«Was sind das für Clochard-Schuhe?!» Die Reaktion auf ein Foto von Ignazio Cassis (60), der auf Staatsbesuch in Niger ist und staubige Schuhe trägt, ist eindeutig. Michel Jeanneret, Chefredaktor von Blick Romandie, hängt zwar an seiner Schafsfellweste, legt aber Wert auf das Protokoll und den guten Ruf der Schweizer Staatsoberhäupter. Und da stellt sich die Frage: Sollte ein Bundespräsident so etwas tragen?
Zunächst ein Blick auf das Bild. Am 9. Februar um 14.42 Uhr erschien der Bundespräsident mit einer fleckigen Hose auf Kniehöhe auf einem Foto neben dem Sultan von Aïr zu seiner Rechten und Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35) zu seiner Linken. Das Bild wurde am dritten und letzten Tag seines Niger-Besuches auf dem Twitter-Account des Aussenministers veröffentlicht.
«Macron hätte bessere Schuhe gehabt»
Der Blick fällt auf die Füsse. Sind diese Schuhe ein Fashion Fauxpas oder nicht? Für den Genfer Staatsrat Antonio Hodgers (46), der die Krawatte auch erst 2013 bei seinem Amtsantritt «entdeckte», stellt sich die Frage anders. «Was auf den ersten Blick auffällt, ist, dass Ignazio Cassis leger gekleidet ist, während der Sultan zu seiner Rechten Kleidung trägt, die die Würde seines Amtes deutlich hervorhebt.»
Und dieser Kontext sei wichtig: «Wenn der Bundespräsident auf einer Strasse fotografiert worden wäre, wie er mit diesen Schuhen zu Kindern spricht, hätte niemand gezuckt.» Der ehemalige Genfer Nationalrat betont die «Schwäche des Protokolls des Bundes»: «Der Stab von Präsident Macron zum Beispiel hätte sicherlich ein Paar passendere Schuhe zur Hand gehabt, die sie ihm für diesen feierlichen Moment hätten zur Verfügung stellen können – zumal wenn man weiss, dass ein Foto gemacht wird.»
Schuhe eines «Grossonkels»
Auch Stéphane Bonvin, ein ehemaliger Modejournalist, kann sich eine kleine Stichelei nicht verkneifen. «Er trägt Schuhe, die unser Grossonkel anzieht, um zum Coop zu gehen, wenn er im Chalet ist, Schuhe, für die er sich ein bisschen schämt.» Über den Rest des Outfits des Tessiners urteilt er weniger scharf. «Es ist der Anzug à la Macron, eng genug, um zu zeigen, dass man keinen Bauch hat, eine ziemlich schmale Hose, die man vor 15 Jahren cool fand, und ein weisses Hemd, das Werkzeug des guten Politikers, das sich leicht aufknöpfen lässt, wenn der Dresscode lässiger wird.»
Für den ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur von «Le Matin» hat Cassis aber keinen Fauxpas begangen: «Ich finde Ignazio Cassis sehr passend. Wie ich es verstehe, wurde das Foto in einem Moment eines Ausflugs aufgenommen. Um ihn herum, auch auf den anderen Bildern, sind auch die Schuhe der anderen ein wenig schmutzig. Sie müssen kurz zuvor durch Staub gelaufen sein. Und in dieser Situation, mit Schuhen für 1000 Dollar, hätte er wie ein Amerikaner ausgesehen, der mit einem SUV vorfährt, um drei Stück Brot zu verteilen und dann wieder wegzufahren!»
Ein «normaler» Präsident
Und was ist mit dem Fleck auf seiner Hose? «Das schadet seinem Amt nicht. Es ist ja nicht so, dass er morgens einfach so aufgetaucht ist. Das ist ein Beweis dafür, dass er wirklich vor Ort war. Für einmal zeigt er, dass er im richtigen Leben steht, sympathisch ist und zuhört.» Antonio Hodgers stimmt ihm in diesem Punkt zu: «Das ist das Gegenteil des Treffens zwischen Macron und Putin, das so weit von der Realität des Volkes entfernt war, dass es fast unwirklich und nicht von dieser Welt ist. Hier zeigt der Bundespräsident, dass er ein normaler Mensch ist, der den Menschen nahesteht. Das muss man ihm hoch anrechnen.»
Auch Damien Cottier (46) sieht das Problem nicht. Und er kennt sich aus. Bevor er FDP-Nationalrat wurde, ist er als persönlicher Mitarbeiter viel an der Seite von Cassis' Vorgänger Didier Burkhalter (61) gereist.
«Ich habe den Twitter-Feed von Ignazio Cassis durchgesehen. Alles scheint mir normal: Bei offiziellen Anlässen in der Hauptstadt Niamey hat er sich herausgeputzt, in einem klassischen Diplomatenanzug. Das Foto, über das wir heute sprechen, wurde an einem anderen Tag während eines Ausflugs aufgenommen.» Er fährt fort: «Die halb-formelle Kleidung ist üblich. Und im Feld ist es besser, gute Schuhe zu tragen, damit man nicht ausrutscht.»
Unmöglich, sich nicht schmutzig zu machen
Wenn er diese Bilder sehe, habe er nicht den Eindruck, dass es sich um einen sehr protokollarischen Moment gehandelt habe. «Es ist eher ein rein symbolischer Höflichkeitsbesuch bei einem Sultan, der, soweit ich das beurteilen kann, eine symbolische Macht und eine traditionelle Rolle hat, aber keine politische Funktion.»
Was sagt das Protokoll? «Es wird zwischen der Abteilung, der Botschaft und dem Protokolldienst des Gastgeberlandes vereinbart. Anschliessend wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein detailliertes Programm mit Kleidungsvorschriften zugeschickt. Es ist wichtig, dass sich alle auf dem gleichen Niveau befinden, damit sich niemand unwohl fühlt.»
Das bestätigt auch die höchste Schweizerin Irène Kälin, die Cassis begleitet hat. «Wir hatten den ganzen Tag in der Wüstenregion von Agadez verbracht, um uns humanitäre Projekte anzusehen, die vom Bund finanziert werden», sagt die Nationalratspräsidentin. «Kurz vor diesem Foto besuchten wir die berühmte Moschee von Agadez. Es ist ein sehr altes Gebäude aus Lehm und das Minarett ist sehr schmal. Es war unmöglich, sich nicht schmutzig zu machen. Das Protokoll wurde genau eingehalten.»