Initiative Kompass/Europa ...
… haben einen konkreten Plan B. Man weiss seit über zehn Jahren: Ohne institutionelle Lösung geht der bilaterale Weg nicht weiter. Weder Herr Gantner noch Die-Mitte-Präsident Gerhard Pfister oder die Gewerkschaften bieten Perspektiven.

Von links kursiert die Idee, sich bei der EU quasi herauszukaufen.
Das würde letztlich eine Ver-x-fachung der Kohäsionsmilliarde bedeuten. Und es bliebe eine stetige Rechtsunsicherheit. Was ein solches Gebastel bringen sollte, weiss ich nicht. Eine Weiterentwicklung wird es nur durch die Vereinbarung gemeinsamer Spielregeln geben.

Wir wissen nicht, wann der Bundesrat mit seiner Botschaft kommt. Wollen Sie bis dann die Bühne wieder den Gegnern überlassen?
Die konstruktiven Kräfte haben immer versucht, dem Bundesrat den Rücken zu stärken. Nach dem Nein zur Begrenzungs-Initiative im Herbst hiess es, es ginge noch ein paar Wochen. Die Geduld ist langsam am Ende.

Persönlich

Tiana Angelina Moser (41) trat schon während ihres Studiums der Politikwissenschaften an der Universität Zürich den Grünliberalen bei. 2007, ein Jahr nach dem Lizenziat, wurde die Zürcherin in den Nationalrat gewählt. Seit 2011 leitet sie die Bundeshausfraktion, zudem präsidiert sie die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats. Moser, Mutter von vier Kindern, ist mit SP-Nationalrat Matthias Aebischer (53) liiert.

Tiana Angelina Moser (41) trat schon während ihres Studiums der Politikwissenschaften an der Universität Zürich den Grünliberalen bei. 2007, ein Jahr nach dem Lizenziat, wurde die Zürcherin in den Nationalrat gewählt. Seit 2011 leitet sie die Bundeshausfraktion, zudem präsidiert sie die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats. Moser, Mutter von vier Kindern, ist mit SP-Nationalrat Matthias Aebischer (53) liiert.

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