«Ich war mit 14 Jahren davon überzeugt, dass meine Zuneigung zu Männern falsch ist, ich aber geheilt werden kann», sagt Andreas Keller* (36). Vor allem in evangelikal geprägten Kreisen wird Homosexualität noch immer oft als Sünde angesehen, die direkt in die Hölle führt. Als eine Krankheit, die behandelt werden muss – mit einer sogenannten Konversions- oder Umpolungstherapie.
Andreas Keller ist im Umfeld einer Freikirche aufgewachsen. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, aus Angst vor homophoben Anfeindungen. Als Jugendlicher hat er eine Konversionstherapie durchlebt. Insgesamt zehn Jahre lang.
Die Psychotherapie kann gerade für junge Menschen traumatisierend sein. Selbsternannte «Heiler» arbeiten oft mit Schuldgefühlen bei den Betroffenen, was gerade junge Menschen in psychische Krisen treiben kann, bis hin zu Depressionen und Suizid. «Ich kenne jemanden, der vom Hausdach gesprungen und heute querschnittgelähmt ist», erzählt Keller. «Es gibt sehr tragische Fälle.»
Ähnliche Bestrebungen in Genf, Zürich und Waadt
Basel-Stadt will nun vorangehen und solchen Therapien einen Riegel schieben. Im Mai beauftragte das Parlament die Regierung, ein kantonales Verbot zu erarbeiten. Ähnliche Bestrebungen gibt es etwa in den Kantonen Genf, Zürich und Waadt. «Homosexualität ist keine Krankheit. Daher ist sie auch nicht therapiebedürftig. Es braucht eine klare Grenze und ein Verbot der Konversionstherapie einschliesslich strafrechtlicher Konsequenzen», sagt der Basler GLP-Grossrat Johannes Sieber (46), der mit einem Vorstoss den Kanton zum Handeln bewegte.
Im Ausland sind solche Verbote teilweise bereits in Kraft. Deutschland hat vergangenes Jahr eines erlassen, auch Brasilien, Argentinien, Ecuador und Uruguay kennen gesetzliche Verbote. Frankreich, Österreich und Norwegen bereiten jeweils eines vor.
Nicht so die Schweiz. Doch das soll sich ändern. Per Standesinitiative fordern der Grünliberale Sieber und LDP-Grossrätin Annina von Falkenstein (25), dass sich die Basler Regierung auch auf Bundesebene für ein entsprechendes Gesetz einsetzt.
Jahrelang innerlich zerrissen gefühlt
«Solche Behandlungen können für Betroffene traumatische Folgen bis hin zum Suizid haben. Ein nationales Verbot ist daher zum Schutz möglichst vieler angebracht», findet von Falkenstein. Ziel sei gar keine «Heilung», sondern die sexuelle Orientierung zu ändern, ergänzt Sieber. «Das ist nicht möglich, da ist sich die Wissenschaft einig.» Im September soll das Basler Parlament über den Auftrag an die Regierung befinden. Es dürfte eine Formsache sein.
Auch Andreas Keller würde ein Verbot unterstützen. «Ich hätte dann wohl selber auch versucht, das Thema anders anzugehen», sagt er. So aber fühlte er sich jahrelang innerlich zerrissen. Fühlte sich zu Männern hingezogen – und hoffte auf «Heilung».
Keller sollte die heterosexuelle Praxis erlernen, sollte Fussball spielen. «Dabei hasse ich Fussball.» Er sollte rangeln, um die körperliche Nähe zu anderen Männern auf nicht sexuelle Art zu erfahren. Gleichzeitig besuchte er einen Salsa-Kurs, «in der Hoffnung, dass erotische Gefühle zu Frauen aufkommen». Genützt hat es nichts.
Die Theorie hinter der Therapie: Homosexualität als Symptom einer psychischen Störung. Sein Therapeut arbeitete mit Keller dessen Vergangenheit auf. Hat er als Kind vom Vater zu wenig Liebe bekommen? Wurde er zu stark bemuttert und ist deshalb ablehnend gegenüber Frauen?
«Da finden sich natürlich immer Beispiele, wenn man lange genug sucht», sagt Keller. Aber das habe er erst später verstanden.
Psychotherapeuten fordern ebenfalls ein Verbot
«Konversionsmassnahmen stellen eine Menschenrechtsverletzung dar», findet Udo Rauchfleisch, emeritierter Professor für klinische Psychologie an der Uni Basel. Sie widersprächen der Forschung, wonach Homosexualität nichts Krankhaftes sei, sondern eine Variante der sexuellen Orientierungen darstelle. Folgen seien oft erhebliche Traumatisierungen mit schweren Depressionen, Ängsten, einem tiefgreifenden Vertrauensverlust in sozialen Beziehungen, Leiden unter Scham- und Schuldgefühlen bis hin zu Suizid.
«Es ist immer das Umfeld, das homosexualitätsfeindlich eingestellt ist und Menschen dahingehend beeinflusst, ihre sexuelle Orientierung abzulehnen und das eigene Begehren als sündhaft oder krankhaft zu empfinden», sagt Rauchfleisch. «Ich unterstütze ein Verbot solcher Massnahmen unbedingt.»
Verstoss gegen Berufspflichten
Udo Rauchfleisch steht damit nicht alleine. Auch die Assoziation der Schweizer Psychotherapeuten (ASP) will, dass die Therapien in der Schweiz verboten werden. Schon 2019 forderte sie entsprechende christliche Kreise auf, dem «mittelalterlichen, religiös-dogmatischen Denken zu entsagen und zu anerkennen, dass Homosexualität keine Krankheit ist und also keiner Therapie bedarf». Umpolungstherapien seien ethisch gesehen ein Missbrauch der therapeutischen Machtstellung.
Doch während Ärztinnen und Psychologen, die gegen die Berufspflichten verstossen, mit Disziplinarmassnahmen zu rechnen haben, existiert bei Coaches, Sexualberatern oder Geistlichen keine Handhabe.
«Ein wichtiges Signal»
Wie viele Konversionstherapien in der Schweiz durchgeführt werden, ist nicht bekannt. Statistiken gibt es keine. Laut verschiedenen Organisationen werden aber immer wieder Homosexuelle zu Umpolungstherapien gedrängt. «Es wäre deshalb wichtig, mit einem Verbot die Hemmschwelle weiter zu erhöhen», findet die Basler Grossrätin von Falkenstein.
«Es wäre auch ein wichtiges Signal, um aufzuzeigen, dass eine Umpolung gar nicht möglich ist», ergänzt Ratskollege Sieber. Bedenken, dass Konversionstherapien lediglich in die Illegalität abgedrängt werden, hat er nicht. «Noch versteckter als heute ist das kaum mehr möglich.»
«Nur meine Familie hat immer zu mir gehalten»
Das sieht Andreas Keller genauso. Seine eigene Therapie hat er mit 27 Jahren abgebrochen. «Ich habe eingesehen, dass ich nicht therapierbar bin.» Gleichzeitig hatte er einen schwulen Kollegen kennengelernt und erkannt, dass viele Vorurteile, die ihm jahrelang eingetrichtert worden waren, gar nicht stimmen: etwa dass alle Homosexuellen drogensüchtig und randständig seien sowie ständig mit wechselnden Partnern Sex hätten. «Das hat mein Weltbild infrage gestellt.»
Zu seiner Homosexualität aber konnte er erst öffentlich stehen, nachdem er sich neben seinem Theologie-Studium in Zürich einen neuen Freundeskreis aufgebaut hatte. «Mir war klar, dass ich einen grossen Teil meines bisherigen Umfelds verlieren würde», sagt Keller. Er habe dieses zweite Standbein gebraucht, damit es ihm nicht den Boden unter den Füssen wegziehe. Und tatsächlich: Die Freikirche habe ihm seine Ämter weggenommen, Freundschaften wurden gekündigt. «Nur meine Familie hat immer zu mir gehalten.»
Heute gehe es ihm gut, sagt Keller. Seine Homosexualität sei von seinem Umfeld akzeptiert – im Beruf und im Privaten. Doch er hofft, dass mit einem Verbot von Umpolungstherapien anderen jungen Menschen solch traumatisierende Erfahrungen erspart bleiben.
* Name geändert