Die Rechtskommission des Ständerats will extremistische Symbole verbieten. Bereits im Mai hatte der Nationalrat für ein Verbot von Nazi-Symbolen gestimmt. Doch das geht der Ständeratskommission zu wenig weit. Sie will auch rassendiskriminierende, extremistische und gewaltverherrlichende Symbole untersagen.
Die Kommissionsmotion soll in der Wintersession vom Ständerat behandelt werden. Blick sprach über das Thema mit Extremismusforscherin Mirjam Eser Davolio von der ZHAW.
Frau Eser, haben Sie schon einmal gesehen, wie jemand in der Schweiz den Hitlergruss zeigt?
Mirjam Eser Davolio: Bisher nur im Fernsehen. Aber natürlich wird der Hitlergruss auch bei uns gebraucht, um zu provozieren.
Doch die Geste scheint nicht weit verbreitet zu sein. Besteht überhaupt ein Problem?
Nazi-Symbole breiten sich in der Öffentlichkeit aus. Bei den Fachstellen für Extremismus nehmen die Meldungen zu. Hakenkreuze werden an Wände gesprayt oder in Holzbänke geritzt. Vor allem ländliche Regionen sind davon betroffen.
Wie erklären Sie sich das?
Wir wissen nicht, weshalb. Seit 2008 gab es keine vertieften Untersuchungen zu Rechtsextremismus. Einzige Ausnahme ist eine repräsentative Schülerbefragung der ZHAW aus dem Jahr 2018. Sie kam zum Schluss: In der Schweiz weisen 10 Prozent der jugendlichen Männer rechtsextremistische Einstellungen auf – bei den Mädchen waren es knapp 6 Prozent.
Dem muss man doch nachgehen.
Ja, aber das öffentliche Interesse daran hat abgenommen. Viele nehmen an, der Rechtsextremismus gehe in der Schweiz zurück. Dabei zeigen die Daten des Schweizer Nachrichtendienstes klar: Das Phänomen bleibt konstant.
Geraten die Gräueltaten der Nazis in Vergessenheit?
Damit die Erinnerung nicht verloren geht, braucht es Bildung. In den Schulen wird der Holocaust weiterhin thematisiert. Doch die Geschichtslektionen werden abgebaut, zugunsten anderer Fächer wie Informatik. Kommt hinzu: Die Schulen müssen den Holocaust nicht behandeln. In den meisten europäischen Ländern ist das längst Pflicht.
Dennoch werden nationalsozialistische Symbole in Staaten wie Italien, Ungarn und Polen salonfähig. Droht dasselbe in der Schweiz?
Damit rechne ich nicht, da in der Schweiz nur extremistische Kreisen solche Symbole verwenden. Alle politischen Parteien lehnen sie ab. Doch wir dürfen nicht nachlässig werden. In Italien hielt man es auch für unmöglich, dass Giorgia Meloni an die Macht kommt. Es gibt Bilder von Parteikongressen der Fratelli d’Italia, wo Politiker in der vordersten Reihe den Arm zum faschistischen Gruss erheben, das Zeichen des Mussolini-Kults, und Meloni auf dem Podium nicht eingreift. Jetzt sitzt sie an der Spitze der italienischen Regierung.
Wenn autoritäre Bewegungen erstarken, nützt ein Symbolverbot wenig.
Über den Nutzen lässt sich immer streiten. Fest steht: Die Symbole aus der NS-Zeit sind menschenverachtend. Ein umfassendes Verbot ist eine klare Aussage des Rechtsstaates, diese nicht zu tolerieren. Deshalb haben es Deutschland, Österreich und Frankreich bereits eingeführt.
Der Bundesrat lehnt ein umfassendes Verbot ab. Er argumentiert, die aktuelle Handhabung sei ausreichend.
Dem widerspreche ich. Es ist schwierig, festzustellen, ob ein Symbol zu Propagandazwecken gebraucht wurde. Bei einem allgemeinen Verbot wäre der Straftatbestand klar.
Aber es wäre enorm schwierig, alle nationalsozialistischen Symbole zu erfassen.
Es geht darum, die historischen Symbole aus der NS-Zeit zu verbieten, darunter der Hitlergruss oder das Hakenkreuz. So ist es auch in den anderen Ländern geregelt. Neuere Symbole wären in der Tat schwierig zu erfassen. Zudem entwickeln sie sich mit der Informationstechnologie weiter. Es würde beispielsweise keinen Sinn machen, Emojis zu verbieten. Man müsste das Verbot andauernd anpassen.
Die Anzahl Verbote wäre somit stark begrenzt.
Ja, aber trotzdem hätte es eine Signalwirkung. Während des Zweiten Weltkriegs gab es Schweizer, die in den SS-Truppen kämpften. Als sie in die Schweiz zurückkehrten, mussten sie ins Gefängnis. In Liechtenstein blieben sie jedoch ungestraft. In der Folge gab es dort eine stärkere Rechtsextremismus-Szene. Das zeigt: Es ist problematisch, wenn sich der Staat nicht klar positioniert.