Wie die Zeitschrift «K-Tipp» aufgedeckt hat, wollen die SBB an 57 ihrer Bahnhöfe Gesichtserkennungskameras installieren und deren Daten laut Bericht mit anderen Daten verknüpfen. Ziel soll sein, dass die Geschäfte dank der Daten in den Bahnhöfen mehr Umsatz machen und die SBB damit mehr Miete einnehmen können. Die Bundesbahnen betonen, es gebe keine Verknüpfung mit Personendaten und der Datenschutz sei gewährleistet. Die unabhängige Datenschutz-Expertin Ursula Uttinger (56) schätzt die SBB-Pläne rechtlich ein.
Frau Uttinger, die SBB wollen die Leute an den Bahnhöfen auf Schritt und Tritt überwachen. Dürfen Sie das?
Ursula Uttinger: Die Verordnung über die Videoüberwachung im öffentlichen Verkehr besagt, dass die Videoüberwachung dem Schutz der Reisenden, des Betriebs und der Infrastruktur zu dienen hat. Sie soll insbesondere das Personal und die Kunden vor Aggressionen und Belästigungen schützen. Sie soll Wertgegenstände sichern, Sachbeschädigungen verhindern und Fahrgastzählungen zu Zwecken der Betriebssicherheit ermöglichen.
Die Anbringung von Gesichtserkennungskameras für kommerzielle Zwecke wird durch diese Regelung also nicht abgedeckt?
Genau, die angedachte Überwachung hat sehr wenig mit dem zu tun, was in der Verordnung steht. Der Verordnungszweck würde bei einer Realisierung der Pläne aus meiner Sicht zu stark gedehnt.
Die SBB dürfen das also gar nicht?
Es ist zumindest heikel. Solange die Bahnen aber nur Videokameras aufhängen und deren Daten zu statistischen Zwecken erfassen, beispielsweise für Fahrgastzählungen eben, wäre das gesetzeskonform – da wir bei anonymen Daten nicht mehr von Personendaten sprechen.
Die Verwertung der Daten soll aber für kommerzielle Zwecke erfolgen.
Das ist der Punkt!
Der Datenschutzbeauftragte ist summarisch informiert worden über die SBB-Pläne und hat grünes Licht gegeben. Warum denn?
Die 56-jährige Juristin Ursula Uttinger hat in diversen Unternehmen als Datenschutzbeauftragte Erfahrungen gesammelt. Seit über 20 Jahren doziert sie an verschiedenen Hochschulen, insbesondere der Hochschule Luzern, über Datenschutz und IT-Recht. Zudem ist Uttinger als selbständige Beraterin für Datenschutz tätig.
Die 56-jährige Juristin Ursula Uttinger hat in diversen Unternehmen als Datenschutzbeauftragte Erfahrungen gesammelt. Seit über 20 Jahren doziert sie an verschiedenen Hochschulen, insbesondere der Hochschule Luzern, über Datenschutz und IT-Recht. Zudem ist Uttinger als selbständige Beraterin für Datenschutz tätig.
Hat er wirklich konkret für die kommerzielle Auswertung und Nutzung grünes Licht gegeben? Ich habe meine Zweifel. Und er hat die SBB verpflichtet, eine Datenschutz-Folgenabschätzung vorzunehmen.
Der Begriff sagt mir nichts.
Weil das Gesetz dazu noch nicht in Kraft ist! Es besagt, dass wenn jemand eine neue Datenbearbeitung und -auswertung machen will, er schauen muss, ob diese Auswertung das Risiko birgt, die Grundrechte oder Persönlichkeitsrechte von Personen zu beschneiden. Das ist natürlich sehr subjektiv. Sollten die SBB zum Urteil gelangen, dass es ein Risiko geben könnte, müssen sie einschätzen, wie hoch dieses Risiko wäre. Und nur wenn die SBB ein hohes Risiko erkennen, müssten sie der Datenschutzstelle Meldung machen. Und diese könnte dann immer noch die Erlaubnis erteilen.
Wenn Sie sagen, das Gesetz sei noch gar nicht in Kraft. Wie kann der Datenschützer es dann schon anwenden?
Es tritt erst am 1. September, also diesen Herbst, in Kraft. Es scheint mir schon so, dass dem Datenschützer schwant, dass die SBB-Pläne heikel sein dürften. Und – lassen Sie mich das so sagen – der oberste Datenschützer Adrian Lobsiger hat offenbar versucht, den SBB eine Lösung aufzuzeigen. Die Folgenabschätzung dürfte der Umsetzung kaum im Weg stehen. Denn ich sehe nicht, dass die Bundesbahnen bei dieser Bearbeitung ein hohes Risiko einer Persönlichkeits- oder einer Grundrechte-Verletzung finden werden.
Warum nicht?
Sehen die SBB, dass ich jeden Morgen beim selben Geschäft ein Gipfeli hole, habe ich deswegen kein hohes Risiko einer Rechtsverletzung. Das könnte hypothetisch – aber das sind wir schon bei Science Fiction – dann der Fall sein, wenn diese Informationen mit jenen meiner Krankenkasse verbunden würden und diese mir dann gewisse Zusatzversicherungen verweigerte. Das ist ja aber nicht der Fall.
Und weshalb braucht es denn Gesichtserkennungskameras? Und was heisst denn anonymisiert? Gibt es diese Anonymität bei Daten heute überhaupt noch? Angenommen, jemand macht etwas, was aussergewöhnlich ist. Er kauft beispielsweise jeden Morgen eine Wodkaflasche – und arbeitet womöglich noch bei den SBB als Lokführer. Ist es wirklich garantiert, dass dieser Person keine Nachteile aus der Überwachung erwachsen? Oder nehmen Sie den umgekehrten Fall …
Ja?
Es geschieht ein Zugunfall und die SBB haben die Überwachungsdaten nicht mit den Personaldaten verknüpft. Sie haben also deswegen nicht gemerkt, dass der Lokführer angetrunken fährt. Dann kommt doch sofort die Forderung, diese Daten künftig zu nutzen, um Unfälle zu vermeiden.
Also sollte man diese Möglichkeiten gar nicht schaffen?
Genau! Nochmals: Weshalb brauchen die SBB plötzlich Gesichtserkennungskameras? Wenn es tatsächlich nur darum ginge, Kundenfrequenzen zu messen, würden die heutigen Kamerasysteme doch wohl ausreichen.
Was erwarten Sie von den SBB?
Ich erwarte von diesem Bundesbetrieb, der ja uns allen gehört und von uns subventioniert wird, dass er zum Voraus und von sich aus transparent über seine Pläne informiert. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, was an den Bahnhöfen geplant ist. Und ich erwarte zweitens, dass die SBB ihre Datenschutz-Folgenabschätzung öffentlich machen. So könnte man sehen, wie die SBB mögliche Risiken einschätzen. Und drittens: Die Bundesbahnen sollten sich hinterfragen, ob sie diese Datenauswertung überhaupt brauchen oder nicht besser lassen sollten.