Mit Mäusehirnen Alzheimer auf der Spur
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Forschung mit Tieren:Mit Mäusehirnen Alzheimer auf der Spur

Neurowissenschafter Weber kämpft gegen die Tierversuchsverbots-Initiative
M16 im Einsatz der Menschheit

Für die Forschung wäre die Tierversuchsverbots-Initiative eine Katastrophe, sagt Neurowissenschaftler Bruno Weber. Und gibt Einblick in sein Labor an der Uni Zürich, wo mit Mäusen Krankheiten wie Alzheimer erforscht werden.
Publiziert: 07.06.2021 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2021 um 19:21 Uhr
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Die Glasscheibe wird operativ eingesetzt. Die Tiere sind so klein, dass dafür ein Mikroskop nötig ist.
Foto: Valeriano Di Domenico
Gianna Blum

Das Klicken der Kamera mag M16 offensichtlich nicht, die Schnurrhaare zittern, nervös rennt das Tier hin und her. Eigentlich sieht M16 aus wie eine zu klein geratene Hausmaus. Wenn da nicht die Glasscheibe auf ihrem Kopf wäre, die einen Teil der Schädeldecke ersetzt. Was sich darunter verbirgt, interessiert die Forscherinnen und Forscher am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich, dem Zuhause von M16. Sie wollen mehr über den Energiestoffwechsel im Gehirn erfahren.

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«Darüber wissen wir noch viel zu wenig», sagt Bruno Weber (50). Der Neurowissenschaftler und Professor für Experimentelle Bildgebung leitet eine Gruppe, die das Gehirn erforscht. Er erklärt es am Beispiel von Alzheimer: «Eines der frühesten Anzeichen für Alzheimer ist, dass der Zuckerstoffwechsel im Gehirn nicht mehr funktioniert – aber man weiss nicht warum.»

Das Implantat, die Glasscheibe auf dem Kopf, wird den Tieren operativ eingesetzt. Im Grunde genommen ganz ähnlich wie beim Menschen. Es ist eine Operation «en miniature», mit vergleichbaren Standards für Anästhesie und Schmerzbehandlung. Weber deutet auf eine Reihe von Geräten im Labor: «Einiges davon stammt aus den Operationssälen des Unispitals.»

Jeder Maus ihr Mensch

Selbst rührt Weber die Mäuse nicht an, denn es sind nicht «seine» Mäuse. Die Zuständigkeit ist streng geregelt, es müssen immer die gleichen Personen mit den gleichen Mäusen zu tun haben. Die Doktorandin, die mit der Maus arbeitet, hebt das Tier kurz aus der Kiste, was sich M16 gefallen lässt. «Ich achte darauf, kein Parfum zu tragen und die gleichen Pflegeprodukte zu nutzen», erklärt sie. Denn mehr oder neue Gerüche bedeuteten für die Mäuse Stress. Es geschieht nicht nur aus Rücksicht auf die Tiere: Zur Forschung gehört auch, das Verhalten zu beobachten – und gestresste Tiere verhalten sich anders.

Heute Montag diskutiert der Ständerat die Tierversuchsverbots-Initiative. Denn Versuche an Tieren seien moralisch verwerflich und man könne Erkenntnisse auch gewinnen, ohne auf Tierversuche zurückgreifen zu müssen, so das Argument der Initianten. Letzterem widerspricht Weber vehement: Sein Team beobachtet unter anderem den Blutfluss in den allerkleinsten Blutgefässen – und das geht nicht ohne ein Herz, das Blut pumpt. Deshalb seien Tierversuche für die Forschung unersetzlich.

Strenge Regeln

Dass die Initiative Erfolg hat, ist unwahrscheinlich. Sowohl Bundesrat als auch Nationalrat haben sie bereits zur Ablehnung empfohlen, und selbst der Tierschutz hat sich dagegengestellt. Denn die Forderungen gehen weit: Nicht nur würden Tierversuche automatisch als strafbare Tierquälerei definiert, Forschung am Menschen wäre ebenfalls weitgehend verboten. Für die Forschung wäre die Initiative «eine Katastrophe», sagt Weber. Tierversuche seien heute schon sehr streng reglementiert. «Jede Versuchsreihe muss sorgfältig dokumentiert werden und eine Bewilligung wird nur erteilt, wenn die Güterabwägung zwischen Tierbelastung und Erkenntnisgewinn stimmt», sagt er. Je schwerer der Eingriff, desto strenger die Bedingungen.

Meist geschehen solche Tierversuche denn auch mit Mäusen, Versuchskaninchen sind vergleichsweise selten. «Mäuse sind einfach haltbar und leicht zu züchten», so Weber. Und er zeigt auch gleich den Raum, in dem die Mäuse leben: In ordentlich gestapelten Boxen wuselt es hin und her. Hier darf nur rotes Licht scheinen. Für die Mäuse ist es im Moment Nacht, Rotlicht nehmen sie nicht wahr.

Die 3R-Regel

Damit Universitäten und Forschungslabore Tierversuche durchführen dürfen, braucht es eine Sondergenehmigung – und die bekommt man nur mit einer guten Begründung. Dabei gilt die 3R-Regel, um die Versuche auf ein Minimum zu reduzieren: «Replace, reduce, refine.»

Replace – ersetzen: Als erste Priorität versucht man, Tierversuche zu ersetzen. Wenn Alternativmethoden gleich gute Ergebnisse liefern, darf der Tierversuch laut Schweizer Tierschutzgesetz nicht durchgeführt werden.

Reduce – reduzieren: Wenn die Alternativen zu Tierversuchen wissenschaftlich nicht gleich gut sind, wird der Testbereich auf ein Minimum reduziert – also mit kleineren Gruppen.

Refine – verbessern: Ist auch keine Reduktion der Anzahl benötigter Tiere möglich, so sollen Schmerz und Stress für sie möglichst klein gehalten werden. Hier gilt das Prinzip der Güterabwägung. Dabei stellt sich die Frage: Wie gross ist das Leid des Tiers im Vergleich zum Vorteil für den Menschen?

Damit Universitäten und Forschungslabore Tierversuche durchführen dürfen, braucht es eine Sondergenehmigung – und die bekommt man nur mit einer guten Begründung. Dabei gilt die 3R-Regel, um die Versuche auf ein Minimum zu reduzieren: «Replace, reduce, refine.»

Replace – ersetzen: Als erste Priorität versucht man, Tierversuche zu ersetzen. Wenn Alternativmethoden gleich gute Ergebnisse liefern, darf der Tierversuch laut Schweizer Tierschutzgesetz nicht durchgeführt werden.

Reduce – reduzieren: Wenn die Alternativen zu Tierversuchen wissenschaftlich nicht gleich gut sind, wird der Testbereich auf ein Minimum reduziert – also mit kleineren Gruppen.

Refine – verbessern: Ist auch keine Reduktion der Anzahl benötigter Tiere möglich, so sollen Schmerz und Stress für sie möglichst klein gehalten werden. Hier gilt das Prinzip der Güterabwägung. Dabei stellt sich die Frage: Wie gross ist das Leid des Tiers im Vergleich zum Vorteil für den Menschen?

Mit Licht den Zellen auf der Spur

Licht ist auch bei den Versuchen selbst entscheidend. So untersuchen die Forscherinnen und Forscher etwa Mäuse, die mit einer genetischen Veranlagung für Alzheimer gezüchtet werden. Oder sie lösen Schlaganfälle aus und verfolgen dann über Monate, wie sich der Stoffwechsel im Gehirn verändert. So wird den Mäusen zum Beispiel Zucker gespritzt, um dann dessen Aufnahme und Verteilung in einzelnen Zellen des Gehirns zu verfolgen. Getan wird dies mittels Licht beziehungsweise mit einem Fluoreszenz-Mikroskop – die Tiere spüren davon nichts.

Natürlich seien die Unterschiede zwischen Maus und Mensch beträchtlich, so Weber. Aber: «Mäuse haben eine sehr ähnlich aufgebaute Hirnrinde wie der Mensch», sagt er. Soll heissen: Die Zellen ähneln sich und sind auch ähnlich «verkabelt». Dadurch könne man von ihnen viel lernen. Und wenn Schlaganfälle oder Demenzkrankheiten wie Alzheimer besser verstanden würden, sei auch der Weg geebnet, diese zu behandeln.

Das will die Initiative

In der Schweiz alle Tierversuche verbieten und sie als Verbrechen deklarieren, das will die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt». Kurz: die Tierversuchsverbots-Initiative.

Zudem sollen auch die Einfuhr neuer Medikamente und der Handel damit untersagt werden, wenn sie mithilfe von Tierversuchen entwickelt wurden. Einzig diejenigen Medikamente, die bereits angewendet werden und für die inzwischen keine Tierversuche mehr notwendig sind, sollen laut der Initiative noch auf dem Markt sein.

Weiter will die weitreichende Initiative, die wegen ihrer Radikalität vom Schweizer Tierschutz abgelehnt wird, auch Versuche am Menschen verbieten. Nicht nur Pharmaunternehmen und Wissenschaft, auch Bundesrat und Nationalrat lehnen die Volksinitiative ab.

Prominente Unterstützer des Volksbegehrens sind der Krokus-Musiker Chris von Rohr (69) und der Initiant der Hornkuh-Initiative, Armin Capaul (70). Lanciert wurde es nicht etwa von einer Partei oder Organisation, sondern von der IG Tierversuchsverbots-Initiative, einer Gruppierung engagierter Bürgerinnen und Bürger. (pt)

In der Schweiz alle Tierversuche verbieten und sie als Verbrechen deklarieren, das will die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt». Kurz: die Tierversuchsverbots-Initiative.

Zudem sollen auch die Einfuhr neuer Medikamente und der Handel damit untersagt werden, wenn sie mithilfe von Tierversuchen entwickelt wurden. Einzig diejenigen Medikamente, die bereits angewendet werden und für die inzwischen keine Tierversuche mehr notwendig sind, sollen laut der Initiative noch auf dem Markt sein.

Weiter will die weitreichende Initiative, die wegen ihrer Radikalität vom Schweizer Tierschutz abgelehnt wird, auch Versuche am Menschen verbieten. Nicht nur Pharmaunternehmen und Wissenschaft, auch Bundesrat und Nationalrat lehnen die Volksinitiative ab.

Prominente Unterstützer des Volksbegehrens sind der Krokus-Musiker Chris von Rohr (69) und der Initiant der Hornkuh-Initiative, Armin Capaul (70). Lanciert wurde es nicht etwa von einer Partei oder Organisation, sondern von der IG Tierversuchsverbots-Initiative, einer Gruppierung engagierter Bürgerinnen und Bürger. (pt)


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