Blick: Herr Scheib, es ist jetzt kurz vor Mitternacht. Sie sind am Dienstag nach Israel und zurück geflogen. Was war das für ein Gefühl?
Stefan-Kenan Scheib: Es waren gemischte Gefühle. Erst haben wir ja Passagiere nach Tel Aviv hingeflogen. Als sie in Zürich eingestiegen sind, sah man in ihren Gesichtern, wie dankbar sie waren, dass wir diesen Flug machen. Mehrere Passagiere haben geweint beim Einsteigen. Und als wir dann tatsächlich den Anflug auf den Flughafen machten, war das vor allem auch fliegerischer Standard mit der üblichen hohen Konzentration. Aber …
Ja?
Gleichzeitig extremst emotional. Der Gedanke war natürlich schon da, dass hinten im Flugzeug Menschen sitzen, die ihre Ferien bei uns abgebrochen haben und wieder zurück nach Hause wollen, obwohl dort ein Krieg ausgebrochen ist. Noch bevor wir aufsetzen, so hat mir die Kabinencrew nachher berichtet, ist ein riesiger Applaus aufgebrandet. Alle waren sehr, sehr glücklich, dass sie wieder daheim sind. Das war sehr bewegend.
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Hatten Sie keine Angst, nach Tel Aviv zu fliegen?
Nein, aber vor allem nicht, weil vorher ganz viel Vorbereitungen getroffen wurden. Dieser Flug hat nichts mit einem Standardflug nach Tel Aviv zu tun. Es war auch mental besonders. Wie soll ich das beschreiben? Es hat viel mit Berufsethos zu tun, dass ich diesen Flug machen wollte. Ich sehe den Beruf des Piloten, der Pilotin, aber auch der Flugbegleiterin und des Flugbegleiters, nicht nur darin, Menschen in die Ferien zu fliegen, sondern auch darin, in solchen Situationen vor Ort zu sein, präsent zu sein. Ich sehe es als Aufgabe der Swiss, die Menschen zurück nach Hause zu bringen, wenn sie das brauchen.
Obwohl es gefährlich war?
Die Flugroute war etwas anders als sonst. Aber gefährlich war es nicht, weil wir den Flug von langer Hand vorbereitet haben. Aber ja, ich fliege seit 25 Jahren und es war mein erster Flug in ein Krisengebiet. Wir haben alles genau angeschaut. Den Iron Dome, der dort aktiv ist, einen möglichen Raketenbeschuss. Was machen wir, wenn wir am Boden sind und auf einmal gehen die Sirenen los? Wo sind die nächsten Bunker? Wem müssten wir in diesem Fall folgen? Solche Dinge besprechen wir vorher mit der ganzen Crew.
Kann man mit solchen Gedanken im Hinterkopf funktionieren?
Man funktioniert, dank der entsprechenden Vorbereitung und langjähriger Erfahrung. Unsere gesamte Crew bestand aus Freiwilligen, die sich gemeinsam mental auf den Flug vorbereitet haben. Wir haben uns bewusst früher getroffen. Es waren alles lang gediente Kolleginnen und Kollegen. Natürlich geht man einen solchen Flug anders an, als wenn wir nach Palma de Mallorca fliegen. Dennoch haben wir versucht – und ich glaube, es ist uns gelungen – für die Passagiere, aber auch für uns, den Flug trotz der Umstände, so angenehm wie möglich zu gestalten. Wissen Sie …
Was?
Es wird mir wohl für immer in Erinnerung bleiben, mit welcher Dankbarkeit, mit welchem Glücksgefühl, die Menschen in Tel Aviv eingestiegen sind. Ich habe beim Einsteigen mit mehreren Passagieren persönlich gesprochen. Wenn wir ihnen gesagt haben, kommen Sie rein, setzen Sie sich hin, wir bringen Sie jetzt nach Hause, war sichtbar, dass sie erleichtert waren. Der Ausdruck in ihren Gesichtern, er hat uns alle berührt.
Ich habe grossen Respekt, dass Sie und Ihre Crew jetzt nach Tel Aviv geflogen sind. Aber viele Crewmitglieder dürften Familienangehörige haben. Wie erklärt man diesen, dass man ein solches Risiko auf sich nimmt?
Diese Diskussionen werden viele geführt haben – sie sind wichtig. Natürlich machen sich die Familien Sorgen um ihre Liebsten. Und natürlich brauchen wir als Crew das Backup von den Menschen, die um uns herum sind. Von der Familie, von Freunden und Bekannten. Ich kann aber nur für mich reden. Ich war überzeugt, dass dieser Flug zu 99,9 Prozent sicher ist. Wir haben dafür viel investiert. Und 20 Minuten vor der Landung in Israel haben wir dann auch grünes Licht bekommen, dass tatsächlich alles sicher ist auf dem Flughafen von Tel Aviv. Es war einfach ein grossartiges Gefühl mitzuhelfen, Schweizerinnen und Schweizer nach Hause zu bringen.
Sie reden jetzt vom Rückflug.
Ja, hier war es ein anderes Gefühl. Die israelischen Staatsbürger, die aus unserem Flugzeug ausgestiegen sind, mussten wir in eine gewisse Unsicherheit entlassen. Zurück sind die Fluggäste schon sehr glücklich gewesen, als sie über die Türschwelle in unsere Maschine stiegen. Jeder Zweite hat gelächelt und sich bedankt, dass wir da sind. Mir tat es aber leid, dass wir nur 224 Personen mitnehmen konnten. Weil aber viele Kleinkinder dabei waren, konnten wir einige Leute mehr mitnehmen als normalerweise.
Die Swiss fliegt einen weiteren Sonderflug.
Dennoch hätte ich gerne alle 500 oder 600 Schweizerinnen und Schweizer mitgenommen, die momentan aus Israel ausreisen wollen. Man kann die Leute doch nicht dort lassen! Es sind natürlich auch Tränen geflossen, beim Einsteigen und während des Flugs. Es war alles sehr emotional. Die gesamte Crew hat das aber grossartig gemacht. Wir alle sind von den Heimkehrern mit grosser Dankbarkeit belohnt worden. Wir können uns alle freuen, etwas mehr bewirkt zu haben, als jemanden zu seinem nächsten Geschäftstermin zu bringen. Man darf dabei auch nicht die Kolleginnen und Kollegen vergessen, die in Tel Aviv unseren Flug abgefertigt haben. Sie sind ebenfalls Risiken ausgesetzt. Davor habe ich grossen Respekt.
Der Rückflug verlief also ohne Besonderheiten?
Nein, das kann man nicht sagen. Es war durchwegs ein ganz besonderer Flug für uns. Viele Passagiere hatten einen grossen Rede- und Bewegungsbedarf. Meine Crew war durchgehend beschäftigt, sie zu betreuen, manchmal auch einfach zuzuhören. Wir hatten während des Flugs sehr viel Gegenwind. Zudem musste eine Passagierin an Bord medizinisch betreut werden. Wir wussten zwischenzeitlich nicht, ob wir auf einen näheren Flughafen ausweichen müssen. Glücklicherweise war das dann nicht notwendig. Jetzt sind 224 Schweizerinnen und Schweizer in Sicherheit.