Daniel Jositsch im Klartext-Interview über Anti-Israel-Demos, Ukraine und Kritik an SP
«Ich wäre geteert und gefedert worden»

Daniel Jositsch ist ein streitbarer Geist. Oft eckt er an mit seinen Positionen – und Ambitionen. Immer allerdings ist er authentisch. Er versteckt sich und seine Haltungen nicht. Und verlangt das auch von seinen Politik-Kollegen, wie er im Interview klar macht.
Publiziert: 14.05.2024 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 14.05.2024 um 09:16 Uhr
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Der Zürcher Daniel Jositsch ist Strafrechtler und Politiker.
Foto: Thomas Meier

Herr Jositsch, in der Schweiz werden Unis besetzt wegen des Kriegs in Gaza. Wie beurteilen Sie das als Uniprofessor? 

Daniel Jositsch: Ich betrachte das nicht unbedingt als Professor, sondern als Sicherheitspolitiker. In einem Rechtsstaat wie der Schweiz gibt es null Legitimation für illegale Aktionen. Zudem finde ich die Forderung, jeglichen Kontakt mit israelischen Universitäten abzubrechen, bestürzend. Als hätten Forscherinnen und Forscher eine Verantwortung für die Politik! Und dann die Einseitigkeit: Wie kann man das Ende des Gaza-Kriegs fordern, ohne ein Wort über die Hamas-Gräuel und die israelischen Geiseln zu verlieren? Ausserdem ist das Ganze einfach aus den USA und Frankreich kopiert. Alles andere als originell.

Universitäten sind Orte des gesellschaftlichen Diskurses. Auch die 68er haben Unis besetzt. Inwiefern unterscheidet sich das? 

1968 habe ich nur im Nachgang erlebt. Aber ich meinte, die politischen Forderungen wurden damals mit wesentlich mehr Substanz geführt. Insofern bin ich auch ein Stück weit enttäuscht über die fehlende inhaltliche Substanz der aktuellen Proteste.

Als Strafrechtler und Politiker haben Sie mit dem Recht zu tun. Woher stammt Ihre Faszination dafür? Wollten Sie schon früh Jurist werden? 

Recht früh. Ich würde mal sagen, so mit zwölf Jahren.

Hat es ein Vorbild in der Familie gegeben? 

Nein, nein. Recht und Unrecht, der Einsatz für Gerechtigkeit: Das fand ich faszinierend. Es war die Zeit der Stammheim-Prozesse und Otto Schily, der spätere deutsche Innenminister, hat mich beeindruckt. Ein Mann, der Terroristen verteidigte und sich gleichzeitig von ihnen abgrenzte.

Darum dann auch die Spezialisierung aufs Strafrecht? 

Noch nicht mit zwölf Jahren! Das hatte später eher damit zu tun, dass ich einen sehr guten Strafrechtsprofessor hatte. Strafrecht ist der Ort, an dem man quasi mitten in menschlichen Tragödien steht, ohne selbst betroffen zu sein. Es hat etwas Urmenschliches.

Spielt dieser Gedanken ans Urmenschliche auch mit, wenn Sie im Ständerat Gesetze machen und beispielsweise das Strafrecht verschärfen? 

Ich versuche im Parlament meistens, eher zu verhindern, dass neues Strafrecht gemacht wird. Wenn ich in der Praxis etwas gelernt habe, dann, dass man mit Strafrecht die Welt nicht ändern kann. Es ist wie in der Kindererziehung. Es braucht einen Moment, in dem Sie sagen müssen: Jetzt gibt es eins auf die Finger. Aber nur mit Strafen erzieht man Kinder nicht. Doch auch im Parlament machen wir immer wieder den Fehler, zu sagen: Jetzt haben wir eine Strafnorm gemacht, jetzt ist es gut. Aber das ist es nicht.

Haben Sie ein Beispiel dafür? 

Ganz extrem war die Diskussion über das neue Sexualstrafrecht. Ja heisst Ja, Nein heisst Nein – deswegen gibt es keine einzige Vergewaltigung weniger. Ich habe versucht, das den fast schon militanten Kämpferinnen, auch in meiner Partei, zu erklären. Umsonst.

Derzeit diskutiert das Parlament, dass Mord nicht mehr verjähren soll. Ihre Partei will, dass Mord weiterhin verjährt.  

Im Gegensatz zu mir. Ich halte das für vollkommen falsch.

Warum? 

Stellen Sie sich das einmal praktisch vor: Ein Kind wird ermordet, nach 30 Jahren verjährt die Tat. Nach 31 Jahren kommt einer und gesteht: Ich war es. Haben Sie im Ernst das Gefühl, die Eltern sagen: «Ja, gut, eine Bestrafung bringt ja jetzt auch nichts mehr.»? Für gewisse Delikte, wie Mord, sollte es keine Verjährung geben, weil die Gesellschaft sie gefühlsmässig nicht verjähren lässt. Und seien wir mal ehrlich: Es muss nur einen solchen Fall geben und das Parlament würde schlagartig die Unverjährbarkeit einführen. Alles andere gäbe dann Protestwellen, die Sie sich gar nicht ausmalen können. Darum finde ich: Dann können wir es auch jetzt einführen.

Sie meinen, das Parlament reagiere vor allem auf öffentlichen Druck?  

Ja. Dann will jeder der Erste sein. Das ist, was mich am meisten erschüttert in meiner Zeit im Parlament. Kaum findet man irgendwo im Jemen ein Stück Munition «Made in Switzerland», rennen viele Parlamentarier los und schreien, das ginge so nicht, wir müssen unbedingt den Export von Waffen verbieten. Ein paar Jahre später kommen die gleichen Leute und fordern, man müsse trotz der Neutralität der Schweiz den Re-Export von Waffen in die Ukraine erlauben.

Wegen des öffentlichen Drucks. 

Ja. Aber ich erwarte von einem Parlamentarier, dass er einem gewissen öffentlichen Druck standhalten kann. Sich ein wenig überlegt, in welche Richtung es jetzt gehen soll, und diesen Kurs dann auch hält. Nehmen Sie die Diskussion über die Neutralität. Hätte ich vor drei Jahren gesagt, man müsse mal über die Neutralität nachdenken – ich wäre geteert und gefedert worden. Heute, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, finden viele die Neutralität ein bisschen unangenehm.

Ist die Schweiz, ist der Bundesrat in der Frage der Ukraine zu weit gegangen? 

Man kann Stellung beziehen, aber man kann auf unterschiedliche Weise tun. Ich glaube, in diesem Fall war die Landesregierung etwas zu aktiv, vor allem bei den Sanktionen.

Hätten wir die EU-Sanktionen nicht übernehmen sollen?  

Im Prinzip müssten wir, wenn überhaupt, nur die Uno-Sanktionen übernehmen. Ich glaube, was die Schweiz jetzt macht mit dieser Friedenskonferenz, das ist hervorragend. Es ist vielleicht der erste Schritt zum Frieden. Aber ich bin der felsenfesten Überzeugung, die Chancen, dass Russland in irgendeiner Form teilnimmt, wären wesentlich grösser, wenn die Schweiz sich wirklich neutral verhalten hätte. Das ist schade.

In grossen Teilen der Bevölkerung wäre eine derart neutrale Haltung nicht verstanden worden. Im März 2022 demonstrierten Menschen auf dem Bundesplatz deswegen. 

Dass die Bevölkerung situativer entscheidet und sich von den Medien beeinflussen lässt: Dafür habe ich Verständnis. Aber dass das Parlament das macht, finde ich schlicht falsch. Als Parlamentarier müssen Sie Druck aushalten, sonst sind Sie für diesen Job nicht geeignet.

Wir sprechen, merke ich gerade, über Populismus. Wittern Sie diesen noch in einem anderen Politikbereich? 

Ja, bei Europa. Das Verteufeln des Europäischen Gerichtshofs, das Schlechtreden von Verträgen, die noch gar nicht existieren – das finde ich populistisch. Ich war schon 2018 sehr enttäuscht, wie man den Rahmenvertrag begraben hat.

Empfinden Sie das Verhalten der Gewerkschaften heute als populistisch? 

Ich finde es falsch, wie die Gewerkschaften sich aktuell bezüglich der Verhandlungen mit der EU verhalten.

Na ja, die Gewerkschaften versuchen, möglichst viel rauszuholen. Und sie können das, weil sie wissen, dass eine Einigung mit Europa ohne sie nicht möglich ist. 

Schauen Sie, die Frage ist, ob man in diesem Staat Verantwortung übernimmt. Ich hätte grundsätzlich kein Problem mit der Position der Gewerkschaften. Das Problem ist, dass die SP-Führung sich die Position der Gewerkschaften bisher zu eigen machte. Aber wir sind nicht einfach der politische, parlamentarische Arm der Gewerkschaft. Als Nicht-SVP-Bundesratspartei hat man im Gegenteil eine Verantwortung, die Europa-Frage möglichst wohlwollend zu begleiten.

Die letzte SP-Führung unter Christian Levrat war sehr gewerkschaftsnah. Haben Sie Hoffnung, dass Mattea Meyer und Cedric Wermuth in der Europa-Frage eher einlenken? 

Nein, ich glaube es nicht. Wir werden sehen. Man darf den Optimismus nicht verlieren.

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