Auch elf Tage nach der Schocknachricht des Bundesrates erhitzt das Rahmenabkommen-Aus mit der EU die Gemüter. Allen voran: Grünliberalen-Präsident Jürg Grossen (51). «Der Bundesrat hat einen krassen Fehlentscheid gefällt», sagt er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Er hätte sich nie vorstellen können, dass der Schweizer Bundesrat eine solche Entscheidung treffe, ohne eine brauchbare Alternative vorzulegen. «Es ist das grösste Armutszeugnis, das ich von unserer Landesregierung je gesehen habe!», so Grossen.
«Hauptverantwortung trägt die FDP»
Vor allem auf eine Bundesrats-Partei ist Grossen sauer: «Der Bundesrat hat kollektiv versagt, aber die Hauptverantwortung trägt die FDP.» Mit zwei Drittel des Europa-Ausschusses hätte es die FDP in der Hand gehabt, das Abkommen zu retten.
Grossen stellt gar den zweiten Sitz der FDP im Bundesrat infrage. «Eine Partei, die im Bundesrat mathematisch so stark übervertreten ist, wird als Folge davon unter Druck kommen.» Und weiter: «Wenn der Negativtrend bei der FDP anhält, dann sind zwei Sitze für sie nicht mehr gerechtfertigt.»
Gleichzeitig drängt der GLP-Präsident seine Partei für einen Sitz auf. «Wir wollen in den Bundesrat», sagt Grossen. Doch relativiert umgehend, dass ein GLP-Sitz in der Landesregierung mit den momentanen Wähleranteilen nicht zu rechtfertigen sei.
«Lösung à la Grossbritannien»
Als weitere Option für die künftigen Beziehungen zur EU nannte Grossen auch ein Freihandelsabkommen «à la Grossbritannien». Damit würde die Schweiz aber «hochkant» aus dem europäischen Binnenmarkt fliegen.
Als «Pseudo-Option» bezeichnete der GLP-Chef die Pläne der Schweizer Regierung, die Gesetzgebung punktuell und einseitig an EU-Regeln anzupassen. Damit verbessere die Schweiz die bilateralen Beziehungen nicht. «Dieser Plan ist das Gegenteil von Souveränität.» Ein EU-Beitritt steht für Grossen «im Moment nicht zur Diskussion».
Der EWR mit Norwegen, Island und Liechtenstein funktioniere gut, sagte der Präsident der Grünliberalen. Der EWR-Beitritt biete den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, die Teilhabe an der europäischen Forschungszusammenarbeit, an der Stromversorgung, und er enthalte Mechanismen für die Konfliktlösung. Die Rechtsübernahme erfolge nicht automatisch, sondern dynamisch.
«Rahmenabkommen bleibt Königsweg»
Der EWR sei zwar nicht der favorisierte Weg der GLP, aber er sei valabel, sagte der Berner Nationalrat Grossen. Aus Sicht der Grünliberalen bleibt der Abschluss eines Rahmenabkommens «der Königsweg», weil es den bilateralen Weg auf lange Zeit stabilisieren würde.
Auf die Frage, ob er ernsthaft noch an eine Auferstehung des vor zehn Tagen vom Bundesrat beerdigten Rahmenabkommens glaube, sagte Grossen: «Ich würde heute nichts für unmöglich erklären.»
Der EWR wurde 1994 mit dem Ziel eingerichtet, die EU-Bestimmungen über den Binnenmarkt auf die Länder der Europäischen Freihandelszone (EFTA) auszudehnen. Die Schweiz lehnte einen Beitritt mit einem knappen Volksmehr und einem klaren Ständemehr 1992 ab. (ste/SDA)