Es gibt Romane, die kürzer sind als der Bericht, den der Bundesrat letzten Mittwoch vorgestellt hat. Auf 339 Seiten zieht er die Lehren aus dem Untergang der Credit Suisse – und schlägt dem Parlament 22 Massnahmen vor, um künftige Bankenkrisen zu verhindern. Marc Chesney ist Professor für Finanzmathematik an der Universität Zürich und kritischer Betrachter des Finanzplatzes. Im Interview mit dem Beobachter zeigt er sich von den Vorschlägen nicht überzeugt.
Herr Chesney, 339 Seiten, 22 Massnahmen. Der Bundesrat war gründlich. Beruhigt Sie das?
Marc Chesney: Leider nein, im Gegenteil: Ich bin beunruhigt. Der Bericht geht zu wenig in die Tiefe. Weniger Seiten und mehr Inhalt wären besser gewesen.
Was fehlt?
Wo soll ich anfangen? Die Probleme beginnen eigentlich schon vor den Massnahmen, bei der Analyse des CS-Debakels. Der Bundesrat behauptete in seiner Medienmitteilung, «viele der national und international bereits eingeführten Massnahmen zur Erhöhung der Finanzstabilität» hätten sich grundsätzlich bewährt. Die Analyse zeige aber auch Lücken im bestehenden Instrumentarium, die man nun schliessen wolle. «Lücken»! Das ist eine starke Untertreibung.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Weshalb?
Die zuständigen Behörden haben oder wollten den Tsunami, der bei der CS unterwegs war, offenbar nicht kommen sehen. Das Too-big-to-fail-Gesetz hat schlicht nicht funktioniert. Dabei war es genau für diesen Fall da. Ziel war es, ein Risiko für die Steuerzahler zu minimieren und die Bank sauber abzuwickeln. Stattdessen wurde die CS billig an die UBS verkauft – und für das Risiko gehaftet hat der Steuerzahler.
Eine «saubere Abwicklung» einer Bank. Der Bundesrat sieht das im Bericht ja weiterhin als wichtige Lösung im Notfall.
Ich denke, das ist bei einer internationalen Grossbank eine sehr heikle und schwierige Aufgabe. Sehen Sie: Die Komplexität und Intransparenz dieser Institutionen hat ungeheuerliche Ausmasse erreicht. Die schlecht lesbare Zusammensetzung von Bilanz und Anhängen, der schnelle Kauf und Verkauf von Aktienpaketen, riesige Mengen komplexer Finanzprodukte, elektronische Transaktionen in grossem Massstab, ein Wirrwarr von Schulden – das sind Merkmale einer unbeherrschbaren Casino-Finanzwirtschaft. Eine ordentliche Abwicklung ist da schwer zu schaffen.
Eine Alternative wäre die Verstaatlichung gewesen. Der Bundesrat will dafür aber keine Gesetzesgrundlage schaffen.
Grundsätzlich finde ich, Verstaatlichen sollte im Notfall eine Option sein. Der Steuerzahler trägt ja bei systemrelevanten Banken sowieso die Risiken, da diese eine Staatsgarantie haben. Bei einer Verstaatlichung kann er immerhin auch von den möglichen Gewinnen profitieren. Statt einer Verstaatlichung der CS haben wir jetzt eigentlich eine gewisse Kontrolle des Staates durch die UBS.
Wie meinen Sie das?
Die UBS ist mit ihrer Grösse und Komplexität zu mächtig geworden, das ist gefährlich für die Demokratie. Der potenzielle Schaden aus einer Krise dieser Bank wäre dermassen schlimm – Armut, Inflation, Abwertung. Das führt dazu, dass die Bank den Staat beeinflussen oder sogar kontrollieren kann, nicht umgekehrt – ihr CEO ist sozusagen der achte Bundesrat.
Welche Massnahmen braucht es denn Ihrer Meinung?
Wichtig wäre zuerst, die Grösse und Komplexität der Bank zu reduzieren. Dann braucht es regelmässige Informationen und Daten – denn die Bilanz einer solchen Bank kann sich ständig ändern. Die Aufsicht muss in der Lage sein, die Bilanz und ihre Anhänge viel öfter zu analysieren und zu kontrollieren. Aber das Kernproblem bleibt die Too-big-to-fail-Logik an sich: Das Management von Too-big-to-fail-Banken hat Anreize, immer mehr Risiken einzugehen, weil der Steuerzahler für die Risiken haftet.
Der Bundesrat schlägt deshalb vor, dass Boni vom Management zurückgefordert werden können.
Das halte ich für schwierig. Diese Manager haben exzellente Anwälte und können ihr Geld verschieben. Das zurückzufordern, wird extrem mühsam und wahrscheinlich erfolglos. Boni – wenn überhaupt – sollten jahrelang zurückgehalten und nur ausgezahlt werden, wenn die Lage unter Kontrolle geblieben ist. Es braucht Zeit, bis man sieht, ob das Management verantwortungsvoll gehandelt hat.
Ein entscheidender Punkt bei Bankregulierung ist das Eigenkapital. Der Bundesrat will da höhere Anforderungen, aber die Details mit jeder Bank individuell regeln.
Davon bin ich nicht überzeugt. Geheime Individuallösungen sind schwer kontrollierbar. Es braucht ganz klare Regeln, die insbesondere für alle Grossbanken gleich gelten. Wenn ich als Bürger zum Beispiel einen Kredit brauche, um eine Wohnung zu kaufen, muss ich mindestens 25 Prozent Eigenkapital investieren. Diese Grössenordnung fände ich auch für das Eigenkapital einer Grossbank angebracht. Heute ist das viel weniger.
Der Bundesrat möchte die Finanzmarktaufsicht (Finma) stärken. Reicht das?
Die Finma hat schon heute die Kompetenz, einer Bank die Lizenz zu entziehen oder den Leiter des Verwaltungsrats auszutauschen. Das hat sie im Fall der CS aber nicht gemacht, obwohl die Zeichen lange auf Rot standen. Was fehlt, ist ein politischer Wille, heikle Themen oder Geschäfte zu untersuchen. Bezüglich der mächtigen UBS wird diese Hemmung noch grösser sein.
Sie machen nicht gerade Mut. Gibt es denn etwas, was ich als Bankkunde tun kann, um mich zu schützen? Mehrere Konten bei verschiedenen Banken eröffnen?
Das ist sicher nicht verkehrt. Und es ist wichtig, sich zu informieren. Vergleichen Sie Ihre Bank mit anderen und ziehen Sie die Konsequenzen. Fragen Sie sich: Bin ich zufrieden mit den Boni und Löhnen des Managements, mit der Risikostruktur? Gab es Skandale bei der Bank? Wie überzeugend kommuniziert die Leitung? Aber am Ende müssen Sie vor allem auch als Bürger denken.
Als Bürger denken?
Ja, in einer Demokratie sind wir nicht nur Kunden, sondern auch Bürger. Wenn Bürger unzufrieden sind, müssen sie sich äussern und politisch aktiv werden.