Drill. Disziplin. Gehorsam. All das lernt man(n) im Militär. Zumindest bei der Finanzdisziplin bräuchte die Armee aber selbst Nachhilfe. Denn: Sie steckt tief im Finanzloch – und jongliert mit dem Geld.
Die Armee muss Zahlungen für neue Rüstungsbeschaffungen ins nächste Jahr verschieben. Wie konnte das passieren? Was sind die Ursachen für das Loch im Portemonnaie des Militärs? Was die Folgen? Blick liefert Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Warum hat die Armee die Kontrolle über ihre Finanzen verloren?
Bundesrat und Parlament genehmigen neue Rüstungsprojekte der Armee, die sogenannten Rüstungsprogramme. Nur: Lieferung und Bezahlung dieser Güter erfolgen in der Regel erst Jahre später. In bestimmten Jahren können darum Zahlungen für gleich mehrere frühere Rüstungsprogramme anfallen. Beim Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) wird deshalb mit einer nicht öffentlichen Planung gearbeitet. Um intern zu regeln, wann welche Zahlungen erfolgen sollen.
Unterlagen, die Radio SRF am Mittwoch öffentlich gemacht hat, zeigen nun: Zwischen 2024 und 2027 muss die Armee hohe Zahlungen abdrücken. Zu Buche schlagen hier hauptsächlich die neuen Kampfjets, die sehr teuer sind. Heisst im Umkehrschluss: Die Armee hat keinen weiteren finanziellen Spielraum mehr. Weil sie in der Vergangenheit über ihre finanziellen Möglichkeiten Rüstungsgüter bestellt hat.
Wie ist es zum Finanzloch gekommen?
Finanzverantwortliche warnen gemäss SRF seit Jahren, dass die Verpflichtungen für Rüstungskäufe und verfügbare Mittel auseinanderdriften. Die Armee hat 2018 eine «Masterplanung» verabschiedet. Dabei wusste sie: 2022 steht ein grosses Rüstungsprogramm über acht Milliarden Franken an. Für neue Kampfjets und die Luftverteidigung. Eigentlich war vorgesehen, in den Jahren davor und danach zu sparen. Daran hat sich die Armee nicht gehalten. Trotz ursprünglicher Planung beantragte und erhielt sie 2020 und 2021 mehr Geld.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 sprach das Parlament mehr Mittel für die Armee bis 2030. Der Bundesrat beschloss allerdings im Januar 2023, das geforderte Wachstum der Armeeausgaben um fünf Jahre zu strecken. Trotz dieser Verzögerung legte die Armeeführung 2023 Budgetposten von 725 Millionen Franken vor, anstatt darauf zu verzichten, wie ursprünglich geplant.
Was sagen Politiker?
Die Irritation im Parlament war am Donnerstag gross. Es habe nichts darauf hingewiesen, dass hier ein Dilemma bestehe, sagte etwa FDP-Ständerat Josef Dittli (66). Die Armee habe offensichtlich den Überblick über das vorhandene Geld nicht. Trotzdem sieht er darin nicht den grossen Finanzskandal. «Aber: Wir werden jetzt mit Argusaugen beobachten, wie die Armee mit ihren Verpflichtungskrediten umgeht.»
Kritischer urteilten die Linken: Die Armee habe bereits mehr Geld zur Verfügung als vor wenigen Jahren, sagte SP-Ständerätin Franziska Roth (57). Man müsse jetzt aufarbeiten, warum und wie das Finanzloch zustande gekommen sei. «Wenn dann immer noch Fragezeichen sind, gehört das Thema in die Geschäftsprüfungskommission», sagt Roth.
Auch SP-Nationalrat Fabian Molina wirft der Armee-Spitze auf X vor, nicht mit Geld umgehen zu können: «Sie schafft es, bei steigendem Budget ein Milliarden-Loch zu produzieren.» Für ihn ist klar: Die Armee brauche eine Reorganisation und Fokussierung auf die reale Bedrohungslage. «Und sicher keinen Rappen zusätzliches Geld. Das ist ein Fass ohne Boden.»
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa) schoss ebenfalls scharf – und forderte in einer Mitteilung «eine umfassende und transparente Untersuchung der Armeefinanzen». Die Situation sei zutiefst unbefriedigend und müsse politische Konsequenzen haben. Nicht nur das Finanzloch, sondern auch die Kommunikation der Armee ist aus Sicht der Gsoa «eine Katastrophe». Dass ein Problem bei der Transparenz bestehe, zeige sich daran, dass das Ausmass der finanziellen Schwierigkeiten der Armee zunächst verschwiegen worden sei.
Anders sieht das naturgemäss die Schweizerische Offiziersgesellschaft. Infolge der Budgetkürzungen verzögere sich die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit bis in die 2040er-Jahre. Sie fordert darum rasch mehr Mittel dafür.
Was sagt die Armee?
«Für die Armee ist das kein Drama», sagt Armeechef Thomas Süssli (57) im Interview mit Blick. Es gebe kein Finanzloch, man könne alle Rechnungen bezahlen.
Nicht äussern wollte sich am Donnerstag die zuständige Bundesrätin Viola Amherd (61).
Wie geht es jetzt weiter?
Es ist kaum davon auszugehen, dass die Armee vom Bund mehr Geld bekommt, der Bundeshaushalt lässt das nicht zu. Bereits ab dem kommenden Jahr drohen im Budget Fehlbeträge von 2,5 Milliarden Franken – oder sogar mehr. Kommt hinzu: Zusätzliche Mittel müssten dann in anderen Bereichen wie Landwirtschaft, öffentlicher Verkehr, Bildung, Forschung oder Entwicklungshilfe eingespart werden. Auf solche Kompromisse werden sich die verschiedenen Interessengruppen nicht einlassen.
Die Armee verhandelt darum derzeit mit Lieferanten, um Zahlungen zu verschieben. Doch früher oder später müssen diese beglichen werden. Um dies zu bewältigen, könnte das geplante Wachstum der Armeeausgaben genutzt werden, allerdings würde dies neue Rüstungsprojekte vorläufig ausschliessen.
Der Armee geht das Geld also nicht aus. In der Politik dürfte das Thema aber weiterhin zu reden geben. Schon am Freitag hat die SP zu einer Medienkonferenz geladen. Die Rekruten müssen derweil weiter ins Militär. Strammstehen. Disziplin lernen.