So unterschiedlich hofften Vater und Sohn auf Ergebnis
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Die Josts zur Ehe für alle:So unterschiedlich hofften Vater und Sohn auf Ergebnis

EVP-Politiker Marc Jost kämpfte gegen die «Ehe für alle», obwohl sein Vater schwul ist
Am Abstimmungssonntag versöhnten sie sich

EVP-Politiker Marc Jost engagierte sich gegen die Ehe für alle. Sein Vater Samuel Jost ist schwul und wartete mit dem Coming-out jahrelang. Beide sind froh, dass der emotionale Abstimmungskampf nun vorüber ist.
Publiziert: 27.09.2021 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2021 um 07:25 Uhr
Ladina Triaca

Als Samuel Jost (75) als Jugendlicher das Lehrerseminar besucht, merkt er, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Trotzdem hat er eine Freundin. Später heiratet er sogar. «Es war damals unmöglich, als Lehrer offen schwul zu sein», sagt er heute. «Und ich hatte einen grossen Kinderwunsch.»

Samuel Jost fühlt sich seiner Frau seelisch verbunden. Sie bringt drei Kinder zur Welt und gibt ihnen den Glauben mit auf den Weg. «Meine Frau und ich begegneten uns auf Augenhöhe», sagt er. «Ich hätte nicht gedacht, dass es für mich so schwer werden würde.»

Schwuler Vater leidet

An diesem Sonntag steht Samuel Jost mit weissem Bart am Thunersee, neben ihm sein mittlerer Sohn Marc (47). Die Luft ist kalt und die Wellen treiben die Schwäne auf und ab. Es ist ein spezieller Tag. Die Schweiz stimmt in diesen Stunden über die Ehe für alle ab und Sohn Marc Jost kämpft an vorderster Front dagegen an.

Er politisiert seit Jahren in der EVP. Lange weiss er nicht, dass sein Vater schwul ist. Als dieser versucht, sich umzubringen, ist Marc noch ein Kind. Die Eltern halten das Leiden des Vaters vor ihm und seinen Geschwistern fern. Nicht verborgen bleiben dem Sohn hingegen die Spannungen zwischen den Eltern. «Ich hatte manchmal den Eindruck, ich müsse meine Mutter in Schutz nehmen – ich und mein Vater gerieten aneinander.»

Outing als Familienvater

Als Marc Jost über 20 Jahre alt ist, outet sich der Vater. Er fährt nach Spiez BE und öffnet sich gegenüber seiner Frau und den Kindern. «Ich hatte mich ganz fest verliebt und merkte: Ich muss endlich zu mir stehen.»

Zwei Jahrzehnte nach dem Coming-out erleben Vater und Sohn im Camping-Restaurant am See, wie die Schweiz die Ehe für Schwule und Lesben öffnet. 64 Prozent sagen in der ersten Hochrechnung Ja. Das Resultat auf dem Handybildschirm wird sich nicht mehr ändern. Die Kellnerin sagt mit rauchiger Stimme: «Dass wir 2021 überhaupt noch über so etwas abstimmen müssen!» EVP-Politiker Marc Jost sagt nichts.

«Ich bin stolz auf meinen Sohn»

Die letzten Wochen waren intensiv für ihn. Mit ruhiger Stimme erklärte er in der «Arena» und im «Club» des Schweizer Fernsehens, weshalb er dagegen ist, dass lesbische Frauen Zugang zur Samenspende erhalten und Homosexuelle gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Er sagt: «Ich wehre mich dagegen, dass man Kindern den Vater wegnimmt, ohne dass sie etwas dazu sagen können.»

Vater Samuel beeindrucken die Fernsehauftritte: «Ich bin stolz auf meinen Sohn. Er ist attraktiv, intelligent und argumentiert gut.» Die Argumentation des Sohnes leuchtet ihm ein. Früher vertrat er ähnliche Positionen. «Marc orientiert sich stark am Ideal. Das kann ich verstehen. Aber meine Realität ist inzwischen eine andere geworden.»

Vater lebt mit einem Mann

Samuel Jost lebt mit seinem Partner, einem Cellisten, im deutschen Freiburg im Breisgau. Regelmässig reist er in seine zweite Heimat Brienz BE und trifft sich mit seinen Kindern und Enkelkindern. Den Glauben an Gott hat er bewahrt, den Kontakt zur Kirche nicht. Er kann sich gut vorstellen, seine eingetragene Partnerschaft nun in eine Ehe umwandeln zu lassen.

Sohn Marc würde das keinem Schwulen empfehlen. Dennoch akzeptiert er die Beziehung seines Vaters. Er spricht von einem Lernprozess: «Zu Beginn war ich natürlich zurückhaltend und skeptisch. Heute kenne ich den Partner meines Vaters gut. Wir besuchen seine Konzerte und feiern gemeinsam Weihnachten.»

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist heute besser als früher. Sohn Marc Jost sagt: «Mein Engagement gegen die Ehe für alle war nur möglich, weil wir so eine tragfähige Beziehung haben. Sonst hätte ich das nicht gemacht.» Dennoch sind beide erleichtert, dass die Abstimmung nun vorbei ist. Es war eine intensive Zeit für beide. Jetzt werden sie das Thema erst einmal ruhen lassen.

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