Die Zeit ist ernst, die Energieknappheit droht. Da der Winter vor der Tür steht, muss jeder sparen. Die Politik wiederholt jene Botschaft eindringlich und wetteifert mit mehr oder weniger verrückten Symbolen, um ihr Gehör zu verschaffen.
An Beispielen mangelt es nicht. In Frankreich will Bruno Le Maire (53), Minister für Wirtschaft und Finanzen, in der kalten Jahreszeit seine Krawatten ablegen und Rollkragenpullover tragen. Ziel ist es, angesichts der Energiekrise «Sparsamkeit zu beweisen». Der Pariser Abgeordnete Gilles Le Gendre (64) sagt, dass er seinen Wäschetrockner nicht mehr benutzt und seine Kleidung von Hand aufhängt.
Frauen auf der Seite
Elisabeth Borne (61), die französische Premierministerin, lässt ihren Worten bereits Taten folgen, mit einer Daunenjacke, die sie demonstrativ vor den Medien trug. Hat die französische Premierministerin auch die Westschweiz inspiriert? Der Freiburger Staatsrat fuhr ebenfalls schwere Geschütze auf, um ein Zeichen zu setzen.
Wie in anderen Westschweizer Kantonen hat der Staatsrat am Dienstag seine Energie-Sparmassnahmen bekannt gegeben. Das Foto, das die Pressemitteilung illustriert? Die Minister stehen nebeneinander vor einem weissen Hintergrund und ... in Pullovern.
Der Staatsrat will also – ebenso wie Bruno Le Maire – mit einem Beispiel beweisen, dass eine Heizkostensenkung mit einem Pullover durchaus zu verkraften ist. Aber muss man sich wirklich so inszenieren, um seinen Massnahmenkatalog durchzusetzen? Ist das Vorgehen effektiv oder riskieren die Politiker vor allem Spott und Häme?
«Kohärenz ist wichtig»
Romain Pittet, Co-Präsident der Société romande de relations publiques (Westschweizer Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit), sagte im Gespräch mit Blick, dass die Freiburger Behörden ein interessantes Vorgehen gewählt hätten. Zumindest inhaltlich. Er analysiert: «Die Kohärenz zwischen dem, was man sagt, und dem, was man tut, ist zwangsläufig wichtig. Die Verwendung einer Kulisse, einer Gestik oder einer Kleidung, die die Botschaft verstärkt, ist eine Kommunikationstechnik, die so alt ist wie die Welt.»
Der PR- und Kommunikationsexperte nennt als Beispiel den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez (64), der im Juli seinen Landsleuten nahelegte, die Krawatte abzulegen, um Energie zu sparen, indem sie weniger Klimaanlagen benutzen. «Wenn er diese Aussage gemacht hätte, während er eine Krawatte trug, dann sehen Sie das Problem.... Und das ist normal. Entscheidungsträger müssen darauf achten, dass sie mit dem, was sie bekennen, übereinstimmen.»
«Ein Haufen nerdiger Opas»
Ist die Übung gelungen oder nicht? «Auch wenn ich immer der Meinung bin, dass konkrete Taten wichtiger sind als Bilder oder Worte, finde ich die Idee des Staatsrats ausgezeichnet», versichert Romain Pittet, «Aber die Umsetzung ist leider misslungen. Mit ihren alten Pullovern, die zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder aus den Schränken hervorgeholt zu werden scheinen, wirken sie wie eine Gruppe von etwas altmodischen Opas.»
Der Experte lacht: «Einige von ihnen sind nicht viel älter als ich, aber sie kleiden sich wie mein Vater. Die Regierung hätte sich von einem Kleidungscoach beraten lassen sollen.»
Nicht belehrend sein
Trotz allem relativiert der Waadtländer, dass diese Geschmacksverirrungen nicht so schlimm seien und die Abgeordneten sogar sympathisch machen könnten, weil sie «normal und einfach» seien. Was wirklich ärgerlich wäre, ist, wenn man erfährt, dass dieser oder jener ein übermässig umweltschädliches Auto fährt oder mit Öl heizt, «obwohl er die Mittel hätte, anders zu handeln», meint er. Heute sei eine gute Haltung wichtig, aber sie reiche nicht aus.
Ausserdem muss man es schaffen, ein Vorbild zu sein, ohne belehrend zu wirken: Ein Gleichgewicht, das schwer zu finden ist. Elisabeth Borne und ihre Daunenjacke mussten dies auf die harte Tour lernen, als sie zahlreiche negative Reaktionen auf ihre Flüge im Privatjet erntete.
Romain Pittet meint ironisch: «Wenn ich eine Prêt-à-porter-Marke leiten würde, würde ich die Kanzleien in der Romandie anrufen und meine Dienste anbieten. Es gibt offensichtlich genug zu tun!»