«Habe kein Verständnis für skeptische Kantone»
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Gewerkschaft will Massentests:«Habe kein Verständnis für skeptische Kantone»

Gewerkschaftsboss Adrian Wüthrich macht Arbeitgebern Beine
Firmen sollen Mitarbeiter auf Corona testen!

Die Kantone sollen rasch Voraussetzungen für Corona-Massentests in Firmen schaffen, fordert Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich. Er befürchtet, dass nicht alle Kantone sehr vorausschauend denken.
Publiziert: 07.02.2021 um 18:01 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2021 um 17:19 Uhr
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Um das Virus in den Griff zu bekommen, ruft Gesundheitsminister Alain Berset die Kantone zu flächendeckenden Massentests auf.
Foto: Keystone
Interview: Daniel Ballmer

Die Corona-Lage in der Schweiz bleibt angespannt. Um das Virus in den Griff zu bekommen, ruft Gesundheitsminister Alain Berset (48) die Kantone zu flächendeckenden Massentests in Altersheimen, Schulen oder Firmen auf. Seit Montag übernimmt der Bund nun auch die Kosten für Tests von Personen ohne Symptome. Infektionsketten sollen so schneller unterbrochen werden.

Tatsächlich haben manche Kantone bereits erste Schritte eingeleitet. Andere wie Bern, Genf, St. Gallen oder das Wallis sind skeptisch. Weil die Lage im Kanton das derzeit nicht verlange oder weil breite Tests als unverhältnismässig angesehen werden. Adrian Wüthrich (40) kann das nicht verstehen. Der Präsident des Gewerkschafts-Dachverbands Travailsuisse fordert gerade in Unternehmen regelmässige Tests – zum Schutz der Arbeitnehmenden.

BLICK: Herr Wüthrich, wie sehr sind Sie von den Kantonen enttäuscht, die sich gegenüber Massentests skeptisch zeigen? Haben diese das Wohl der arbeitnehmenden Bevölkerung teilweise zu wenig im Blick?
Adrian Wüthrich: Die Möglichkeit von Massentests ist noch relativ neu, und die Kantone sind bereits mit der Impfkampagne und dem Contact Tracing stark belastet. Aber ich erwarte, dass sie jetzt rasch vorwärtsmachen. In den nächsten Tagen müssen sie alle ein Konzept erarbeiten. Denn nur dann übernimmt der Bund die Kosten für Massentests in Unternehmen. Das Erkennen von Corona-Infizierten ohne Symptome wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen das Virus.

Einzelne Kantone sehen das derzeit anders.
Dafür habe ich kein Verständnis. Schliesslich rät auch das Bundesamt für Gesundheit dazu und will die Kantone dabei unterstützen. Dieses Angebot sollten die Kantone nützen – und zwar sehr rasch. Doch ich habe das Gefühl, da wird nicht immer sehr vorausschauend gedacht.

Als Gewerkschafter liegt Ihr Fokus auf den Arbeitnehmenden. Werden diese in der Corona-Krise zu wenig geschützt?
Da kann man alles beobachten: Einzelne Unternehmen sind in der Umsetzung von Schutzmassnahmen vorbildlich, andere eher lasch. Deshalb fordern wir auch mehr Kontrollen in den Betrieben. Der Bund ist da aber nach wie vor zurückhaltend. Auch er hat aus unserer Sicht teilweise spät gehandelt: Die Maskenpflicht am Arbeitsplatz kam erst spät, genauso wie die Homeofficepflicht. Da erkennen wir noch einige Probleme. Umso wichtiger wäre es, jetzt grossflächige Tests in Unternehmen rasch durchzuführen.

Der Arbeitsplatz ist bisher aber nicht als Corona-Hotspot ins Auge gestochen. Übertreiben Sie da nicht etwas?
Es gibt überall Ansteckungen. Die Hälfte der Arbeitnehmenden kann nicht im Homeoffice arbeiten, deshalb sind die Schutzkonzepte sehr wichtig. Sie wirken, wenn sie eingehalten werden. Tests sollen die Massnahmen ergänzen und nicht ersetzen. Es geht darum Infizierte, die noch keine Symptome haben, zu erkennen und die Übertragungsketten zu unterbrechen. Ein Risiko besteht in Pausenräumen oder Kantinen. Baufirmen als Beispiel stellen nun kaum grössere Baracken zur Verfügung, in denen sich Arbeitnehmende jetzt im Winter aufwärmen können. Da besteht das grösste Ansteckungsrisiko. Und vom Arbeitsplatz kann das Virus in die Familie getragen werden, wo es sich weiterverbreitet. Deshalb erkennen wir grossen Handlungsbedarf, damit wir die Schutzmassnahmen dann möglichst rasch wieder lockern und so Arbeitsplätze sichern können.

Opfer der grünen Welle

Es war ein kurzer Gastauftritt im Bundeshaus: Erst 2018 für die SP in den Nationalrat nachgerückt, wurde Adrian Wüthrich (40) 2019 bereits wieder abgewählt – ein Opfer der grünen Welle. Zumindest aber konnte er als Papi des Vaterschaftsurlaubs punkten. Und: Als Travailsuisse-Präsident bleibt er nahe an der Politik.

Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich setzt sich für Arbeitnehmende ein.
Keystone

Es war ein kurzer Gastauftritt im Bundeshaus: Erst 2018 für die SP in den Nationalrat nachgerückt, wurde Adrian Wüthrich (40) 2019 bereits wieder abgewählt – ein Opfer der grünen Welle. Zumindest aber konnte er als Papi des Vaterschaftsurlaubs punkten. Und: Als Travailsuisse-Präsident bleibt er nahe an der Politik.

Aber wollen Arbeitnehmende solche Tests überhaupt? Es war auch schon zu hören, dass manche um ihre Stelle fürchten, wenn sie dann am Arbeitsplatz fehlen.
Solche Fälle sind uns ebenfalls bekannt. Gerade in einer Krise steigt die Angst um den Arbeitsplatz. Müssen Stellen abgebaut werden, können die Betreffenden plötzlich schlechte Karten haben. Dennoch hören wir oft, dass gute Schutzkonzepte gewünscht werden. Neue Erkenntnissen und Möglichkeiten wie die Speicheltests sollen diese ergänzen. Tests sollen aber freiwillig sein, wenn sie nicht von den Behörden angeordnet wurden. Auch soll die Belegschaft ein Mitspracherecht haben, bevor ein Unternehmen einen Massentest durchführen lässt.

Aber was ändern Massentests an der Angst um die eigene Stelle? Ich muss als Arbeitnehmer dann allenfalls ja dennoch in Quarantäne und fehle am Arbeitsplatz.
Der Einzelne muss sich dann nicht vor dem Arbeitgeber exponieren. Die gesamte Belegschaft kann während der Arbeitszeit zum Corona-Test antreten, was ja auch dem gegenseitigen Schutz dient. Wer das Virus hat, ist schon ansteckend, wenn er noch keine Symptome hat. Man erscheint dann zur Arbeit, und das Virus kann sich allenfalls ungehindert ausbreiten. Das gilt es zu verhindern! Wir raten wirklich allen, die Symptome haben, einen Test zu machen und nicht zur Arbeit zu erscheinen, bis das Resultat klar ist. Wer in Quarantäne muss, erhält Lohnersatz. Wir wünschten uns natürlich, dass in dieser Zeit von der EO-Kasse der volle Lohn und nicht nur 80 Prozent erstattet werden.

Und die Arbeitgeber? Haben sie überhaupt ein Interesse an solchen Massentests? Da könnte ja anschliessend plötzlich die Hälfte der Belegschaft fehlen?
Wenn die eigenen Schutzkonzepte eingehalten werden, müssen nicht alle in die Quarantäne. Können einzelne Infizierte frühzeitig erkannt und in Isolation geschickt werden, haben alle ein Interesse daran. Es werden dann gesamthaft weniger angesteckt und fehlen am Arbeitsplatz. Das hat sich ja auch bei Massentests in Graubünden gezeigt. Aber diese Erkenntnis muss wohl noch wachsen.

Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder fordert in der «SonntagsZeitung» sogar obligatorische Tests in Unternehmen.
Wir dagegen pochen auf Freiwilligkeit, solange die Behörden solche Tests nicht aufgrund der epidemiologischen Lage anordnen. Die Kantone müsse dafür mit Konzepten aber erst mal die Möglichkeit schaffen. Die Haltung von Herrn Mäder hingegen überrascht mich nicht, er will dies als Chef befehlen können. Wir wollen, dass auch in der Krise in Unternehmen und Branchen das Mitspracherecht der Arbeitnehmenden zu Fragen des Gesundheitsschutzes gewährt wird.

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