Schwere Schmerzen, langes Leiden oder starke Angst. Sogenannte belastende Tierversuche werden vom Bund nur in Superlativen umschrieben. Und die stehen immer mehr Mäusen, Ratten & Co bevor: 2022 mussten 27'030 Tiere für besonders leidvolle Eingriffe hinhalten – ein Anstieg von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die gesamte Anzahl Tierversuche bleibt nach einem starken Abfall Anfang der 80er-Jahre seit etwa 20 Jahren konstant. Das, obwohl der Bund seit Jahren beteuert, Tierversuche einschränken zu wollen und dafür auch Millionen spricht.
Seit 1987 wurden 12 Millionen in die Stiftung 3R investiert – im Englischen stehen die «R» für «replace» (ersetzen), «reduce» (reduzieren) und «refine» (verbessern). Vor drei Jahren flossen nochmals 20 Millionen in ein nationales Forschungsprogramm, um die 3R weiter zu fördern.
40'000 Unterschriften
«Bei den stagnierenden Zahlen muss man den Nutzen der 3R hinterfragen», sagt Stefan Kunz (41) von Animalfree Research. Zusammen mit anderen Tierschützern hat die Organisation darum am Montag eine Petition mit über 40'000 Unterschriften eingereicht.
Während die Initiative für ein Verbot von Tierversuchen 2022 an der Urne eine Klatsche kassiert hat, geht die Petition moderater vor und zielt vor allem auf belastende Tierversuche: «Wir fordern einen stufenweisen Ausstiegsplan», so Kunz. Es brauche ausserdem endlich verpflichtende Ziele, um tierversuchsfreie Alternativen zu fördern.
«Das Problem ist nicht ein Mangel an Optionen»
Selbst Nico Müller (33), Forschender im nationalen Forschungsprogramm 3R, übt Kritik am Vorgehen des Bundes. «Vor allem an Universitäten und in der Grundlagenforschung werden viele Tierversuche durchgeführt, obwohl die Möglichkeiten gerade in diesem Bereich oft flexibel sind.»
Heisst, unabhängig von Auftraggebern aus der Industrie und gesetzlichen Vorgaben stünden alternative Methoden zur Verfügung. Das zeige: «Das Problem ist nicht nur ein Mangel an Optionen, sondern fehlender Wille».
Öffentliche Institute als Treiber
Tatsächlich wurden 2022 57 Prozent aller Tierversuche an Hochschulen und Spitälern durchgeführt. Und öffentliche Institute holen immer mehr Tiere ins Labor: In den letzten 20 Jahren hat sich die Anzahl Versuche auf über 300'000 verdoppelt. Gleichzeitig versucht der Bund, mit öffentlichen Geldern genau das zu verhindern.
Die Forschung sitze gewissermassen in einem Korsett fest, begründet Müller die paradoxe Situation. Weil Tierversuche in manchen Forschungsfeldern als Standard gelten, gäbe es dort am meisten Finanzierung, Stellen und Infrastruktur.
Die 3R würden laut Kunz auch genug Spielraum bieten, um eine tierfreundliche Forschung vorzuhalten, ohne wirklich etwas zu verändern: «Es wird oft auf das dritte ‹R› gesetzt. Man macht also das Leben der Versuchstiere etwas angenehmer, ohne die Tierversuche wirklich zu reduzieren».
Schlechtere Karrierechancen ohne Tierversuche
Es gäbe auch Forschungsfelder, in denen man heute schlechtere Karrierechancen habe, wenn man ohne Tierversuche arbeitet, so Müller. «Forschungspublikationen werden bisweilen mit dem Argument abgelehnt, dass man die Alternativmethode zusätzlich durch Tierversuche validieren müsste».
Müller hält fest: «Der Bund ist nicht machtlos und könnte an konkreten Hebeln ansetzen.» Er schlägt vor, schon in der Ausbildung vermehrt auf tierversuchsfreie Methoden zu setzen und diese auch finanziell zu fördern. Das solle die Anreize für Forschende neu gewichten und eine freiere Methodenwahl ermöglichen.
Auch Kunz betont: «Tierversuche sind noch immer der Goldstandard in der Forschung. Hier muss der Bund eingreifen».