Die Zufriedenheit mit Bundespräsident Alain Berset (50) war bereits am Schwinden. Dass er in der «NZZ am Sonntag» andere des «Kriegsrauschs» bezichtigt, schadet seinem Ansehen aber so richtig. Parlamentarier sind sich einig, man kann gegen die Weitergabe von Kriegsmaterial sein, doch Andersdenkende zu verunglimpfen, ist eines Bundespräsidenten unwürdig.
Dass Berset sagte, «ich spüre heute in gewissen Kreisen einen Kriegsrausch», gilt als No-Go. FDP-Präsident Thierry Burkart (47) wird deutlich: «Diese Aussage des Bundespräsidenten schockiert mich. Indem Alain Berset von ‹Kriegsrausch› spricht und nicht Russland meint, sondern die westlichen Staaten, rechtfertigt er den Angriff Russlands auf einen souveränen Staat. Das Opfer wird so zum Täter und seine Aussage erinnert an die Argumentation von Sahra Wagenknecht.» Das schade dem Ansehen unseres Landes, insbesondere in Europa.
Ähnlich klingt es bei der Mitte-Partei. Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44) betont: «Die Äusserungen von Bundesrat Berset sind inakzeptabel.» Man könne unterschiedlicher Meinung sein, «aber Andersdenkende als Kriegstreiber zu verunglimpfen, geht nicht». Und: «Ich erwarte von Herrn Berset, dass er künftig derartige Aussagen unterlässt und stattdessen der Debatte die notwendige Ernsthaftigkeit schenkt, so wie es sich für einen Bundespräsidenten gehört.»
Selbst in der eigenen Partei muss sich der SP-Bundesrat einiges anhören. SP-Co-Chefin Mattea Meyer (35) stellt klar, man teile Bersets Analyse nicht und habe ihm das so mitgeteilt. Derweil werden auch in der SP Stimmen laut, Berset mache auf Wagenknecht. Der deutschen Politikerin wird unterstellt, mit ihrem «Manifest für Frieden» Wladimir Putin (70) zu unterstützen. Zitieren lassen will sich bei den Genossen damit niemand.
«Bei Berset nichts Neues»
Als «abgehoben» und von Ja-Sagern umgeben, wird Berset innerhalb der Sozialdemokraten bezeichnet. «Abgehoben? Das ist bei Berset ja nichts Neues», heisst es dazu aus der Mitte. Man findet die Äusserungen problematisch.
Als «problematisch» erachtet diese auch SP-Vizefraktionschefin Samira Marti (29). Dass Berset Frieden wolle, ehre ihn. «Das möchte ich auch. Doch der russische Diktator Putin denkt nicht daran, den Krieg zu beenden. Friedensverhandlungen sind im Moment mit Putin nicht möglich.» Das sei die traurige Wahrheit. «Diese zu verschleiern, ist problematisch.»
«Wenig glaubwürdig»
Vorsichtiger ist der erste Vizepräsident des Nationalrats, Eric Nussbaumer (62). Der SPler macht dennoch deutlich, dass er Bersets Ansicht nicht teilt. «Das neutralitätspolitische Verständnis der Schweiz muss dem modernen Völkerrecht und der Uno-Charta genügen.» Und: «Die neutralitätspolitischen Möglichkeiten erlauben mehr, als was der Bundesrat uns seit Kriegsbeginn mitteilt.»
Hier hakt Samira Marti ein: «Wenn der Gesamtbundesrat sich schon gegen die Wiederausfuhr wehrt, würde ich zumindest erwarten, dass er in den anderen Bereichen – bei der humanitären Hilfe, bei den Oligarchengeldern und den Rohstoffhändlern – einer konsequenten Linie folgt. Das Gegenteil ist der Fall. Das ist alles wenig glaubwürdig.»