Der Nahe Osten steht an einem gefährlichen Abgrund. Nach dem iranischen Angriff auf Israel – dem ersten direkten Angriff überhaupt – versuchen verschiedenste Staaten, eine weitere Eskalation zu verhindern. Dies in einer Region, die seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dessen Vergeltungsoffensive im Gaza-Streifen ohnehin schon hochexplosiv ist.
Mittendrin: die Schweiz. Denn seit der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran im Jahr 1980 vertritt die Eidgenossenschaft als Schutzmacht die Interessen der USA im Iran. Da beide Regierungen seitdem nicht direkt miteinander sprechen, nutzen sie die Schweiz als Botschafterin.
«Briefträgerin zwischen Teheran und Washington»
«Man darf die Rolle der Schweiz als Schutzmacht nicht falsch interpretieren», sagt der ehemalige Spitzendiplomat Tim Guldimann (73). Die Schweiz sei nicht Vermittlerin, sondern Übermittlerin von Botschaften. «Es ist möglich, dass das Schutzmachtmandat zu einer Vermittlerrolle führt. Aber in erster Linie ist die Schweiz Briefträgerin zwischen den Regierungen in Teheran und Washington.»
Sind die Pöstler-Dienste der Schweiz gefragt, wird die Botschaft per Telefon informiert. Ein Mitarbeiter der diplomatischen Vertretung holt dann die Mitteilung beim iranischen oder amerikanischen Aussenministerium ab und schickt sie – über einen verschlüsselten Kanal – nach Bern und an die Schweizer Botschaft in Washington oder Teheran. Die Mitteilung wird entschlüsselt, ausgedruckt und dem einen oder anderen Aussenministerium übergeben.
Rund um die Uhr erreichbar
Für die Schweiz sind Schutzmachtmandate ziemlich aufwendig. Markus Leitner, ehemals Schweizer Botschafter im Iran, setzt bis die Hälfte seiner Arbeitszeit für das Schutzmachtmandat auf, wie er gegenüber der «NZZ» einst schätzte.
Die Schweizer Botschafterin Nadine Olivieri Lozano (50) muss für den Dienst rund um die Uhr erreichbar sein. Olivieri Lozano ist seit Juli 2022 die Schweizer Missionschefin im Iran – und machte vor einem Jahr Schlagzeilen, weil sie mit einem Kopftuch aufgetreten war.
Es ist davon auszugehen, dass am vergangenen Wochenende die Kommunikation zwischen Washington und Teheran auch über Olivieri Lozano lief. «Das ist ein etablierter Kanal, dessen Nutzung daher keine politische Aussage ist», erklärt Guldimann, der von 1999 bis 2004 Schweizer Botschafter in Teheran war, das Mandat. «Wenn man diskret Botschaften übermitteln will, bietet sich die Schutzmacht an.»
Aktuell Schutzmacht für sechs Staaten
Manche Schutzmachtmandate haben auch eine andere Funktion. So gewährleistet die Schweiz den konsularischen Schutz von US-Bürgern im Iran. Das heisst, die Abteilung für ausländische Interessen der Schweizer Botschaft in Teheran bearbeitet alle Passanträge und Zivilstandesänderungen von US-Bürgern oder kümmert sich um die Belange von im Iran inhaftieren Amerikanern.
Manchmal ergibt sich daraus eine Vermittlerrolle im Rahmen der Guten Dienste. So hat die Schweiz in den letzten Jahren mehrfach beim Austausch von Gefangenen zwischen dem Iran und den USA geholfen.
Aktuell hat die Schweiz sechs Schutzmachtmandate. Im historische Vergleich ist das wenig – im Zweiten Weltkrieg waren es über 200. Eigentlich ist das aber ganz im Sinne der Schweiz: Je weniger Schutzmachtmandate es gibt, desto weniger Konflikte herrschen.
Guldimann glaubt aber nicht, dass die Schweiz als Schutzmacht weniger gefragt sei. «Russland hat wegen unserer Beteiligung an den EU-Sanktionen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ein Problem mit der Schweiz und könnte darum andere Schutzmächte suchen», nennt er eine Ausnahme. «Abgesehen davon sehe ich nicht, dass das Interesse der Staaten an dieser Funktion der Schweizer Diplomatie abnimmt.»