Bundesverwaltung in der Kritik
Jetzt sind Beamte die Bösen

Zu faul, zu teuer, zu zahlreich – plötzlich ist der Verwaltungsangestellte in der Schweiz der neue Bösewicht. Die Regierung Trump legte den Boden dafür. Doch das Feindbild «Beamter» ist älter als der Schweizer Bundesstaat. Eine Betrachtung.
Publiziert: 02.03.2025 um 17:22 Uhr
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In der letzten Zeit nehmen die Angriffe auf Verwaltungsangestellte zu. Hier: Einblick in die Bundesverwaltung von 1949.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Die Kritik an der Verwaltung und ihren Angestellten nimmt zu
  • Die Bundesverwaltung wächst, Treiber sind Gesellschaftsphänomene
  • In der Schweiz hat das negative Bild des Beamten mit unserer Geschichte zu tun
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Kommt ein Beamter in die Tierhandlung und sagt: «Tut mir leid, ich muss den Goldfisch zurückgeben. Der brachte so viel Hektik ins Büro.» Das Internet ist voll mit solchen Witzen. Das Bild immer etwa ähnlich: Der blasse Staatsbeamte im grauen Anzug, der in einem noch blasseren Bürobau zwischen Aktenordnern verschanzt bei mässigem Kaffee Papier prüft und abstempelt. Gemächlich, natürlich. Faul ist er, nur auf Dienst nach Vorschrift und einen pünktlichen Feierabend bedacht – über kaum eine Angestelltengruppe gibt es mehr Vorurteile. Seit kurzem haben sie handfeste Folgen. Sie kosten Jobs.

Blick ins Drucksachenbüro der Schweizerischen Bundeskanzlei, 1955.
Foto: Keystone

In Argentinien holzt der selbsternannte Kettensägenreformer Javier Milei (54) den Staatsapparat ab. In den USA haben der Tech-Milliardär Elon Musk (53) und seine Abteilung für Regierungseffizienz (Doge) seit dem Amtsantritt von Donald Trump (78) im Eilverfahren Tausende Verwaltungsangestellte auf die Strasse gestellt. Die Leute wurden so schnell aus den Bürotürmen gejagt, dass sie knapp noch ihren Tschopen überziehen konnten. Der Hass ist gross. Daraus macht man keinen Hehl. Haushaltschef Russell Vought (48), der Trumps Sparpläne umsetzt, sagte laut dem US-Magazin «The Atlantic»: Wenn die Bürokraten morgens aufwachen, wolle man erreichen, dass sie nicht zur Arbeit gehen wollen, weil sie zunehmend als die Bösewichte angesehen werden würden. «Wir wollen sie in ein Trauma versetzen.»

Der Ton ist gesetzt. Der Staatsdiener ist neu der Staatsfeind. Der Beamte am Schreibtisch eine Art Dr. No aus «James Bond», der machthungrig mit der Stahlklaue an roten Atomknöpfen herumfingert. Wer jetzt denkt, alles weit weg, irrt sich. Ganz nah sind die USA uns plötzlich. Ende letzten Jahres, als klar war, was Musk und Doge mit der US-Verwaltung vorhaben, gingen hierzulande vor allem bürgerliche Politiker in die Offensive: Sie überschütteten Musk mit Lob und Liebe. Und hiesige Verwaltungen mit Kritik. 

Elon Musk und Javier Milei vor einer Woche an einem Event.
Foto: Jose Luis Magana

Neues Vorbild: der Kettensägenreformer

«Mehr Elon Musk», kündigte die SVP im November ihr Positionspapier an. Der Duktus: Beamtenlöhne – viel zu hoch! Einfrieren soll man sie. Die Schweiz sollte «in die USA schauen und geeignete Massnahmen der neuen Regierung übernehmen», sagte deren Chef Marcel Dettling (44) dazu. Ähnlich klang sein Nationalratskollege Gregor Rutz (52) in der «NZZ», als er über Zürich sprach: «Die Verwaltung wächst viel zu stark.» Musk und Doge – «das ist eine hervorragende Idee. Was Trump und Musk vorhaben, ist spannend». SVP-Nationalrat Mike Egger (32) machte daraufhin Ernst und forderte medienwirksam eine ausserparlamentarische Kommission nach dem Vorbild von Musks Doge.

Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner (53) nahm die Idee in der Wintersession mit ins Bundeshaus in die Fragestunde. Die FDP meldete sich mit einer reisserisch formulierten Medienmitteilung: «Der Speck muss weg.» Ihr Problem: der «aufgeblähte Staat». Doch der Höhepunkt war die Aktion des Liberalen Instituts im Januar. Es verlieh dem argentinischen Kettensägenmann Milei einen Preis für seine «internationale Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des ausufernden Staats». Unter den geladenen Gästen: AfD-Parteichefin Alice Weidel (46). Und FDP-Ständeratspräsident Andrea Caroni (44), der danach stolz ein Selfie postete: grinsend, Schulter an Schulter mit Milei.

Post von FDP-Parlamentarier Andrea Caroni.

Plötzlich wimmelt es in der hiesigen Politik von Fanboys der mächtigen Männer, die jetzt mit harter Pranke in den Staatsapparat greifen. Plötzlich ist man sich einig: Das grösste Problem ist die Verwaltung. Zu viele Bürokraten, zu hohe Löhne, zu ineffizient. Doch was ist da überhaupt dran? Ist die Verwaltung so schlecht, wie man sie nun macht? Und woher kommt dieses Feindbild? So viel vorab: Es ist alt. Und deshalb wirkmächtig. Und die aktuellen Angriffe hinterlassen bei den Verwaltungsangestellten Spuren. Verunsichern sie teilweise, wie zwei von ihnen SonntagsBlick gesagt haben. Und wie der Personalverband des Bundes bestätigt.

Zwei Bundesverwaltungsangestellte erzählen

Die Bundesverwaltung steht politisch unter Druck. Mit ihr auch ihre Angestellten. Zwei von ihnen erzählen anonym, wie sie das wahrnehmen.

Eine Angestellte des Bundesamts für Statistik:

«Die Angriffe von Politikerinnen und Politikern auf die Bundesverwaltung verunsichern mich sehr. Schliesslich hängt meine berufliche Zukunft davon ab. Und gerade der Blick auf die USA verunsichert noch zusätzlich. Auch vermitteln die Angriffe den Eindruck, dass unsere Arbeit nicht geschätzt wird. Dies empfinde ich als besonders frustrierend, da ich meine Arbeit sehr gerne und mit grossem Einsatz mache und ich meine Arbeit auch als wichtig erachte. Früher habe ich in der Privatwirtschaft gearbeitet, da hatte ich weniger Stress und musste weniger Wochenstunden arbeiten. Trotzdem ziehe ich meine jetzige Arbeit vor, da sie sinnvoll ist und ich gerne für die Bevölkerung arbeite.»

Ein Angestellter des Bundesamts für Umwelt:

«Ich arbeite gerne beim Bund. Mir ist es ein Anliegen, mit meiner Arbeit für die Gesellschaft einen Beitrag leisten zu können. Ich erlebe die Angriffe als sehr politisch und frustrierend. Dass der Bund wächst, ist vor allem die Folge der neuen Aufgaben, über die das Parlament entscheidet. Jeder Brief eines Bürgers an einen Bundesrat, jede Anfrage einer Bürgerin an ein Bundesamt wird von der Bundesverwaltung rasch beantwortet. Diese wichtige Bürgernähe geht verloren, wenn wir immer weniger Ressourcen erhalten.»

Die Bundesverwaltung steht politisch unter Druck. Mit ihr auch ihre Angestellten. Zwei von ihnen erzählen anonym, wie sie das wahrnehmen.

Eine Angestellte des Bundesamts für Statistik:

«Die Angriffe von Politikerinnen und Politikern auf die Bundesverwaltung verunsichern mich sehr. Schliesslich hängt meine berufliche Zukunft davon ab. Und gerade der Blick auf die USA verunsichert noch zusätzlich. Auch vermitteln die Angriffe den Eindruck, dass unsere Arbeit nicht geschätzt wird. Dies empfinde ich als besonders frustrierend, da ich meine Arbeit sehr gerne und mit grossem Einsatz mache und ich meine Arbeit auch als wichtig erachte. Früher habe ich in der Privatwirtschaft gearbeitet, da hatte ich weniger Stress und musste weniger Wochenstunden arbeiten. Trotzdem ziehe ich meine jetzige Arbeit vor, da sie sinnvoll ist und ich gerne für die Bevölkerung arbeite.»

Ein Angestellter des Bundesamts für Umwelt:

«Ich arbeite gerne beim Bund. Mir ist es ein Anliegen, mit meiner Arbeit für die Gesellschaft einen Beitrag leisten zu können. Ich erlebe die Angriffe als sehr politisch und frustrierend. Dass der Bund wächst, ist vor allem die Folge der neuen Aufgaben, über die das Parlament entscheidet. Jeder Brief eines Bürgers an einen Bundesrat, jede Anfrage einer Bürgerin an ein Bundesamt wird von der Bundesverwaltung rasch beantwortet. Diese wichtige Bürgernähe geht verloren, wenn wir immer weniger Ressourcen erhalten.»

Anruf bei Adrian Ritz. Er leitet als Professor an der Universität Bern das Kompetenzzentrum für Public Management und stellt klar: Die Politik muss schauen, dass die Verwaltung nicht immer grösser wird. Dass sie effizient arbeitet. Und spart. «Das ist zuallererst ihre Aufgabe.» Doch, sagt er, die Kernverwaltung – also die Departemente und Ämter in Bundesbern – sei «im internationalen und nationalen Vergleich effizient». Er sagt: «Die Bundesverwaltung ist nicht das Problem.» Das Wachstum bei Kantons- und Gemeindeverwaltungen sei es. Doch auch dort nicht bei der Kernverwaltung, sondern jenes in Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Soziales – Heimen, Sozialämtern, Schulen. Treiber sind der demografische Wandel, Migration, Zuwanderung oder Überalterung. Sie lassen die Gesamtverwaltung in der Schweiz wachsen. Rund 1,5 Prozent jedes Jahr, etwas mehr als die Bevölkerung mit 1 Prozent.

Auch bei der Kritik an den Löhnen gibt es Fragezeichen. Eine Studie von Pricewaterhouse Coopers aus dem Jahr 2024, die das Parlament in Auftrag gegeben hat, hat sich diese angeschaut. Das Resultat: Im Tieflohnbereich – bei den Reinigungsleuten, den Logistikern – zahlt der Bund besser als die Privatwirtschaft. Im Mittelbau gleich gut bis besser. Deutlich schlechter hingegen bei Angestellten in Kaderfunktionen.

Man wundert sich also über Angriffe in den letzten Monaten. Und dann doch wieder nicht. Weil das alles fast so alt ist wie der Beamtenberuf selbst. Die Argumente werden von Generation zu Generation weitergetragen. Das wissen Historiker.

Beamtinnen des eidgenössischen Amts für Preiskontrolle in Bern, 1942.
Foto: Keystone

Beamtenkritik: Weil man die Monarchie hasste

Stefan Nellen ist Abteilungsleiter beim Schweizerischen Bundesarchiv und hat in Verwaltungsgeschichte promoviert. Er sagt: «Die Figur des Beamten ist in der Schweiz seit jeher negativ konnotiert.» Das hat mit deren Entstehung zu tun. Mit dem Absolutismus. Da kommt der Beamte her.

In Deutschland und Frankreich bauten Kaiser und Könige für ihre Dienste die Verwaltung auf. Die Beamten mussten deren Willen in konkrete Staatshandlungen umsetzen. Nur ihnen waren sie verpflichtet. Dafür ging das Prestige der Monarchen auf sie über, sie konnten sich wichtig fühlen. Doch das reichte einem nicht: dem französischen Ökonomen und Beamten Vincent de Gournay (1712–1758). Von ihm stammt der Begriff Bürokratie. Mitte des 18. Jahrhunderts schrieb er über die Herrschaft der «Bureaux», die Verwaltung als der Ort, wo die Schreibtischtäter regierten, die die freie Wirtschaft begrenzten. Seine Kritik an der Regulierungssucht im Absolutismus.

Die Skepsis gegenüber der Monarchie, die Bürokratiekritik – das schlug in der Schweiz durch. Liberalen war das ein Graus. Daher auch das Image, das sich laut Stefan Nellen früh abzeichnete: der träge und faule Beamte, der Schreibtischtäter, der viel Papier produziert und vor allem wenig erarbeitet, das sich nicht wie beim Bauern, Kaufmann oder Industriellen in Werte umsetzen lässt.

Historiker Nellen sagt: «Den Beamten als Kaste gab es bei uns nie.» Stattdessen die Vorstellung der Selbstverwaltung durch das Volk. Lange machten schreibkundige Bürger den Job, nach vier oder sechs Jahren mussten sie wiedergewählt werden. Ohne Pflicht, eine spezifische Hochschulausbildung zu absolvieren, wie etwa in Frankreich oder Deutschland. Überhaupt tauchte der Beamte in der Schweiz rechtlich erst spät auf. 1927 mit dem Beamtengesetz, in der Botschaft an das Parlament heisst es: «Das Volk wünscht Ordnung und Sicherheit; diesem Zwecke dient die Staatsverwaltung. Um ihre Beständigkeit zu sichern, vertraut es die Verwaltung nicht einer privatwirtschaftlichen Unternehmung, sondern Beamten an.» 2002 schaffte man ihn wieder ab, den Beamtenstatus.

Verschwörungsgeschichte Swiss Style

Was bleibt: Die Verwaltung soll unabhängig sein. Von den Launen der Politik. So zumindest das Ideal. Bei uns könnte kein Schweizer Musk einfach so ganze Ämter entvölkern. Das Recht und der erhöhte Kündigungsschutz setzen Grenzen. «Aus gutem Grund», sagt der Verwaltungsforscher Adrian Ritz. Der Staat brauche fachlich gute Verwaltungsangestellte, die ein Mindestmass an Arbeitsplatzsicherheit hätten. Und nicht ständig darauf achten müssten, was der regierenden Politik missfällt. Die Verwaltung soll ihren Job machen können: den politischen Auftrag umsetzen, damit gesellschaftliche Probleme effektiv gelöst werden. Möglichst professionell, objektiv und zum Wohle aller. Das ist die zentrale Rolle der Verwaltung in einer Demokratie, so Ritz.

Der Verwaltungsforscher: Adrian Ritz.
Foto: zvg

Unabhängig, objektiv – gewichtige Stimmen in der Schweiz säen nun Zweifel. Der Ton ist in letzter Zeit schärfer geworden. Vorletzte Woche sagte FDP-Präsident Thierry Burkart (49) in der «NZZ»: «Die stärkste Lobbyvereinigung ist heute die Verwaltung.» In der Bundesverwaltung in Bern komme es immer wieder vor, dass Staatsangestellte Vorstösse für die linken Parlamentsmitglieder formulierten – unabhängig davon, wer dem Departement vorstehe. Von einer «linken Maschinerie» spricht er, die die Linken kaschieren wollten. Was er nicht sagt: Bis mindestens in die Achtzigerjahre war laut dem Historischen Lexikon der Schweiz ein Drittel der Chefbeamten in der FDP, rund die Hälfte stand ihr nahe.

Burkart hat seine These nun platziert. Genau so wie Donald Trump und Elon Musk. Sie streuen ihre Verschwörungsgeschichte schon länger, die lautet: Hinter der Verwaltung gebe es einen sogenannten «Deep State». Einen geheimen Apparat von Beamten, die den Staat lenken und die Politik des Präsidenten sabotieren. Alle korrupt, diese Beamten.

Vor einer Woche: Demo in New York gegen den Staatsabbau.
Foto: imago/UPI Photo

Die Verwaltung in der Schweiz verfügt über eine gewisse Macht. Darüber ist man sich in der Wissenschaft einig. Die Verwaltung regt politische Prozesse an, gestaltet und entscheidet mit. Doch eine heimliche linke Maschinerie? Adrian Ritz winkt ab. Stattdessen gibt er zu bedenken: «Das pauschale ‹Government Bashing› schadet dem Vertrauen in die Institutionen.» Genau das sei bei Politikern wie Trump Programm. Pauschale Verwaltungskritik könne auch bei uns einen Keil zwischen Volk und Verwaltung treiben – obwohl diese seit der Gründung des Bundesstaats zentral für den gesellschaftlichen Fortschritt gewesen sei.

Trump und Musk haben ihr Werk erst begonnen. Das Thema wird aktuell bleiben. Auch in der Schweiz. Doch wo führt das hin? Wie viel Freude macht es künftig noch, bei einem Arbeitgeber zu sein, dessen Image im Keller ist? Schon heute hat das Personalamt beim Bund wegen des Fachkräftemangels Mühe, Stellen in der IT, im Medizinalbereich, Ingenieurwesen und in der Führung zu besetzen. Vielleicht verschärft sich das. Und vielleicht findet man irgendwann auch kaum noch Personal für den Bundesrat. Wie schon bei der Nachfolge von Bundesrätin Viola Amherd (62).

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