Am Dienstag hat Urs Schwaller (69) seinen letzten Arbeitstag als Post-Verwaltungsratspräsident. Schon am Mittwoch, 1. Dezember übernimmt Christian Levrat (51) das Amt. Zusammen mit dem früheren CVP-Politiker Schwaller vertrat Genosse Levrat einst den Kanton Freiburg im Ständerat, jetzt geben sich die beiden beim gelben Riesen die Klinke in die Hand. Blick traf den scheidenden Präsidenten am Post-Hauptsitz in Bern-Wankdorf.
Blick: Herr Schwaller, stimmt es, dass Sie sich einen jungen Hund besorgt haben?
Urs Schwaller: Nicht ganz. Wir hatten 14 Jahre lang einen Labrador. Meine Frau und ich überlegen uns nun, uns wieder einen älteren Labrador zuzulegen. Ich gehe ja jeden Morgen eine Stunde laufen. Im Sommer mache ich Bergtouren, im Winter Skitouren – etwas weniger steile als früher. Da könnte man gut einen Hund mitnehmen.
Sie werden bald genug Zeit dafür haben. Sie waren Staatsrat, Ständerat, CVP-Fraktionschef und sind bald Ex-Post-Präsident. Welcher Job bereitet am meisten Freude?
Jeder Job macht Freude. Das ist jetzt mehr als eine Floskel. Aber Sie haben eines nicht erwähnt: Ich war in jungen Jahren Regierungsstatthalter im Sensebezirk. Das war die Aufgabe, bei der ich bei Entscheiden die grösste Selbständigkeit hatte. Und ich habe alleine dafür die Verantwortung getragen. Das passt mir.
Ein Amt blieb Ihnen verwehrt: Sie sind 2009 nicht in den Bundesrat gewählt worden. Schmerzt das noch?
Nein, ich wusste ja, dass die Wahl schwierig wird. Wir haben den Sitz einer anderen Partei angegriffen …
… jenen der FDP.
Ein solcher Angriff ist mit hohem Risiko verbunden. Dennoch würde ich ihn wieder wagen.
Als Sie 2016 deren Präsidium übernahmen, galt die Post als langweilig-solid. Es sah nach einem ruhigen Job aus. Doch dann kam es ganz anders.
Ich hab nicht blauäugig Ja gesagt. Aus meinen zwölf Jahren als Ständerat wusste ich, dass die Post vor grossen Herausforderungen steht. Aber manches, wie die Bewältigung der Fehler bei Postauto, beanspruchte schon sehr viel Zeit. Es war auch menschlich sehr schwierig, das will ich nicht verhehlen.
Wir sprechen hier vom grössten Subventionsskandal in der Schweizer Geschichte, der in der Zeit Ihres Präsidiums aufflog.
Wir haben innerhalb von sechs Monaten das Postauto-Dossier aufgearbeitet und die notwendigen personalrechtlichen Entscheide getroffen. Ich würde das wieder so handhaben. Was die Post machen konnte, hat sie gemacht. Jetzt ist die Angelegenheit Sache des Gerichts. Weder zum Strafdossier noch zum Bericht der Revisionsaufsichtsbehörde hatten wir jemals Zugang. Bis zum Abschluss der Verfahren können wir deshalb nicht mehr tun.
Ein weiteres Sorgenkind ist die Post-Tochter SPS. Sie hat in Vietnam teure Partys für Kader durchgeführt, die Mitarbeitenden mussten im Zeltlagern hausen.
Wir haben das abgeklärt. Dass die Leute im Büro campiert haben, hatte mit Corona zu tun. Auch laut der vietnamesischen Regierung war das in Ordnung. Mehr gibt es zu SPS derzeit nicht zu sagen.
Als Sie Präsident wurden, hatte die Post 63'000 Stellen, sie lieferte jährlich 200 Millionen Franken an den Bund ab. Postfinance schrieb hohe Gewinne, es gab weit mehr als 1000 Postfilialen. Heute hat die Post 9000 Mitarbeitende weniger, von der Postfinance gibts nicht mehr viel Geld. Dem Bund zahlt man nur noch 50 Millionen. Und bald bestehen nur noch 800 Filialen. Alles richtig gemacht, Herr Schwaller?
Ihre Sicht. Zentral ist, dass wir zusammen mit Konzernchef Roberto Cirillo eine Strategie entwickelt haben, die uns eine Wachstumsperspektive gibt. Zu dieser gehört, dass wir die Unsicherheit bei den Poststellen eliminieren konnten. Heute ist bekannt, dass 800 Filialen erhalten bleiben und auch, welche. Und wir sind der klar wichtigste Schweizer Partner beim Onlinehandel. Wir können über eine Million Pakete am Tag ausliefern. Und …
Aber gerade …
… Moment! Wir sichern mit dieser Strategie die Zukunft unserer über 50'000 Mitarbeitenden – mit fairen Löhnen, guten Sozialleistungen und einer soliden Pensionskasse. Das ist mir persönlich wichtig. Zudem bieten wir weiterhin eine flächendeckende Grundversorgung – jederzeit, für alle, zu gleichen Preisen. Und ich sage es offen: Wir wollen marktbeherrschend sein in der Paketlogistik. Unsere Konkurrenz sitzt nicht in der Schweiz oder in Deutschland. Unsere wichtigsten Konkurrenten fangen mit A an. Einer davon hat den Sitz in China, der zweite in den USA.
2009 unterlag Urs Schwaller (69, CVP) gegen Didier Burkhalter (61, FDP) im vierten Durchgang der Bundesratswahl. Gegen den Fraktionschef war damit Stimmung gemacht worden, dass er als Deutschfreiburger kein Romand sei, der Sitz aber der Westschweiz gehöre. Der Jurist übernahm im April 2016 das Post-Präsidium, im Februar 2018 flog der Postauto-Skandal auf, der aber lange vor Schwallers Amtsantritt begonnen hatte. Schwaller ist verheiratet und hat drei Kinder.
2009 unterlag Urs Schwaller (69, CVP) gegen Didier Burkhalter (61, FDP) im vierten Durchgang der Bundesratswahl. Gegen den Fraktionschef war damit Stimmung gemacht worden, dass er als Deutschfreiburger kein Romand sei, der Sitz aber der Westschweiz gehöre. Der Jurist übernahm im April 2016 das Post-Präsidium, im Februar 2018 flog der Postauto-Skandal auf, der aber lange vor Schwallers Amtsantritt begonnen hatte. Schwaller ist verheiratet und hat drei Kinder.
Sie meinen die Online-Giganten Alibaba und Amazon. Bleiben wir in der Schweiz: Bei der Postfinance sieht es schwierig aus.
Rückblickend muss ich sagen, ich hätte das Dossier früher anpacken müssen. Nun aber muss sich das Parlament grundsätzlich über die Zukunft von Postfinance klar werden. 6,3 Milliarden Franken, das sind zwei Drittel des Post-Eigenkapitals, stecken in Postfinance. Zudem geben wir jedes Jahr eine Garantie über 1,5 Milliarden für unsere Finanztochter ab. Jetzt werden wir sehen, ob die Politik gewillt ist, Postfinance neue Möglichkeiten wie die Kreditvergabe zu ermöglichen.
Und wenn nicht?
Diese Frage habe ich erwartet.
Dann haben Sie sicher auch schon eine Antwort parat.
Mittelfristig müssten wir das finanzielle Risiko für die Post weiter herunterfahren. Schon heute reduzieren wir die Kundengelder auf 91 Milliarden Franken. Noch ist Postfinance eine systemrelevante Bank, weshalb wir ein sehr hohes Notfallkapital benötigen. Bekommt Postfinance aber keine neuen Möglichkeiten zum Geldverdienen, kann sie nicht mehr systemrelevant bleiben.
Also weiter gesundschrumpfen, indem man noch mehr Kunden durch hohe Kosten vergrault?
Es würde mich erstaunen, wenn man ohne Ausweitung des Postfinance-Geschäfts zu einer anderen Lösung mit gleich vielen Kunden und Kundengeldern käme. Aber eben: Hier ist jetzt die Politik gefragt. Sie muss ausserdem sagen, ob sie auch in fünf oder zehn Jahren noch eine flächendeckende Grundversorgung möchte oder nicht.
Dafür sind dann nicht mehr Sie, sondern dafür ist Ihr Nachfolger Christian Levrat verantwortlich. Braucht es im Post-Präsidium unbedingt Politiker?
Die Post gehört vollständig dem Bund. Wer Bund sagt, meint auch Bundesrat, Parlament und Bürgerinnen und Bürger. Roberto Cirillo kommt aus der Geschäftswelt, Herr Levrat aus der Politik. Wichtig ist die Kombination aus den beiden. Anders als die SBB, die die Leute auf der Schiene vom Bahnhof A zum Bahnhof B transportiert, kommt die Post täglich an jede Haustür. Kein Staatsbetrieb ist näher am Bürger. Das Geschäft der Post ist die Grundversorgung. Seit Corona mehr denn je. Darum: Es ist sicher ein Vorteil, wenn der Post-Präsident den Bund und die politischen Prozesse versteht. Aber auch, wenn er einen breiten Rücken hat.
Ist die Kritik am Post-Präsidenten denn derart heftig?
Ja, manchmal schon. Ich denke, ich war ja einiges gewohnt, als ich das Präsidium übernahm. Aber man steht noch viel mehr in der Öffentlichkeit als ein Parlamentarier. Es gibt Drohungen, Anrufe. Sie werden auf der Strasse angesprochen, weil eine Bürgerin kein Postfach mehr hat. Oder weil ein Brief zu lange unterwegs war. Kurz gesagt: Sie müssen die Leute mögen, wenn Sie Post-Präsident sein wollen. Das tue ich.