Der FDP droht ein historisches Debakel. Das jüngste SRG-Wahlbaromter sieht die Freisinnigen nur noch auf dem vierten Platz. Erstmals hinter der Mitte! FDP-Chef Thierry Burkart (48) gibt sich noch nicht geschlagen. Im Blick-Interview erklärt er, wie er bei der Wählerschaft punkten will.
Blick: Das Wahlbarometer sieht düster aus für Sie. Mit nur noch 14,6 Prozente landet die FDP knapp hinter der Mitte.
Thierry Burkart: Es ist eine Umfrage, keine Prognose. Aber ich spüre jetzt eine riesige Motivation bei uns in der Basis, weil niemand will, dass die FDP auf Rang vier abrutscht. Mir ist lieber, die Premiere läuft gut, statt die Hauptprobe.
Sie könnten nicht nur als FDP-Chef mit dem schlechtesten Wahlresultat in die Geschichte eingehen, sondern – noch schlimmer – als Erster, der von der Mitte überholt wird.
Abgerechnet wird am 22. Oktober. Ich bin sehr optimistisch. Wir sind die Partei, die sich für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und die Verantwortung von Wirtschaft und Staat einsetzt. Wir werden im Schlussspurt auch mit einem neuen Tool mobilisieren. Mit personalisierten Videos, in denen ich die Adressaten mit dem konkreten Namen – zum Beispiel «Hoi Sophie!» – anspreche und zum FDP-Wählen auffordere. Für die Deutschschweiz habe ich die gängigsten 2500 Namen genannt und aufgezeichnet. Für die Romandie hat meine Vizepräsidentin Johanna Gapany das übernommen. Ende September geht es los und ich rechne mit einem Lawineneffekt.
Kann dies den Rückstand wettmachen, der Ihnen das Credit-Suisse-Debakel eingebrockt hat?
Wir haben mit der Bank und ihrem Missmanagement nichts zu tun. Im Gegenteil, wir und unsere Bundesrätin Karin Keller-Sutter haben Verantwortung übernommen, um eine internationale Finanzkrise zu verhindern.
Oder kritisch gesehen: Keller-Sutter hat der UBS ein 30-Milliarden-Geschenk gemacht.
Das ist eine haltlose Behauptung, die insbesondere die SVP gerne macht. Sie will damit vom ehemaligen SVP-Finanzminister Ueli Maurer ablenken. Vielleicht hätte man Schlimmes verhindern können, wenn dieser früher reagiert hätte. Realität ist, dass Karin Keller-Sutter Schlimmeres verhindert hat – vor allem einen internationalen Finanzcrash mit Ursprung in einer Bankenpleite in der Schweiz. Ob sich das für die UBS im Nachhinein lohnen wird, lässt sich erst mit der Zeit beurteilen. Wir fordern aber, dass es Konsequenzen gibt für das unverantwortliche Missmanagement, das zu diesem Debakel geführt hat.
Ihr Vorvorgänger Philipp Müller hat da Klartext gesprochen und solche Bankmanager mit dem A-Wort betitelt. Welches Wort finden Sie?
Egal, welches Wort man dafür verwendet: Dass das Top-Management trotz Verlusten immer noch grosse Boni kassiert hat, ist nicht zu rechtfertigen. Ich hoffe, dass diese Boni mit Verantwortlichkeitsklagen zurückgefordert werden.
Während Bankenbosse dicke Boni erhalten, sinkt bei der breiten Bevölkerung die Kaufkraft. Jetzt müssen doch die Löhne rauf!
Bevor man etwas verteilt, muss man es erwirtschaften. Die Situation ist von Branche zu Branche, von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Wo es gerechtfertigt ist, soll es unbedingt Lohnerhöhungen geben. Dazu ist aber die Sozialpartnerschaft da. Es dürfen aber keine Fantasie-Forderungen sein. Sonst droht eine Lohn-Preis-Spirale, die negativ ist für die ganze Bevölkerung. Es ist nun die Aufgabe der Sozialpartner, zu beurteilen, was möglich ist und sich zu einigen.
Wo setzen Sie angesichts der Teuerung selber zum Sparen an?
Bei uns wird der Strom 36 Prozent teurer. Das wird unsere Familie deutlich spüren, weil wir eine Wärmepumpe und ein E-Auto haben. Darum mahne ich immer wieder, das Licht zu löschen. Im Winter werden wir auch bei der Wärmepumpe zurückhaltender sein.
Was muss die Politik gegen die steigenden Strompreise unternehmen?
Wir stehen vor einer gigantischen Herausforderung. Wir brauchen mehr inländische Produktion, um stabile Preise zu haben. Im Sommer haben wir genügend eigenen Strom. Ein Problem haben wir im Winter – und diese Lücke müssen wir schliessen. Ich fordere deshalb eine Überarbeitung der Energiestrategie 2050.
Die das Stimmvolk aber abgesegnet hat.
Ja, aber unter falschen Annahmen. Erstens hat man den Zubau der Erneuerbaren zu optimistisch geplant. Zweitens wurde gesagt, man werde in Zukunft nicht mehr Strom brauchen. Und drittens wurde behauptet, die Winterstromlücke könne durch Importe und durch Gaskraftwerke gedeckt werden. Es ist aber klar: Wir benötigen bis 2050 rund 50 Prozent mehr Strom, die Importe sind begrenzt möglich und wenn man die Klimaziele erreichen will, ist Gas der falsche Weg. Ich fordere daher dringend eine Überarbeitung der Energiestrategie. Neben dem schnelleren Zubau der Erneuerbaren müssen wir deshalb die bestehenden Kernkraftwerke länger betreiben und allenfalls neue planen. Unsere Forderung, die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass wieder in die Sicherheit der bestehenden Kernkraftwerke investiert und sie daher länger betrieben werden können, hat Mitte-links abgelehnt.
Beim Zubau der Erneuerbaren steht doch die FDP auf die Bremse. Eine umfassende Solarpflicht auf Hausdächern haben Sie soeben versenkt.
Das bringt nur Sommerstrom, wir haben aber ein Winterstromproblem. Die Grünen streuen der Bevölkerung Sand in die Augen, wenn sie behaupten, dass eine Solardachpflicht das Stromversorgungsproblem löst. Dieselben Grünen verhindern im Wallis alpine Solarkraftwerke, die Winterstrom produzieren würden, und für die wir uns daher schon lange eingesetzt haben.
Unsere AKW laufen immer noch, trotzdem steigen die Strompreise.
Ohne Kernkraft wäre der Strom noch teurer, das hat diese Woche die ETH mit einer Studie bestätigt. Jetzt braucht es eine Liberalisierung des Strommarkts. Dann kann jeder wie bei einer Versicherung oder einer Hypothek wählen, welches Modell er will. Und wenn der Preis zu hoch ist, kann er den Anbieter wechseln.
Die grösste Sorge sind derzeit die Krankenkassenprämien. Bei der Prämienverbilligung knausert das Parlament nun aber.
Lassen Sie mich eines festhalten: Die SP führt seit 12 Jahren das Innendepartement und trägt damit seit 12 Jahren Verantwortung für das Gesundheitssystem. Jetzt beklagt sie ihre eigene Politik. Was die SP uns geliefert hat, sind Stillstand bei den Reformen und ein massiver Anstieg der Kosten. Wir haben diese Woche eine moderate Erhöhung der Prämienverbilligung unterstützt, aber die Initiative der SP würde 5 bis 6 Milliarden Franken kosten und ist unmöglich zu finanzieren, ohne andernorts massiv sparen zu müssen. Zudem packt sie das Problem nicht an der Wurzel. Die SP will nur Steuergelder verteilen, statt an sinnvollen Reformen mitzuarbeiten.
Sie bringen eine Budget-Krankenkasse ins Spiel. Das führt zu einer Zwei-Klassen-Medizin.
Nein, denn das medizinisch Notwendige bleibt im Grundpaket. Wir müssen aber nicht allen den gesamten Grundkatalog aufzwingen. Wenn jemand keine Homöopathie will, soll er auf diese verzichten können. Wer konsequent auf günstigere Generika setzt, soll dafür belohnt werden. Ebenso, wer sich für eine noch höhere Franchise entscheidet. Dadurch lassen sich die Krankenkassenkosten bis zu 20 Prozent senken – und das ohne Qualitätsabbau!
Thierry Burkart (48) präsidiert seit Oktober 2021 die FDP Schweiz. Seine politische Karriere startete er bei den Jungfreisinnigen. 2015 wählten ihn die Aargauer in den Nationalrat, 2019 in den Ständerat. Burkart hat in St. Gallen und Lausanne VD studiert und ist Rechtsanwalt. Er präsidiert auch den Nutzfahrzeugverband Astag. Burkart lebt mit seiner Partnerin und deren Kindern in Lengnau AG.
Thierry Burkart (48) präsidiert seit Oktober 2021 die FDP Schweiz. Seine politische Karriere startete er bei den Jungfreisinnigen. 2015 wählten ihn die Aargauer in den Nationalrat, 2019 in den Ständerat. Burkart hat in St. Gallen und Lausanne VD studiert und ist Rechtsanwalt. Er präsidiert auch den Nutzfahrzeugverband Astag. Burkart lebt mit seiner Partnerin und deren Kindern in Lengnau AG.
Das führt dazu, dass sich die Gesunden ein günstigeres Modell leisten und dafür die Kranken draufzahlen.
Nein, denn die Prämien sinken für alle, weil dank unseres Modells die Gesamtkosten reduziert werden. Es geht um Eigenverantwortung. Wenn ein Kranker sich für Generika entscheidet, profitiert er ebenso von einer Budget-Krankenkasse wie ein Gesunder. Es gibt ja heute schon Spar-Modelle. Wir wollen die Palette aber weiter öffnen. Wenn wir nie bereit sind, Reformen im Gesundheitsbereich anzugehen, wird unser Gesundheitssystem gigantisch teuer.
Umso mehr erstaunt, dass Sie die Kostenbremse-Initiative der Mitte bekämpfen.
Diese Initiative ist eine Kapitulationserklärung der Mitte! Anstatt konkrete Lösungen ins Parlament zu tragen, will sie in die Verfassung schreiben, dass die Politik Lösungen suchen muss. Das ist absurd, da die Mitte-Partei ja im Parlament ist und eben solche Vorschläge einbringen könnte. Offenbar will sie nicht, denn die Mitte ist jene Partei, die am stärksten mit den Krankenkassen und Gesundheitslobby verbandelt ist.
Und wie lässt sich der Anstieg bei den Mieten stoppen?
Am stärksten steigen die Mieten in den meist links-regierten Städten. Schuld daran sind unendlich viele Auflagen, die das Bauen verzögern oder verhindern. In Zürich hat Links-grün eben erst abgelehnt, dass man einen Stock höher bauen kann. Diese Verhinderungspolitik führt dazu, dass das Angebot der Nachfrage hinterherhinkt. Die Linke klagt lieber über zu hohe Mieten anstatt gute Rahmenbedingungen für ein grösseres Angebot zu schaffen.
Auf der anderen Seite müsste man doch ebenso ansetzen – mit Mietpreisdeckel oder Formularpflicht.
Damit verhindern sie noch mehr Investitionen in Neubauten und verschlimmern das Problem. Entscheidend ist, dass mehr Wohnraum geschaffen wird. Aber wir sind auch offen für andere Massnahmen, mit denen die Mieten nachhaltig gesenkt werden können – solange sie nicht zu einem Bürokratiemonster führen. Ebenso darf der Zubau von neuem Wohnraum nicht durch Fehlanreize verhindert werden.