Es wäre übertrieben zu sagen: Wer in St. Gallen mit einem Chübeli Rahm in den Dosto einsteigt, verlässt ihn in Genf mit einem Mödeli Butter. Aber die SBB räumen erstmals ein, dass die Probleme mit dem Schüttelzug gross und zum Teil unlösbar sind.
Die mit 1,9 Milliarden Franken grösste Einzelinvestition der SBB in die Bombardier-Züge war aus heutiger Sicht ein Fehler, wie Bahnchef Vincent Ducrot (59) im Blick TV einräumt. Bis heute ist der Dosto eine fahrende Baustelle.
Kaufargument geht flöten
Am Freitag gaben die SBB zu, dass just jene Fähigkeit, für die man den Schüttelzug kaufte, nie zu haben sein wird: Das Kurvenfahren mit hohen Geschwindigkeiten funktioniert mit dem Doppelstöcker «nicht mit dem notwendigen Komfort». Es wird den Passagieren vermutlich schlecht.
Die versprochene Zeitersparnis, das grosse Kaufargument der SBB unter der früheren Leitung von Andreas Meyer (61), hat sich somit in Luft aufgelöst – und damit auch die versprochene Milliarde Infrastrukturausgaben, die dank des Dosto überflüssig würden. Jetzt wird es teuer. Es geht um Milliarden.
Romandie lässt sich das nicht gefallen
Mit dem Wechsel von Meyer zu Ducrot und der Übernahme der Bombardier-Verkehrssparte durch die französische Alstom vor einem Jahr setzte bei den SBB zwar ein Umdenken ein. Das wird kaum helfen. Schon am Freitag meldete sich Jean-François Steiert (61) zu Wort. Der Präsident der Westschweizer Verkehrskonferenz und Freiburger Regierungsrat sagte zu Blick: «Die Qualität der Bahn in der Westschweiz reicht einfach nicht.»
Es gehe dabei nicht um ein paar Fahrminuten. Es gehe um unzureichende Pünktlichkeit und verpasste Anschlüsse, unter denen die Romands litten. Und: «Die Bahninfrastruktur ist in der französischsprachigen Schweiz 25 Prozent älter als in der Deutschschweiz und wir haben bei uns zwei- bis dreimal mehr Verspätungen.»
Der frühere Nationalrat betont: «Wenn wir jetzt beim Schnellbahnausbau in der Westschweiz nicht einen Zacken zulegen, erreichen wir die Klimaziele nie, denn die Leute steigen bei uns zunehmend wieder aufs Auto um.»
«Es geht um 10 bis 15 Jahre!»
Für den SPler muss der Schnellbahnausbau in der Romandie jetzt erste Priorität haben. «Lausanne ist das Zürich der Westschweiz – das Herzstück des Bahnnetzes im Westen unseres Landes.» Das eidgenössische Parlament müsse den Schnellbahnausbau schon 2023 beschliessen.
Auch Verkehrspolitiker und FDP-Nationalrat Olivier Feller (47) verlangt, dass Investitionen in der Westschweiz vorgezogen werden. Vor allem aber fordert der Waadtländer eine eingehende Aufarbeitung der Dosto-Beschaffung. Er will wissen, wer wann welche Fehler gemacht hat – Bombardier, die SBB oder deren Aufsicht. Zudem müssten Fakten auf den Tisch: Er verlangt Klarheit darüber, was das Debakel die SBB und am Schluss die Bürger kostet.
Dosto schütteln weiter
Derweil schütteln die Dosto-Züge weiter. Die SBB versuchen zusammen mit Alstom, welche die Dosto-Herstellerin Bombardier 2021 gekauft hat, das Schütteln in den nächsten Jahren stark zu verringern. Der Verzicht aufs rasche Fahren in den Kurven soll erlauben, das Rollmaterial entsprechend umzubauen.
Gleichzeitig werde man prüfen, welche Strafen der Bombardier-Nachfolger Alstom zahlen müsse. Bombardier hatte den SBB bereits drei zusätzliche kostenlose Dosto-Kompositionen geliefert. Klar ist bislang nur, dass die SBB 32 Millionen Franken in die Voraussetzungen investiert hatten, um dereinst zwischen Bern und Lausanne in den Kurven rascher fahren zu können. Dieser Betrag ist futsch.
Zeit der Neigezüge geht zu Ende
Ducrot betont jedoch, dass wegen des Wegfalls des schnellen Kurvenfahrens die dafür noch geplanten Investitionen von klar über 100 Millionen Franken nicht mehr getätigt werden müssten. Hingegen braucht es neue Investitionen, weil die fünf Minuten Fahrverkürzung zwischen Bern und Lausanne und die zwei Minuten zwischen Winterthur ZH und St. Margrethen SG wegfallen und es auf diesen Strecken Neubauten braucht.
Künftig setzen die SBB nur noch bei einstöckigen Zügen auf die Neigetechnik. Ansonsten soll deren Zeit bei den SBB ausrollen. Die Bundesbahnen hatten den Dosto exklusiv für die Schweiz als Neigezug entwickeln lassen. Weltweit gebe es keinen anderen Doppelstöcker mit dieser Technik. Die Schwierigkeiten mit dem Dosto machen nachvollziehbar, weshalb.
Das Dosto-Experiment soll sich bei den Staatsbahnen nicht mehr wiederholen. Künftig wollen die SBB nur noch Rollmaterial beschaffen, das sich bereits auf der Schiene bewährt hat.