BLICK: Herr Mäder, der Bundesrat hat vergangene Woche seinen Lockerungsfahrplan präsentiert. Ist der richtig?
Christoph Mäder: Wir sind erleichtert, dass der Bundesrat einen Plan mit stufenweisem Vorgehen vorgelegt hat. Das hatten wir ja gefordert. Positiv ist auch, dass er den Detailhandel per 1. März wieder öffnet. Wir hätten aber erwartet, dass der Bundesrat der Gastronomie entgegenkommt und zumindest die Terrassen öffnen dürfen. Zudem gefällt uns nicht, dass an der Homeoffice-Pflicht festgehalten wird. Eine Pflicht macht einfach keinen Sinn, weil der Aufwand für einige Unternehmen viel zu gross ist.
Verglichen mit der Kritik gewisser anderer Akteure tönen Sie zufrieden.
Economiesuisse hat immer anerkannt, dass die massgebliche Richtschnur die epidemiologische Lage ist. Wichtig ist nun, dass der Bund die Massnahmen ständig überprüft, lockert, wenn es die Lage zulässt, und nicht vorschnell wieder Verschärfungen beschliesst. So ein Auf und Ab wollen wir auf keinen Fall.
Nach einem Jahr Krise: Welche Note würden Sie dem Bundesrat für die Krisenbewältigung geben?
Es steht mir nicht zu, Noten zu verteilen. Aber da ist schon einiges schiefgelaufen – etwa in der Kommunikation. Der absolute Super-GAU war die Maskengeschichte zu Beginn der Krise. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wie man fälschlicherweise behaupten konnte, dass Masken nichts nützen. Das hat der Glaubwürdigkeit und dem Vertrauen grossen Schaden zugefügt, wie auch das Hickhack zwischen Bund und Kantonen. Zudem hat man beim breiten Testen viel zu lange gezögert. Und nicht zuletzt frustriert mich das Impfmanagement.
Christoph Mäder (62) hat im Oktober 2020 von Heinz Karrer (61) das Economiesuisse-Präsidium übernommen. Der Aargauer Pfarrerssohn studierte Jura und war danach für Sandoz und Novartis tätig. Von 2000 bis 2018 gehörte er der Geschäftsleitung des Chemiekonzerns Syngenta an. Mäder ist Verwaltungsratsmitglied verschiedener Konzerne, etwa von Ems-Chemie und Lonza. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern lebt in Hergiswil NW. Am liebsten ist er – sommers wie winters – in den Bergen.
Christoph Mäder (62) hat im Oktober 2020 von Heinz Karrer (61) das Economiesuisse-Präsidium übernommen. Der Aargauer Pfarrerssohn studierte Jura und war danach für Sandoz und Novartis tätig. Von 2000 bis 2018 gehörte er der Geschäftsleitung des Chemiekonzerns Syngenta an. Mäder ist Verwaltungsratsmitglied verschiedener Konzerne, etwa von Ems-Chemie und Lonza. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern lebt in Hergiswil NW. Am liebsten ist er – sommers wie winters – in den Bergen.
In welcher Hinsicht?
In einem Land, das sich als hochtechnologisiert betrachtet, kann es doch nicht so schwierig sein, für die Anmeldungen einigermassen zeitgerecht ein funktionierendes IT-Tool bereitzustellen. Das ist eine riesige Enttäuschung. Wenn die Krise etwas Gutes hat, dann hoffentlich, dass man die Digitalisierung jetzt wirklich mit Verve vorantreibt.
Bis Corona alles verdrängt hat, war das Rahmenabkommen das wichtigste Thema für die Wirtschaft. Bis vor kurzem hat Economiesuisse den Vertrag vorbehaltlos unterstützt. Jetzt gibt man sich vorsichtiger. Was hat zum Umdenken geführt?
Wir haben das Abkommen nie vorbehaltlos unterstützt. Was wir vorbehaltlos unterstützen, ist das Weiterführen des bilateralen Wegs. Und dafür hat sich bislang keine andere Lösung als realistisch erwiesen als eben das Rahmenabkommen. Wir teilen jedoch die Meinung, dass es beim Vertrag noch Klärungen und Verbesserungen braucht. Wenn diese auf dem Tisch liegen, werden wir eine Gesamtbeurteilung vornehmen.
Wo liegen für Sie die roten Linien?
Ein heikler Punkt ist die Unionsbürgerrichtlinie. Wenn es nicht gelingt, den Zugang zu unseren Sozialwerken auf Personen zu beschränken, die einen Arbeitsvertrag haben, wird die Wirtschaft ziemlich sicher Nein sagen zum Abkommen.
Ins Zentrum der Debatte rücken nun aber Souveränitätsfragen, etwa wenn es um den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht. Wie stehen Sie dazu?
Souveränität ist für mich nichts Absolutes. Wir müssen uns fragen: Was ist der Preis, den wir für Souveränität zu zahlen bereit sind? Im Idealfall hätte auch ich den EuGH gern draussen. Aber ist das zu haben? Und solange der Zuständigkeitsbereich des EuGH klar definiert ist, ist er für mich keine Horrorvorstellung. Da können die Gegner noch lange behaupten, das Rahmenabkommen gebe der EU die Möglichkeit, uns sämtliches Recht vorzuschreiben. Das ist einfach falsch.
Sie haben die Gegner angesprochen: Mit Autonomiesuisse und Kompass Europa sind neue Spieler aus der Wirtschaft auf dem Feld. Sie verlieren die Meinungsführerschaft.
Es hat in der Wirtschaft immer kritische Stimmen gegeben. Aber die grosse Frage ist: Was ist denn die Alternative zum Rahmenabkommen? Darauf hat bis jetzt noch niemand eine überzeugende Antwort geliefert! Wir sind mitten in Europa, 50 Prozent unserer Exporte gehen nach Europa, 80 Prozent unserer Importe kommen von Europa. Es muss mir mal jemand erklären, warum es für die Schweiz nicht nützlich ist, ein gutes und solides Verhältnis zu ihren europäischen Nachbarn zu haben.
«Das schadet der Schweizer Wirtschaft» ist aber kein Totschlag-Argument mehr. Dies hat spätestens die Konzernverantwortungs-Initiative eindrücklich gezeigt. Auch die Debatte um die E-ID zeugt vom Misstrauen in die Wirtschaft. Wie erklären Sie sich das?
Zur E-ID: Die Schweiz ist immer sehr gut gefahren mit der Zusammenarbeit zwischen Privaten und öffentlicher Hand – bestes Beispiel ist die Berufsbildung. Ich bin schon erstaunt, dass bei der E-ID die Tatsache, dass nicht alles beim Staat ist, den Ausschlag geben soll … Wenn wir wegkommen von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat, haben wir ein Problem.
Noch mal zum Killerargument «Das schadet der Schweizer Wirtschaft»...
Also so einfach, wie Sie sagen, konnte es sich die Wirtschaft früher auch nicht machen! Aber ich gebe Ihnen recht, dass heute in breiten Kreisen die Skepsis gegenüber der Wirtschaft – besonders gegenüber Grossunternehmen – zugenommen hat.
Und woran liegt das?
Wir leben in einer Zeit, in der es zwei, drei Generationen nur noch sehr gut und immer besser gegangen ist. Man gewöhnt sich an den Wohlstand und fragt sich gar nicht mehr, was es braucht, um diesen zu halten. Ich sehe hier die Wirtschaft – auch Economiesuisse – in der Pflicht: Wir müssen wieder klarmachen, was unser Beitrag zum Wohlstand, zum Sozialstaat, zur Infrastruktur ist.
Aber muss nicht auch die Wirtschaft selbst etwas ändern, sich den neuen gesellschaftspolitischen Realitäten anpassen?
Ja, natürlich. Und das passiert auch längst. Wir haben Kunden, Investoren, Mitarbeiter, die nicht nur Dividende, Aktienkurs oder Lohn und Aufstiegschancen im Blick haben. Welche Werte eine Firma vertritt – und wogegen sie sich abgrenzt –, wird immer entscheidender. Glauben Sie mir: Die Firmen stehen da unter enormer Beobachtung. Ausserdem sind wir ja Teil der Gesellschaft und keine Parallelwelt, also auch Teil des gesellschaftlichen Wandels. Das müssen wir besser kommunizieren. In allen meinen Gesprächen mit Vertretern der Branchen ist das eines der Hauptthemen.
Was heisst das konkret?
Wir brauchen Leute, die hinstehen. Führungskräfte aus der Wirtschaft, die auch darüber reden, was sie Gutes tun. Wir müssen aber auch mit anderen Kreisen reden.
Also zum Beispiel mit NGOs?
Ich habe früher in den Firmen, in denen ich tätig war, immer wieder mit NGOs zusammengearbeitet. Unter einer Voraussetzung: Es müssen alle an einem konstruktiven Dialog interessiert sein. Aber es gibt NGOs, die das nicht sind.
Wo sehen Sie inhaltlich die Schwerpunkte für einen Dialog?
Wir müssen uns den Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit aktiver stellen. Versuchen, wirtschaftliche Instrumente, Technologien ins Spiel zu bringen, um mehr zu erreichen. Bei der Nachhaltigkeit der Lieferketten, der Energieeffizienz. Da passiert enorm viel, nur wird es irgendwie nicht so recht zur Kenntnis genommen. Also müssen wir drüber reden.
Was steht sonst noch auf Ihrer To-do-Liste als Präsident?
Grösste Sorge momentan ist natürlich das Bewältigen der Corona-Krise. Das gilt insbesondere für die Zeit danach, wenn es darum geht, die angehäuften Schulden wieder abzubauen. Unsere Kinder und Enkel dürfen nicht noch unsere Probleme zusätzlich aufgeladen bekommen, die werden ihre eigenen Krisen haben. Eine weitere Priorität ist, die Zusammenarbeit mit den anderen Wirtschaftsverbänden auf eine bessere Grundlage zu stellen. In der jüngsten Vergangenheit hat es ab und zu unnötige Reibereien gegeben.
Economiesuisse hat an Einfluss verloren – früher galt ein Vorgänger von Ihnen jeweils als achter Bundesrat. Jetzt sind Sie eine Stimme unter vielen.
Diese Wahrnehmung kann ich insofern nachvollziehen, als dass natürlich in den letzten Jahrzehnten andere Akteure aufgetaucht sind und von den Medien entsprechend Resonanz bekommen. Dass deswegen unser Einfluss markant kleiner geworden ist, bezweifle ich. Die klassische Lobbyarbeit, in der wir Interessen der Wirtschaft in den politischen Prozess einbringen, findet grösstenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Daran messen sich Schlagkraft und Erfolg der Economiesuisse. Was die zweite Säule, die Kampagnenarbeit betrifft, kann man natürlich unterschiedlicher Ansicht sein, aber unsere Abstimmungserfolge lassen sich immer noch sehen. Was die Economiesuisse auszeichnet: Wir sind im ganzen Spektrum der Wirtschaftspolitik aktiv. Und es ist sicher schwieriger geworden, die Interessen zu bündeln. Doch auch das ist Teil der gesellschaftlichen Entwicklung. Nichts ist mehr so wie früher.