Die Zürcher Justizdirektion hat mutmasslich über Jahre bei der Entsorgung von Computern geschlampt. Festplatten mit unverschlüsselten, höchst sensiblen Daten – Handynummern von Polizisten, Adressen von Staatsanwälten, gar psychiatrische Gutachten – gelangten ins Zürcher Milieu. Der Datenschutz-Spezialist Martin Steiger* fordert schnelle und lückenlose Aufklärung.
Blick: Herr Steiger, die Zürcher Justizdirektion räumt ein, dass bis 2012 Datenträger nicht fachgerecht entsorgt wurden, wodurch Daten in falsche Hände geraten sind. Mehr will man wegen eines laufenden Strafverfahrens nicht sagen. Geht das?
Martin Steiger: Ich bin erstaunt! So verfestigt sich der Eindruck, dass man die Sache möglichst unter dem Deckel halten will. Es stellen sich verschiedene juristische und politische Fragen. Klar aber ist heute schon: Der Vertrauensverlust in die Zürcher Justiz ist enorm.
Welche juristischen Fragen stellen sich?
Erfreulicherweise haben die Medien ihre Aufgabe wahrgenommen und den Fall ans Licht gebracht. Die Behörden wollten anscheinend keine Transparenz schaffen. Wenn es zutrifft, dass man Geld sparen wollte bei der Entsorgung und die Hardware einfach ohne Vertrag abgegeben hat, könnten Sorgfaltspflichten verletzt worden sein. Wenn Festplatten mit dem blossen Hinweis abgegeben wurden, man solle die Daten löschen, um die Festplatten weiterverkaufen zu können, wäre sogar eine Amtsgeheimnisverletzung denkbar. Gab es wirklich keine technischen und organisatorischen Schutzmassnahmen?
Das wäre ein Offizialdelikt. Das hätte die Staatsanwaltschaft von sich aus schon 2020 untersuchen müssen. Nun aber verjährt das Delikt Ende Jahr!
Ob ein Delikt vorliegt, müsste im Zweifelsfall ein Gericht entscheiden. Bei Offizialdelikten gibt es in der Praxis einen gewissen Spielraum. Jetzt kommen wir zum Politischen: Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Justizdirektion. Hatte die Staatsanwaltschaft Beisshemmung?
Danach sieht es aus.
Der Eindruck kann täuschen, wir wissen es nicht. Offenbar gibt es einen internen Bericht. Dieser muss so rasch wie möglich veröffentlicht werden. Schliesslich gilt im Kanton Zürich das Öffentlichkeitsprinzip.
Und was erwarten Sie weiter?
Es geht um das Vertrauen. Die Angelegenheit könnte ausserkantonal und unabhängig nochmals geprüft werden. Naheliegend wäre ein Sonderstaatsanwalt. Es stehen viele schwerwiegende Vorwürfe im Raum. Solange unklar bleibt, weshalb die Staatsanwaltschaft der Angelegenheit nicht nachging, denken misstrauische Menschen an Amtsmissbrauch oder Begünstigung. Die Zürcher Justiz sollte nicht mit solchen Vorwürfen leben müssen.
Was muss politisch passieren?
Die GPK in Zürich muss vollumfänglich unterrichtet werden. Auch muss klargestellt werden, wie genau die Datenschutzbeauftragten von Bund und Kanton über den Fall informiert wurden und was sie unternommen haben. Wir können uns aussuchen, ob wir unsere Daten Facebook geben oder nicht. Beim Staat haben wir aber keine Wahl. Wir müssen den Behörden vertrauen, ob wir wollen oder nicht. Sorgfalt und Vertrauen sind deshalb besonders wichtig.
Sie haben getwittert, dass Jacqueline Fehr zurücktreten müsste, hätten Behördenmitglieder Verantwortung zu tragen. Ist das Ihr Ernst?
Wenn ich den Medienberichten glauben darf, hielt Regierungsrätin Fehr die Angelegenheit unter dem Deckel, anstatt Transparenz und damit Vertrauen zu schaffen. Was hat die Justizdirektorin zu verbergen? Regierungsrätin Fehr nimmt in Kauf, dass die Reputation der Zürcher Justiz auf Jahre hinaus beschädigt ist. Das sollten nicht die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz ausbaden müssen, denn die Justizdirektorin trägt die politische Verantwortung.
* Martin Steiger ist in Zürich Anwalt und Spezialist für Datenschutzrecht, Immaterialgüterrecht, IT-Recht und Medienrecht.