Wenn in Bern 4000 Menschen gegen Rassismus demonstrieren, steht Stefan Blättler nicht auf dem Bundesplatz, sondern arbeitet im Hintergrund. Dabei ist er der höchste Polizist – nicht nur im Kanton Bern, sondern in der ganzen Schweiz: Blättler präsidiert die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. «Ich habe exzellente Mitarbeiter, da muss der Kommandant nicht auf dem Platz sein», sagt er im BLICK-Interview. Doch der Grund für die Demonstrationen betrifft auch die Polizei. Immer wieder wird ihr Rassismus vorgeworfen.
BLICK: Was haben Sie gedacht, als Sie das Video sahen, in dem George Floyd bei einer Festnahme getötet wurde?
Stefan Blättler: Mir fehlten die Worte. Das will niemand sehen. Das ist inakzeptabel und verstörend.
Am Samstag beklagte der Schwarze Amine Conde (22) im BLICK Racial Profiling. Häufig werde er als einziger kontrolliert, die Weissen um ihn herum nicht. Hat die Polizei ein Rassismusproblem?
Die Diskussion ist nicht neu. Eine polizeiliche Kontrolle ist immer genau geregelt. Es braucht einen Grund für die Kontrolle und ein Signalement. Zudem gibt es in einigen Städten gewisse Hotspots mit vielen illegalen Aktivitäten. In Bern wird zum Beispiel auf der Schützenmatte viel mit Drogen gehandelt, häufig von Leuten aus Afrika. Da ist es die Pflicht der Polizei, Kontrollen durchzuführen.
Reicht das Signalement dunkle Hautfarbe für eine Kontrolle?
Nein! Ein Signalement braucht mehr Details, zum Beispiel ein schwarzes Hemd oder rote Schuhe. Gemäss den gesetzlichen Vorschriften dürfen wir niemanden nur wegen seiner Hautfarbe überprüfen. Ich würde sogar sagen, dass wir bei Personen mit dunkler Hautfarbe eher zurückhaltend sind und uns genau überlegen, ob wir die Kontrolle durchführen.
Warum?
Bei einer solchen Kontrolle werden unsere Polizisten oft gefilmt oder von anderen Leuten bedrängt, teilweise sogar angegriffen. Das ist Realität. Wir geraten schnell unter Rassismusverdacht.
Was macht denn die Polizei, um Racial Profiling zu verhindern?
Das beginnt schon bei der Ausbildung: Wer Polizist werden will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren bestehen und wird genau geprüft, auch auf sein Verhalten und seine Selbstbeherrschung. In der Ausbildung trainieren wir das Problem dann anhand von konkreten Fallbeispielen. Aber natürlich lernen auch wir nie aus.
Am Wochenende fanden in der ganzen Schweiz mehrere Demonstrationen statt. Dabei sind die Corona-Regeln klar: Nur 300 Personen dürfen gemeinsam demonstrieren. In Bern waren es 4000. Trotzdem hat die Polizei nicht eingegriffen.
Die Corona-Regeln gelten weiterhin. Aber wenn wir die Demonstration in dieser Grösse aufgelöst hätten, wären die Leute noch dichter zueinander gedrängt worden. Damit hätte man das Gegenteil der Regeln erreicht.
Also lieber ein Auge zudrücken?
Es geht nicht darum, ein Auge zuzudrücken. Das Ziel der Corona-Verordnung ist, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Bei einer Auflösung der Demo hätte es Ausschreitungen geben können, möglicherweise mit Verletzten. Das kann nicht das Ziel der Verordnung sein.
Aber machen Sie sich keine Sorgen um einen erneuten Anstieg der Fallzahlen?
Ich bestreite die Gefahr nicht. Aber man kann mit der Polizei keine epidemiologische Diskussion führen. Wir müssen schauen, was praktisch umsetzbar ist. Eine Auflösung mit Zwangsmitteln wäre nicht möglich gewesen.
Stefan Blättler ist der oberste Polizist der Schweiz. Der Sohn eines ehemaligen Nidwaldner Polizeikommandanten ist seit über zehn Jahren Kommandant der Kantonspolizei Bern und dazu Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. Blättler studierte Jura an der Universität Neuenburg.
Stefan Blättler ist der oberste Polizist der Schweiz. Der Sohn eines ehemaligen Nidwaldner Polizeikommandanten ist seit über zehn Jahren Kommandant der Kantonspolizei Bern und dazu Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. Blättler studierte Jura an der Universität Neuenburg.
War eigentlich schon vor der Demo klar, dass man sie gewähren lässt, wenn zu viele Leute kommen?
Wir planen natürlich in verschiedenen Szenarien. Und es war klar, dass wir sie passieren lassen, wenn zu viele Leute kommen – immer in Absprache mit den städtischen Behörden.
In Zürich wurde am Wochenende ein Polizeiauto von Demonstranten weggedrängt. Hatten Sie die Lage noch im Griff?
Ich kann den konkreten Fall nicht beurteilen. Aber nur weil ein Polizeiauto wegfährt, heisst es nicht, dass wir kapitulieren. Etwa bei Fussballmatches können wir anhand von Videobildern im Nachhinein Leute identifizieren. Die Situation vom Wochenende hat also möglicherweise noch ein Nachspiel.