Ein Jahr vor den Wahlen 2023
Welche Parteien in Form sind – und welche nicht

Ein Jahr noch, dann wird in der Schweiz ein neues Parlament gewählt. Welche Parteien müssen zittern, welche starten aus der Poleposition in den Wahlkampf? Blick macht den Formcheck.
Publiziert: 22.10.2022 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2022 um 15:38 Uhr
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Parteipräsident Marco Chiesa ist kaum wahrzunehmen – dennoch dürfte die SVP die Wahlen 2023 mit einem stabilen Resultat abschliessen.
Foto: Keystone

Es ist ähnlich wie bei den Aktienfonds: Nur weil dieser oder jener in der Vergangenheit besonders erfolgreich war, heisst dies nicht, dass es auch so bleibt. Und wenn eine Partei seit den eidgenössischen Wahlen 2019 immer nur zulegte, ist das zwar bemerkenswert, aber ebenfalls noch keine Garantie, dass es auch so weitergeht.

Nehmen wir die beiden Ökoparteien. Diese legten nicht nur bei den Parlamentswahlen im Herbst vor drei Jahren stark zu, sie wuchsen seither auch in den Kantonen. Dennoch dürften sie bei den kommenden Wahlen in genau einem Jahr recht unterschiedlich abschneiden.

Und die SP? Die zweitgrösste Partei im Land ist seit 2019 im Krebsgang. Geht es auch am 22. Oktober 2023 weiter abwärts? Das muss nicht sein.

Und für Erfolg braucht es offenbar nicht einmal einen starken Chef. Obwohl Marco Chiesa (48) kaum präsent ist, die SVP während Corona nah an den Impfskeptikern politisierte und jüngst Parteiexponenten als Putin-Versteher von sich reden machten – für die grösste Partei im Land sieht es nicht schlecht aus.

Das ist der Formstand der grössten Parteien 365 Tage vor dem Wahltermin.

SVP – stabile Grossmacht

Wahlerfolg. Nachdem die SVP bei den Wahlen 2019 und danach ordentlich Federn lassen musste, konnte sie sich zuletzt stabilisieren und in Glarus, Obwalden, Solothurn gar zulegen.
Themenkonjunktur. Die Corona-Krise war für die SVP ein zweischneidiges Schwert. Zwar begeisterte sie in Skeptikerkreisen, doch ältere Stammwähler, die zur Risikogruppe gehören, waren vom Trychler-Kurs eher irritiert. Die Energiekrise aber – geschickt gespielt als Angriff aufs Portemonnaie – könnte der SVP zum Vorteil gereichen. Und wenn die Zuwanderung wieder anzieht, kommt das SVP-Thema Nr. 1 zurück.
Präsidium. Nett, sympathisch, aber wo? Dass Marco Chiesa (48) Präsident ist, merkt man nicht.
Prognose. Die SVP bleibt stabil – und die mit Abstand grösste Partei des Landes.

SP – geschwächte Zweite

Wahlerfolg. Die SP ist sich das Verlieren inzwischen gewöhnt. In 15 von 18 Kantonen, in denen seit 2019 gewählt wurde, machten die Genossen minus. 39 Sitze gingen verloren.
Themenkonjunktur. Steigende Preise, Prämien und Energiekosten: In Krisenzeiten kann die SP mit ihrem Kampf für die Schwächsten punkten. Das Thema Kaufkraft wird eines der Kernthemen im SP-Wahlkampf. Mit Europapolitik kann die Partei zurzeit keinen Blumentopf gewinnen – da hat die Bevölkerung längst abgehängt.
Präsidium. Das knappe Ja zur AHV-Reform in diesem September war ein schwerer Schlag fürs SP-Duo Mattea Meyer (34) und Cédric Wermuth (36). Gut, haben sie einen Kampagnenprofi zum Generalsekretär gemacht: Er wird einiges zu tun haben.
Prognose. Für die Genossen wird es schon ein Erfolg sein, wenn sie nicht allzu viele Prozentpunkte verlieren.

FDP – Trendwende dank Rechtskurs

Wahlerfolg. Der Freisinn gehört zu den Verlierern – ganze 36 Sitze verlor die Partei seit 2019 in den Kantonen. Doch es geht wieder aufwärts: In diesem Jahr legte die FDP bei drei von vier Wahlen zu.
Themenkonjunktur. 2019 hatte die FDP Pech: Den Kampf gegen den Klimawandel nahm ihr einfach niemand ab. Doch jetzt geht es nicht um die Erderwärmung, sondern um Versorgungssicherheit. Da können die Liberalen punkten. Sicherheit, ob militärisch, bei der Energie oder den Sozialwerken, liegt angesichts eines Krieges mitten in Europa im Trend.
Präsidium. Thierry Burkart (47) ist ein starker Präsident. Er hat die FDP wieder auf einen stramm bürgerlichen Kurs geführt. Nicht zur Freude des linken Flügels – doch die letzten Wahlerfolge scheinen dem Aargauer recht zu geben.
Prognose. Die FDP wird leicht zulegen und sehr nah an die SP herankommen.

Mitte – fusionierte Hoffnung

Wahlerfolg. CVP + BDP = 13,9 Prozent. So viel Wähleranteil holten die beiden Parteien 2019. Doch die neue Mitte ist seither in den Kantonen um mehr als 40 Mandate geschrumpft.
Themenkonjunktur. Die Beackerung der Heiratsstrafe ist ein altes Anliegen, aber trickreicher als die Partei meint. Da fliegen ihr nicht alle Herzen zu. Profilieren konnte sich die Mitte, als sie schnell und klar gegen Russland Stellung bezogen und das geschickt mit einer Debatte über westliche Werte verknüpft hat.
Präsidium. Seitdem der «Tatort» einen weniger in den Bann zieht, fällt auch Gerhard Pfister (60) nach der Festnahme des TV-Mörders nicht mehr in ein tiefes Loch, das er jeweils mit wildem Twittern füllte. Jetzt findet man kaum mehr etwas, das man am unangefochtenen Chef im politischen Zentrum kritisieren könnte.
Prognose. Dass 1+1 nicht immer 2 ergibt, weiss die Mitte selbst. Sie kann froh sein, wenn sie 13,9 Prozent erreicht.

Grüne – den Zenit erreicht

Wahlerfolg. Nachdem die Grünen bei den Wahlen 2019 einen überwältigenden Sieg eingefahren haben, legen sie seither auch in den Kantonen weiter zu. 51 zusätzliche Sitze haben sie sich geschnappt.
Themenkonjunktur. Die Klimakrise bleibt ein Dauerbrenner. Doch von der Corona-Krise und nun auch durch den Ukraine-Krieg wird das Thema immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Schlagzeilen machen vor allem noch klebrige Klima-Aktivisten, was auch dem Ruf der Grünen schadet. Gleichzeitig gerät wegen des drohenden Strommangels auch die Energiewende unter Druck. Im Moment ist gerade alles etwas kompliziert.
Präsidium. Wegen der Öko-Welle waren die Grünen lange fast ein Selbstläufer. Das ist kein Verdienst des Präsidiums unter Balthasar Glättli (50). Die Partei hat weiter Mühe, ihre Zugewinne in politische Erfolge umzumünzen.
Prognose. Die Grünen haben ihren Zenit vorläufig erreicht.

GLP – nach wie vor im Trend

Wahlerfolg. Wie die Grünen konnten auch die Grünliberalen auf der Öko-Welle mitsurfen. Nach den erfolgreichen Wahlen 2019 punkten sie auch in den Kantonen und konnten satte 51 Mandate zulegen. Die GLP liegt nach wie vor im Trend.
Themenkonjunktur. Die Klimakrise ist weiterhin ein wichtiges Thema, wenn auch nicht mehr ganz so dominant. Da kommt es der GLP entgegen, dass sie als weniger eindimensional als die Grünen angesehen werden.
Präsidium. GLP-Präsident Jürg Grossen (53) macht einen soliden Job, ohne gross aufzufallen – weder positiv noch negativ. Der Partei fällt es nach wie vor schwer, eigene Themen zu setzen.
Prognose. Die GLP profitiert weiter vom Trend und kann nochmals etwas zulegen.

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