Was die Romands letztes Jahr alles über sich ergehen lassen mussten! Sie könnten das Feiern nicht lassen, würden zu gerne Küsschen verteilen und sowieso, Eigenverantwortung sei noch nie ihre Stärke gewesen. Kein Wunder also – so der Tenor in der Deutschschweiz – verbreite sich das Virus in der Romandie derart schnell.
Heute ist die Situation ganz anders als im Herbst 2020. Die fünfte Welle trifft die Deutschschweiz deutlich stärker als die Romandie.
Romands mahnen Deutschschweizer
Mehrere Westschweizer Politiker rufen deshalb die Situation im vergangenen Jahr in Erinnerung. Der Walliser Gesundheitsdirektor Mathias Reynard (34, SP) sagt: «Damals waren wir im Wallis stark betroffen. Wir mussten Kinos, Fitnesscenter und Restaurants schliessen, um die Situation in den Griff zu bekommen.» Heute sei die Situation umgekehrt. «Die Kantone in der Zentral- und Ostschweiz sind im Moment deutlich stärker betroffen als wir und müssen dementsprechend Massnahmen ergreifen.»
Auch der jurassische Gesundheitsdirektor Jacques Gerber (48, FDP) sieht die Deutschschweizer Kantone in der Pflicht. In der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens RTS sagte er: «Ich glaube, die Verantwortung zu handeln liegt jetzt vor allem bei jenen Kantonen mit hohen Fallzahlen.»
Mini-Lockdowns in der Romandie
Am 21. Oktober 2020 schloss die Walliser Regierung Kinos, Theater und Fitnesscenter, um auf die rasant steigenden Ansteckungszahlen zu reagieren. Zweieinhalb Wochen später mussten die Restaurants schliessen. Andere Westschweizer Kantone wie Neuenburg, Genf, Jura und Freiburg zogen nach und verhängten ebenfalls regionale Mini-Lockdowns.
Ein solch rigoroses Durchgreifen sucht man in den besonders stark betroffenen Kantonen in der Deutschschweiz heute vergeblich. Nachdem der Bundesrat die Kantone am Mittwoch zum Handeln aufgerufen hatte, sagte der Thurgauer Gesundheitsvorsteher Urs Martin (42, SVP) zu Radio SRF, strengere Massnahmen seien aus seiner Sicht noch nicht nötig. Sein St. Galler Kollege Bruno Damann (64, Mitte) meinte, man sei zwar nahe dran, Massnahmen zu ergreifen. «Im Augenblick haben wir aber das Gefühl, dass wir noch zuwarten können.»
Kantone fordern Bund zum Handeln auf
Stattdessen haben die kantonalen Gesundheitsdirektoren den Bundesrat am Donnerstag dazu aufgerufen, jene Massnahmen zu ergreifen, die zur Bewältigung der schweizweit problematischen Lage notwendig seien. In Frage kämen etwa vermehrtes Homeoffice, Kapazitätsbeschränkungen oder eine Ausweitung der Maskenpflicht in Innenräumen.
Die Kantone ihrerseits könnten die Massnahmen an Schulen verstärken oder die Zertifikatspflicht auf weitere Bereiche wie Spitäler oder Altersheime ausweiten. Diese minimalen Eingriffe haben einige Kantone wie Freiburg, Obwalden und beide Basel jüngst getätigt.
Das Wallis, viel weniger betroffen als Zentral- und Ostschweiz, sorgt bereits vor. Künftig gilt im Kanton eine Zertifikatspflicht in Heimen und Spitälern, und in den Schulen sollen wöchentlich Tests stattfinden. Gesundheitsdirektor Reynard sagt – auch mit Blick auf die Restschweiz: «Wir haben die Lage zurzeit unter Kontrolle, und dennoch haben wir Massnahmen beschlossen.» Genf geht gar weiter als die Deutschschweiz und verhängt eine Maskenpflicht in allen Innenräumen.
Lockdown vor Weihnachten
Als die Westschweizer Kantone vor einem Jahr in die Mini-Lockdowns gingen, sanken die Fallzahlen rasch. Im Wallis halbierten sie sich innert zehn Tagen von 800 auf 400 Fälle im Wochenschnitt. Die Westschweiz hatte das Virus bald besser im Griff als die Deutschschweiz.
Schweizweit allerdings spitzte sich die Situation zu, sodass sich der Bund Mitte Dezember gezwungen sah, Veranstaltungen zu verbieten und Restaurants, Bars, Museen und Fitnesscentern eine Sperrstunde ab 19 Uhr aufzuerlegen. Kurz vor Weihnachten mussten sie dann ganz in den Lockdown. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es dieses Jahr ähnlich kommt.