Esther Friedli will Ungeimpfte nicht ausschliessen
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Wirtin und SVP-Nationalrätin:Esther Friedli will Ungeimpfte nicht ausschliessen

Die Jungen und die SVPler wollen nicht – zu Besuch bei den Skeptikern
Sie zögern, zaudern oder verweigern die Impfung

Die Impf-Offensive kommt nicht vom Fleck. Viele wollen noch immer nicht mitmachen. Was sind ihre Gründe? Auf Tuchfühlung mit den Neinsagern.
Publiziert: 01.08.2021 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2021 um 10:27 Uhr
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Schwinger Stefan Burkhalter (M.) und seine Kumpels Michi und Beat (v.l.) verzichten auf die Impfung.
Foto: Nathalie Taiana
Tobias Marti und Sven Zaugg

Noch scherzen sie miteinander. Max, über 70, schnittige Sonnenbrille und geimpft, reisst einen Spruch über die Skeptiker am Tischenende. Angela, 72 und ungeimpft, gibt Kontra, gar nicht faul. Und alles lacht.

So geht es zu im Toggenburg, oben im Landgasthof Haus der Freiheit. Die Tischgesellschaft mit den Senioren zeigt im Kleinen, wie sich die Grosswetterlage gerade entwickelt. Die eine Hälfte der Schweizer ist geimpft, die andere nicht. Die einen aus Pragmatismus, die anderen aus Überzeugung.

Lockerungsschritte verzögern sich

Unten im Land wird der Ton rauer. Bundesrat Alain Berset (49) schob bereits den nächsten Lockerungsschritt nach hinten. Wegen der vielen Ungeimpften, wie er sagt. Für die dürfte es ungemütlich werden, deutete Lukas Engelberger (46) vor Wochenfrist im SonntagsBlick an. Der oberste Gesundheitsdirektor erwägt die Zertifikatspflicht für den Besuch in Beizen, Fitnesscentern, Heimen und weiteren Lebensbereichen.

«Ich will doch keine Dokumente von meinen Gästen verlangen. Ich bin nicht bereit, Polizist zu spielen», sagt Toni Brunner (46), der Wirt, und dreht auf der Terrasse seine Runden. Der ehemalige SVP-Parteipräsident führt das Haus der Freiheit zusammen mit seiner Partnerin, der SVP-Nationalrätin Esther Friedli (44). Er wolle seine Gäste nicht kategorisieren. Brunner: «Es liegt in der Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen, ob er ein Restaurant besuchen will oder nicht.»

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Skepsis bei SVP-Wählern

Die SVP ist die Partei der Impfablehner. 50 Prozent ihrer Basis will sich gemäss einer Umfrage nicht gegen das Coronavirus schützen lassen. Dass Parteigranden wie Christoph Blocher (80) die Impfung empfehlen, ändert daran wenig. Nur: Woher kommt die Skepsis?

Einen Tisch weiter gibts Antworten von der Basis, dort macht sich Stefan Burkhalter (47) gerade an die Vertilgung von viel Fleisch. Der Kranzschwinger und seine Kumpels Michi, Christian und Beat aus Wil SG sind «einstimmig gegen die Impfung», wie sie feierlich erklären.

Gesunder Menschenverstand sei angesagt

Sie sei ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, Nötigung und Bevormundung, meint Christian, der nicht in der Zeitung abgebildet sein will: «Wenn es einmal anfängt mit dem Müssen, dann hört es nicht mehr auf. Danach kommen die Raucher dran, dann die Übergewichtigen und so weiter», ist er überzeugt.

Für ihn und seine Freunde ist sonnenklar: «Der gesunde Menschenverstand, die Freiheit und die Eigenverantwortung» bleiben wieder mal auf der Strecke. Die da oben, die Linken und Grünen, seien «Lebensfreudezerstörer und Spassbremsen.» Wenn tatsächlich das Zertifikat für die Beiz kommt, «diese Angstmacherei», treffen sie sich eben halt wieder privat. «Wir arbeiten, zahlen Steuern und sollen noch ein schlechtes Gewissen haben», echauffiert sich Christian. Genug politisiert, das Fleisch wird kalt.

Esther Friedli eilt mit Desserts vorbei, die Terrasse ist voll besetzt. Heute seien nicht nur SVPler da. Viele sagten, sie hätten das Vertrauen in den Bundesrat verloren und könnten die Massnahmen nicht mehr nachvollziehen, berichtet sie.

Führt Zwang zum Gegenteil?

Das Wirtepaar Friedli/Brunner spiegelt die Partei. Sie ist geimpft, er nicht. Brunner sagt, er sei froh um jeden, der geimpft sei. Aber er verstehe auch jenen Toggenburger Bergbauern, der nicht wolle. «Wenn sie die Leute zwingen wollen, erreichen sie nur das Gegenteil.»

Friedli sagt, sie sei klar dagegen, «dass man die Ungeimpften diskriminiert oder eine Zweiklassengesellschaft einführt». Ob Impfung oder nicht, dürfe keine Auswirkungen auf das berufliche oder soziale Leben des Einzelnen haben.

Partyvolk ist geteilter Meinung

Nicht nur in Ebnat-Kappel SG wird Freiheit proklamiert, auch im Zürcher Nachtleben ist Selbstbestimmung das Motto der Stunde. Nebst SVP-Geneigten zögert, zaudert oder verweigert auch das Jungvolk die Impfung. Zum Beispiel am Freitagabend, 22 Uhr, an der Langstrasse, als das Partyvolk eintrudelt. Polizeisirenen brechen die wummernden Bässe, die aus der Olé Olé Bar wabern. Eine Bar, die für wilde Partys und eigenwillige Konzepte bekannt ist. So auch während der Pandemie.

Gleich nebenan haben die Betreiber in Zusammenarbeit mit dem Dübendorfer Arzt Claudio Cipolat (49) ein temporäres Testcenter eingerichtet. Für Ungeimpfte, die trotzdem «steil» gehen möchten, wie die Jungen betonen. Auch vor den Apotheken, wo ebenfalls getestet wird, bilden sich an den Wochenenden jeweils lange Schlangen. «Es sind gut und gerne 250 Tests pro Nacht, die wir durchführen», sagt Patrick Binder (38), der das provisorische Testcenter leitet. Denn ohne Impfnachweis oder negativen Test ist das Tanzen in Clubs verboten.

Aber warum testen, wenn es die Impfung gibt? «Ganz einfach», sagt Steve Remy (20) aus Bonstetten ZH. «Man weiss zu wenig über Nebenwirkungen und Langzeitschäden. Ich traue der Impfung nicht.» Eine halbe Stunde später hat er das Testresultat auf dem Handy – gratis und franko.

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Impfquote bei Jungen stagniert

Vor allem Junge um die 20 stehen hier. Die meisten sind wie Steve Remy Impfskeptiker oder sagen, sie fühlten sich schlecht informiert von Medien und Behörden. Stattdessen hören sie auf die Mutter, den Vater. Wenn sich die Eltern nicht impfen, überlegen sich auch die Kinder, ob sie sollen.

Dies zeigt sich in den Zahlen, gemäss denen die Impfquote bei den Jungen stagniert. Bei den 20- bis 29-Jährigen in der Schweiz verharrt sie bei knapp 37 Prozent. Landesweit beträgt die Quote rund 48 Prozent.

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Bleibt die Frage: Impfen oder Testen? Für Monica Riccio (43) aus Bülach ZH eine klare Sache. Sie ist geimpft und begleitet ihre Freundin Janina Philipp (29) lediglich zum Test. «Damit wir endlich richtig feiern können», sagt Riccio. Und Philipp glaubt: «Es reicht, wenn ich mich später noch impfen lasse. Bis dahin bin ich eh vorsichtig.»

Immer wieder Infizierte

Die Zürcher Apothekerin Natalia Blarer Gnehm (45) fischt immer wieder Infizierte heraus. Zuletzt eine Frau, die mit negativen Test von der Partyinsel Mykonos angereist war und sich ins Zürcher Nachtleben stürzen wollte.

In Basel gehen 18 Prozent aller Ansteckungen aufs Nachtleben zurück. Der Basler Kantonsarzt Thomas Steffen (60) macht unzuverlässige Schnelltests und allzu lockere Eingangskontrollen dafür verantwortlich. In Zürich dagegen gehen seit dem letzten Öffnungsschritt nur 50 von 2800 Fällen auf Clubbesuche zurück, wie die Gesundheitsdirektion beteuert.

Testcenter am Anschlag

Vor zwei Wochen testete Apothekerin Blarer das Ausgehvolk im Minutentakt. «Wir stiessen an die Kapazitätsgrenzen.»

Heute warnt sie: «Die Jugend wird sich nicht impfen lassen, wenn der Aufwand so gering bleibt und man so einfach und günstig alle Freiheiten geniessen kann.» Die Jungen müssten zumindest im Portemonnaie spüren, dass die Testkapazitäten begrenzt sind. Blarer ist überzeugt: Zertifikate für Freizeitaktivitäten sollten kürzer gültig sein als 48 Stunden.

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Sind gratis Schnelltests noch angebracht?

Die Signale von der Testfront werden gehört. Martine Ruggli(56), Präsidentin des Apothekerverbandes Pharmasuisse, fordert, «dass Schnelltests und Zertifikate für Partys oder Reisen selber bezahlt werden müssen». Jetzt sei auch für die Jungen die Möglichkeit gegeben, sich impfen zu lassen. Ruggli: «Niemand soll diskriminiert werden, aber die Menschen müssen die Konsequenzen sehen, wenn man sich nicht impfen lässt.»

Auch Bundespräsident Guy Parmelin (61) will nicht länger den Steuerzahler für die Schnelltests aufkommen lassen. Und Deutschland will offenbar ab Herbst die Schnelltests auf Staatskosten abschaffen.

Nachtschwärmer Steve Remy wird sich vor einer Impfung wohl noch einige Male testen lassen. «Aber wenn es kostet», wirft sein Kumpel Tim Meier (18) ein, «müsste ich mir das wegen der Impfung nochmals überlegen.» Und vielleicht, so sagen einige in der Schlange, sei eine Impfung irgendwann gar nicht mehr nötig. Eine riskante Spekulation.

Sturm nach den Ferien?

Apothekerin Blarer Gnehm bereitet sich derweil «auf den Sturm nach den Ferien vor». Das Clubtesten hingegen will sie reduzieren.

Oben im Toggenburg hat die Tischgesellschaft mittlerweile zu Ende gespeist. Ob nun geimpft oder nicht – noch sind Ferien, noch scherzen alle, noch erfreut das Panorama.

Über den Churfirsten ziehen sich erste Wolken zusammen.

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