Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse sind besorgt. Grund ist der Verlauf der Gespräche der Schweiz mit der EU-Kommission. Die Organisationen erläuterten ihre Einwände am Montag an einer Medienkonferenz in Bern. Aus dem Projekt eines institutionellen Rahmenabkommens sei ein Liberalisierungsprogramm geworden, kritisierten sie. Der Bundesrat müsse diese Fehler korrigieren.
Insgesamt sei das Ergebnis der Sondierungen klar ungenügend, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Unterzeichne die Schweiz ein entsprechendes Abkommen, würde der Schweizer Lohnschutz «gefährlich ausgehöhlt».
Spesenregelung stören Gewerkschaften
Ein Dorn im Auge der Gewerkschaften: Dass die Schweiz das sogenannte Herkunftsprinzip bei Spesenregelungen übernehmen soll. Damit erhielten Arbeitnehmende, die in die Schweiz entsandt werden, künftig Spesenentschädigungen nach den Bestimmungen in ihrer Heimat – und nicht mehr gemäss Schweizer Gesamtarbeitsverträgen.
Schweizer Unternehmen und Arbeitnehmende hätten dadurch einen Wettbewerbsnachteil, ausländische Arbeitnehmende würden diskriminiert, lautet die Kritik der Gewerkschaften. Wie die Gewerkschaften, ist auch der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) mit der Spesenreglung der EU für entsandte Arbeitnehmende nicht einverstanden. Er fordert, dass «eine geeignete Lösung gefunden» wird.
Das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» drohe damit verwässert zu werden, sagte Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia. Es gehe dabei keineswegs um «Peanuts», sondern um sehr erhebliche Lohnanteile für die Betroffenen. Schon heute müssten sich entsandte Arbeitnehmende oft unter sehr prekären Verhältnissen durchschlagen: «Wir wollen keine Rückkehr der Verhältnisse aus den Zeiten der Saisonnier-Statute.»
Die drohenden sozialen Verwerfungen seien für die Arbeitnehmenden und für uns Gewerkschaften inakzeptabel, warnte Alleva. Ohne Verbesserung des Lohnschutzes habe es in der Europapolitik immer wieder Rückschläge gegeben – etwa 1992 bei der EWR-Abstimmung oder 2014 bei der Masseneinwanderungs-Initiative der SVP.
Hoher Lohndruck
Lampart betonte, in keinem Land sei die Gefahr von Lohndruck so gross wie in der Schweiz. Weil ausländische Unternehmen hier viel höhere Preise verlangen und Firmen aus den Nachbarländern in ihrer Muttersprache arbeiten könnten.
Wenn beim Lohnschutz neu das Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss der Definition der EU gelte, werde dieser dem Marktzugang stärker untergeordnet, so Lampart. In verschiedener Hinsicht drohten zudem Schweizer Kontroll- und Sanktionsmechanismen gegen Lohndumping geschwächt zu werden.
Von Seiten des SAV hiess es am Montag weiter, die Gespräche zwischen den Sozialpartnern seien stets konstruktiv verlaufen und würden weiterhin konstruktiv geführt, um insbesondere beim Thema Lohnschutz die letzten Unklarheiten auszuräumen. Deshalb sei man der Meinung, der Bundesrat solle nun die Verhandlungen starten.
«Die Menschen wollen keine Verhältnisse wie in Deutschland»
Die Gewerkschaften ihrerseits fürchten im Weiteren eine schlechtere Versorgung der Bevölkerung beim Strom und im Bahnverkehr. Die von der EU-Kommission verlangte Übernahme von EU-Recht in diesen Bereichen würde nach ihrer Aussage eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes für Kleinkunden und den Marktzugang für Bahnunternehmen wie Flixtrain im internationalen Personenverkehr bedeuten.
Die Schweizer Stimmbevölkerung und das Parlament hätten wiederholt klargemacht, dass sie am bestehenden System des öffentlichen Verkehrs festhalten wollten, sagte Matthias Hartwich, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV). In Europa habe die Bahn-Liberalisierung in aller Regel zu einem schlechteren Angebot, schlechteren Arbeitsbedingungen, Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit geführt: «Die Menschen wollen keine Verhältnisse wie in Deutschland.»
Während es innenpolitisch noch Klärungsbedarf zu geben scheint, sind die Sondierungen zwischen der Schweiz und der EU dem Vernehmen nach so weit abgeschlossen: Konkret wurden gemeinsame «Landezonen» als Basis für künftige Verhandlungen definiert. Die Ergebnisse aus den Sondierungsgesprächen sollen nun in einer «gemeinsamen Erklärung» festgehalten werden.
Anschliessend wird der Bundesrat voraussichtlich im Dezember oder Januar sein Verhandlungsmandat präsentieren und zu den beiden Aussenpolitischen Kommissionen und den Kantonen in die Konsultation schicken. Je nachdem könnten dann die Verhandlungen im kommenden Februar oder März beginnen. (SDA/oco/pt)