Einsame Kämpferin
Frau Herrens heilige Mission

Praktisch im Alleingang brachte Franziska Herren die Trinkwasser-Initiative zustande. Doch ihr Einzelkämpfertum steht ihr oft im Weg.
Publiziert: 30.05.2021 um 14:04 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2021 um 08:27 Uhr
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Als Franziska Herren ihre Trinkwasser-Initiative lancierte, war sie mit viel fragenden Gesichtern konfrontiert.
Foto: Philippe Rossier
Camilla Alabor

Die ersten Nächte schlief Franziska Herren (54) schlecht. Niemand schien zu verstehen, wofür genau sie auf der Strasse stand und Unterschriften sammelte. Pestizide, Antibiotika? Im Trinkwasser? Fragende Gesichter.

«Da habe ich mir schon etwas Sorgen gemacht», erinnert sich die frühere Fitnesstrainerin an jene Zeit vor vier Jahren. «Ich merkte: Die Bevölkerung weiss gar nicht, unter welchen Bedingungen ihre Lebensmittel produziert werden.»

Wofür Herren da Unterschriften sammelte, steht am 13.Juni zur Abstimmung: die Trinkwasser-Initiative. Während der ersten Tage musste sie jeweils ziemlich weit ausholen: Wie sehr die konventionelle Landwirtschaft auf dem Einsatz von Pestiziden, Importfutter und Antibiotika beruhe. Wie diese Stoffe in der Umwelt landen. Und wie sie das Trinkwasser belasten.

Nur zwei Wochen später, Anfang April 2017, nimmt die Unterschriftensammlung plötzlich Fahrt auf. Grund ist eine Studie des ETH-Instituts Eawag. Detaillierte Untersuchungen von fünf Schweizer Bächen zeigen die Folgen der «traditionellen» Landwirtschaft auf: Die Gewässer sind stark mit Pestiziden verschmutzt.

Die Medien berichten, das Bild der naturnahen Schweizer Landwirtschaft bekommt Risse – und Franziska Herren enormen Aufschwung. Als sie bei mehr als 70'000 Unterschriften angelangt ist, erhält sie Unterstützung von Greenpeace. In weniger als einem Jahr gelingt es ihr, die Initiative einzureichen.

Simpler Ansatz

Herrens Ansatz ist so simpel wie bestechend: Keine Steuergelder für eine Landwirtschaft, die der Umwelt schadet. Die Bernerin, von klein auf ökologisch erzogen, ist keine Agrarspezialistin. Aber eine Bürgerin mit einer Mission. Das ist ihre Stärke. Und ihre Schwäche zugleich.

Das zeigt sich, als Herren Mitstreiter sucht; die Unterschriftensammlung ist zu diesem Zeitpunkt bezeichnenderweise bereits im Gange. Ihre Ansprechpartner sind Bio Suisse, der Verband der Schweizer Biobauern, und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau, kurz Fibl. Vertreter beider Institutionen machen Herren auf problematische Passagen im Initiativtext aufmerksam – Passagen, die ihr die Gegner im Abstimmungskampf heute vorhalten.

So ist im Text die Rede von einer «pestizidfreien» Produktion, ohne die Art dieser Stoffe zu präzisieren. Das Problem: Auch der Biolandbau verwendet Pestizide, allerdings keine synthetischen. Das zweite Problem ist die Forderung, dass ein Bauer, sofern er Direktzahlungen erhalten will, nur so viele Tiere halten darf, wie er mit dem «auf dem Betrieb produzierten Futter» ernähren kann. Eine restriktive Definition, auch für gewisse Biobauern.

Just jene Art der Landwirtschaft, die Herren eigentlich unterstützen will, würde unter den Bestimmungen zu leiden haben. Wie ist das möglich?

Urs Niggli, der frühere Fibl-Chef, erinnert sich noch gut an die Unterhaltung mit Herren vor vier Jahren. Er versuchte ihr zu erklären, dass die besagten Passagen keine gute Idee seien, wenn man den Biolandbau stärken wolle. «Das ist eine völlig falsch formulierte Initiative», habe Niggli gesagt. Daraufhin sei Herren gegangen, «leicht verschnupft». Eine Anpassung des Initiativtextes nahm sie nicht vor.

Dazu befragt, verweist Herren auf ein Dokument, auf das sie sich bei der Ausarbeitung der Initiative stützte, und laut dem die Subventionierung von Pestiziden aufzuheben sei. Da Bio Suisse an dessen Ausarbeitung beteiligt war, sei sie überzeugt gewesen, die Biobauern teilten ihr Ziel, von Pestiziden wegzukommen, sagt Herren.

Volksinitiative auch ohne Bio Suisse

Doch warum hielt sie am Initiativtext fest, nachdem Bio Suisse sie auf die Probleme hingewiesen hatte?

Ihr sei von Anfang an klar gewesen, antwortet Herren: «Wenn wir die Unterstützung von Vertretern des Biolandbaus nicht bekommen, dann ist das so. Eine Volksinitiative kommt vom Volk aus.»

In Tat und Wahrheit hätte sich Herren wohl viel Ungemach ersparen können, hätte sie von Anfang an die Kräfte miteinbezogen, die ihre Ziele im Grunde teilen. Statt ihr Ding alleine durchzuziehen.

Allerdings würde es die Trinkwasser-Initiative dann vielleicht gar nicht geben. Denn ohne den heiligen Ernst, mit dem Herren ihre Vision einer pestizidfreien Landwirtschaft verfolgt, wäre die Vorlage möglicherweise gar nie zum Fliegen gekommen.

So war sie sich nicht zu schade, in stundenlanger Arbeit Unterschriften zu sammeln. Und sich nicht von all jenen beeindrucken zu lassen, die sie als Einzelkämpferin nicht ganz ernst nahmen.

Dadurch ist Herren etwas gelungen, wofür ihr selbst die Gegner Respekt zollen: Sie hat eine landesweite Debatte ins Rollen gebracht. Über Pestizide in der Landwirtschaft. Über deren Auswirkungen auf Mensch und Natur. Und über inkonsequente Konsumenten, die sich zwar gegen Pestizide aussprechen, schrumpelige Äpfel aber links liegen lassen.

Dass die Schweiz diese Debatte führt, ist Herrens Verdienst. Und das bleibt. Unabhängig davon, wie das Abstimmungsresultat am 13.Juni ausfällt.

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