Das erwartet Baume-Schneider als Innenministerin
«Es wird schwierig mit grossen Würfen»

Elisabeth Baume-Schneider ist neue Innenministerin. Langweilig wird der Jurassierin in diesem Departement nicht. Doch die Erwartungen an sie sind riesig – und kontrovers.
Publiziert: 01.01.2024 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2024 um 17:03 Uhr
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Elisabeth Baume-Schneider wechselt als Nachfolgerin von Alain Berset ins Innendepartement – es war ihr Wunsch.
Foto: keystone-sda.ch
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Sermîn FakiPolitikchefin

Ab Montag gilt es ernst für Elisabeth Baume-Schneider (60) – dann ist sie offiziell Innenministerin der Schweiz. Das Innendepartement (EDI) sei ihr Wunschdepartement, liess die Jurassierin verlauten. Aber es ist auch jenes mit dem grössten politischen Druck von allen Seiten. Als Justiz- und Migrationsministerin stand sie vor allem im Gegenwind der SVP.

Im EDI muss sie einen beständigen Sturm der Kritik aushalten: von Gewerkschaften und SP, bürgerlichen Parteien, Krankenkassen, Spitälern, Ärzten, Apotheken, Pharmakonzernen und Kantonen.

Im EDI warten zwei grosse Themen auf Baume-Schneider, die unglaublich wichtig, fürchterlich komplex und hochumkämpft sind: Gesundheit und Rente. In beiden sind die Herausforderungen riesig.

Sie muss schnell liefern

In Sachen Rente hat die SP-Bundesrätin kaum Einarbeitungszeit: Schon Anfang März muss sie zwei Abstimmungen gewinnen, eine davon – die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente – gegen die eigene Partei. Die wirkliche Schlacht folgt im Juni oder September, wenn sie, erneut gegen die eigene Partei, für eine Reform der Pensionskassen weibeln muss, die sie selbst nicht überzeugen dürfte. Und dafür wird sie büffeln müssen: Denn kaum ein System ist so kompliziert wie jenes der zweiten Säule.

Muss Baume-Schneider auf der grossen Bühne vor allem Verteidigungsschlachten schlagen, wartet im Büro an der Berner Inselgasse schon die nächste Herkules-Aufgabe: Bis 2026 muss sie eine neue AHV-Reform auf den Tisch legen. Denn trotz Frauenrentenalter 65 und Mehrwertsteuererhöhung ist die Finanzierung der ersten Säule nur bis 2030 gesichert. Für die Zeit danach braucht es weitere Reformen.

Wie jede Rentenministerin hat auch Baume-Schneider nur drei Möglichkeiten: Renten kürzen, Arbeitsjahre verlängern oder mehr Geld in die AHV stecken. Als Linke würde sie vermutlich am liebsten die letzte Variante vorschlagen, doch damit dürfte sie im bürgerlich dominierten Bundesrat auflaufen. Da sind kreative Ideen gefragt.

Tausend Baustellen in der Gesundheitspolitik

Nicht kleiner sind die Probleme im Gesundheitsbereich. Nicht nur muss Baume-Schneider das elektronische Patientendossier in Gang bringen und schon bald wieder updaten, den Medikamentenmangel beheben, die Pflege-Initiative umsetzen, einen neuen Arzttarif einführen und das Epidemiengesetz reformieren.

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«Die Reform ist noch nicht aus dem Sperrfeuer.»
Andreas Faller, Gesundheitsexperte
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Daneben muss sie auch ein Mammutprojekt umsetzen, das das Parlament verabschiedet hat: die einheitliche Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen – die wichtigste Reform seit vielen Jahren, wie Experte Andreas Faller sagt, der früher im Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Basler Gesundheitsdirektion tätig war. «Und die Reform ist noch nicht aus dem Sperrfeuer», sagt er. Krankenkassen würden sich vermutlich ebenso querstellen wie Kantone. «Das wird hart.»

Ideen gegen den Prämienhammer

Hart wird auch der September: Denn dann wird die neue Gesundheitsministerin den nächsten Prämienhammer verkünden müssen. Was eine weitere Riesenbaustelle offenbart: Sie muss das Kostenwachstum im Gesundheitssystem bremsen – woran sich Vorgänger Alain Berset (51) die Zähne ausgebissen hat.

Möglichkeiten gibt es viele. «Mit einer Senkung der Labortarife, mit Einsparungen bei Medikamenten und klaren Effizienzkriterien für Spitaltarife könnte jährlich über eine Milliarde Franken gespart werden – ohne dass die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler auf etwas verzichten müssten», sagt Verena Nold, Direktorin des Krankenkassenverbands Santésuisse.

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«Jährlich könnte über eine Milliarde gespart werden – ohne dass Prämienzahlerinnen verzichten müssten.»
Santésuisse-Direktorin Verena Nold
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Eine weitere Idee hat Gesundheitsökonom Heinz Locher (80): Die Grundversicherung solle nur noch für Leistungen zahlen, die wirklich einen Mehrwert bringen, sagt er. Und Baume-Schneider müsse dafür sorgen, dass die Gesetze endlich eingehalten werden. «Jährlich gibt es 2000 vermeidbare Todesfälle, und dennoch haben viele Tarifverträge noch keine Qualitätssicherungsklauseln», macht er ein Beispiel. Das ist illegal.» Zudem regt er an, mehr Kompetenzen von den Kantonen an den Bund zu verlagern, etwa bei der Spitalplanung.

Reicht die Amtszeit für diese Arbeiten?

Faller ist anderer Meinung: «Um das Kostenwachstum zu dämpfen, braucht es nicht einfach weitere Massnahmen, sondern einen Marschhalt, eine Analyse der zahlreichen Fehlanreize und dann ein sauberes Reformkonzept mit Umsetzungsplan.»

Doch all diese Dinge brauchen «Biss, Engagement und Zeit», so Mitte-Gesundheitspolitiker Lorenz Hess (62). Was ihm Sorgen bereitet: «Wenn Frau Baume-Schneider wie angekündigt noch fünf bis sechs Jahre im Bundesrat bleibt, wird es schwierig mit grossen Würfen.»

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