Der Fall ist gravierender als bekannt. Klar war bisher: Der ehemalige Chef des Nachrichtendiensts (NDB), Jean-Philippe Gaudin (60), hat bei der Vergabe eines Dienstleistungsauftrags interne Weisungen verletzt.
Doch was die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) nun zutage fördert, lässt den früheren NDB-Direktor noch in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Gaudin hatte in seiner Amtszeit als Geheimdienstchef einen Mann als «geheimen Berater» beschäftigt, der unter anderem durch das Verfassen zahlreicher Leserbriefe in Schweizer Zeitungen Bekanntheit erlangte. Der Mann kassierte dafür 5000 Franken monatlich, plus Spesen.
«Das ist ganz klar illegal»
Damit nicht genug. Die GPDel zeigt sich «befremdet» darüber, dass der private Berater nach den nationalen Wahlen 2019 für Gaudin zudem die Parlamentsmitglieder analysierte. Der Mann hatte die National- und Ständeräte katalogisiert: Er teilte die Volksvertreter danach ein, welche «dem NDB-Direktor gegenüber ‹hilfreich› beziehungsweise ‹negativ eingestellt› sein würden». Das schreibt die Parlamentsaufsicht in ihrem soeben veröffentlichten Jahresbericht.
Für die GPDel steht fest: Das ist eine unzulässige Bearbeitung von Informationen über die politische Betätigung und die Ausübung der Meinungsfreiheit, ein klarer Verstoss gegen das Nachrichtendienstgesetz. Dieses verbietet dem Geheimdienst die Beschaffung oder Bearbeitung von Informationen über politische Tätigkeiten. «Das ist ganz klar illegal», hält die GPDel-Präsidentin, die grüne Ständerätin Maya Graf (60), gegenüber Radio SRF fest.
Erst mit dem Jahresbericht wird zudem bekannt, dass sich Gaudins Berater heimlich mit ausländischen Diplomaten und Vertretern internationaler Organisationen getroffen hat. Dazu aber hätte er einen internen Rekrutierungsprozess durchlaufen und beaufsichtigt werden müssen. Nichts davon sei geschehen.
Der Fall ist viel gravierender
Eine Administrativuntersuchung war eigentlich zum Urteil gelangt, es liege kein strafrechtlich relevanter Tatbestand vor, wie das Verteidigungsdepartement (VBS) in einer Mitteilung vom Dezember betont hatte.
Jetzt zeigt sich, es geht nicht bloss um einen rechtlich heiklen Dienstleistungsvertrag, wie VBS-Vorsteherin Viola Amherd (60) vor dem Nationalrat sagte.
Die Parlamentsaufsicht will ausserdem abklären, ob es sich beim fragwürdigen Beratervertrag um einen Einzelfall handelt oder ob beim Nachrichtendienst «allenfalls weitere problematische Verträge dieser Art existieren». Die GPDel hat dafür eigens die Eidgenössische Finanzkontrolle eingeschaltet, die alle bestehenden Verträge unter die Lupe nehmen soll.
Amherd hatte sich im Mai 2021 von NDB-Chef Gaudin getrennt, noch bevor die zweifelhafte Auftragsvergabe überhaupt publik wurde. Der Berater-Fall hatte keinerlei Konsequenzen für den früheren Geheimdienstchef.
Jetzt will es die Aufsicht genau wissen
Das VBS scheint sich der Tragweite der Verstösse jedoch durchaus bewusst gewesen zu sein. Gegen aussen aber wollte sich das Departement offensichtlich keine Blösse geben. Auch von der parlamentarischen Kritik zeigt sich Amherds Departement gegenüber Radio SRF unbeeindruckt. Es sehe weiterhin keinen Grund, Anzeige wegen der Verstösse einzureichen.
Dabei stellen sich immer mehr Fragen zum früheren NDB-Direktor. So musste Gaudin auch bei Sonderermittler Peter Marti (72) antraben, wie der SonntagsBlick publik machte. Der frühere Geheimdienstchef flehte, dass ein Verfahren «sein Ende» wäre. Der Sonderermittler hatte Gaudin in Zusammenhang mit der Crypto-Affäre befragt. (dba)