Die Traktandenliste für die letzte Bundesratssitzung vor den Sommerferien war lang. Corona noch immer das dominante Thema. Da war das vertrauliche Geschäft nur eine Randnotiz: Der einstige SVP-Bundesrat Christoph Blocher (79) wollte sein Ruhegehalt rückwirkend nun doch noch erhalten.
Der Bundesrat winkte den Antrag durch. Jetzt zeigen Recherchen: Bundeskanzler Walter Thurnherr (57, CVP) hatte die juristischen Gutachten, auf deren Grundlage der Gesamtbundesrat schliesslich entschied, schon aufgegleist, noch bevor Blocher überhaupt offiziell das Gesuch stellte. Offenbar war der Kanzler im Frühling vom einstigen SVP-Vordenker vorinformiert worden. Die von Thurnherr bestellten Gutachten sollten zeigen, ob der milliardenschwere Unternehmer Blocher einen Anspruch auf das Ruhegehalt hat, obwohl er 13 Jahre lang darauf verzichtet hatte.
Die Gutachten waren klar
Die Schlussfolgerung, die man aus den Gutachten ziehen kann, ist klar: Auf die knapp 2,8 Millionen Franken, die Blocher forderte, hat er keinen Anspruch. Professor Thomas Geiser befand gar, Blocher stehe rückwirkend überhaupt kein Geld zu. Dabei ging er aber von der Grundannahme aus, Blocher habe in der Vergangenheit explizit auf sein Ruhegehalt verzichtet – was so nicht stimmt. So war Geisers Gutachten laut verschiedenen Quellen für die Katz.
Das zweite Gutachten stammte von Professor Ueli Kieser. Er kam zum Schluss, dass Blochers Ansprüche nach fünf Jahren verjähren. Der alt Bundesrat hat folglich «nur» 1,12 Millionen Franken zugute. Auch das Bundesamt für Justiz, das später noch hinzugezogen wurde, ist dieser Ansicht. BLICK-Recherchen stützen einen entsprechenden Bericht des «Tages-Anzeigers».
Unverständlicher Entscheid
Weshalb Thurnherr dem Bundesrat dann doch zwei Varianten vorlegte, dazu nimmt die Bundeskanzlei keine Stellung. Die eine Variante sah vor, Blocher nur die 1,12 Millionen Franken auszuzahlen. Die zweite: Blocher soll alles bekommen, was er fordert – trotz Gutachten.
Bekanntlich entschied sich die Landesregierung für die 2,77-Millionen-Variante. Warum, versteht niemand. Denn wenn der Bundesrat sowieso nicht das macht, was ihm die Experten raten: Warum hat er dann auch noch Geld für mehrere Gutachten aufgeworfen?
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Beobachter sind sich uneins. Ein Grund dürfte sein: Die Magistraten haben wohl auch an sich selbst gedacht. Schliesslich können auch sie sich einmal über ein stattliches Ruhegehalt freuen. Auch Bundeskanzler Thurnherr.
Blocher sollte keine Opferrolle bekommen
Zudem hatten laut bundesratsnahen Kreisen alle Respekt, sich mit Blocher anzulegen. Es heisst, man habe verhindern wollen, dass dieser sich in die Opferrolle begeben und sagen konnte: «Schaut her – sie werfen das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster, aber mir geben sie das mir rechtlich Zustehende nicht.» Oder aber, man wollte den Ober-SVPler ins Messer laufen lassen. Denn es war klar, dass die Forderung Blochers in der Öffentlichkeit schlecht ankommt. Und tatsächlich: Selbst langjährige SVP-Wähler wandten sich, von Blocher enttäuscht, von der Partei ab.
Die Bundesräte drückten sich also. Viel lieber entschieden sie in Blochers Sinne – und reichten die heisse Kartoffel ans Parlament weiter. Soll doch die Finanzdelegation von National- und Ständerat (FinDel) sich mit Blocher streiten.
Nicht mal sein Einkommen wurde geprüft
Wie nonchalant der Bundesrat die Millionen für Blocher sprach, zeigt für mehrere Quellen schon der Umstand, dass er nicht einmal dessen Steuerdokumente sichtete. Die Regierung vertraute blind auf die Selbstdeklaration Blochers, in keinem der 13 Jahre seit seiner Abwahl so viel verdient zu haben, dass eine Rentenkürzung angezeigt wäre.
Kritik, das Ruhegehalt für Bundesräte sei nicht mehr zeitgemäss, wurde immer mal wieder laut, aus verschiedenen politischen Richtungen. Gerade auch aus Blochers SVP. Nun aber zeigt sich: Die beiden SVP-Bundesräte Ueli Maurer (69) und Guy Parmelin (60) sprachen sich für das grosszügige Ruhegehalt ihres eigenen Parteivordenkers aus Herrliberg ZH aus. Wenn der Staatssäckel für einen aus den eigenen Reihen geöffnet werden soll, ist somit selbst der sonst so sparsame Finanzminister Maurer für einmal grosszügig.
FinDel will die heisse Kartoffel nicht
Nun liegt der Ball bei der FinDel, die Ende August wieder zusammenkommt. Doch deren Mitglieder sind nicht mal sicher, ob sie zuständig sind. Oder im Klartext: Auch sie wollen die Kartoffel gar nicht erst anrühren.
Wenn die FinDel ihre Arbeit aber ernst nimmt, dürfte sie zum Schluss kommen, dass Blocher nicht die ganzen 2,77 Millionen Franken zustehen. Dann aber kann der alt Bundesrat dagegen vor Gericht ziehen. Ausgang offen.
Untersteht ein Bundesrat nicht dem Gesetz?
Vor dem Richter könnte das Ganze aber auch landen, wenn Blocher die 2,77 Millionen zugesprochen werden. Auch dann nämlich könnte sich einst ein Sozialversicherungsgericht mit der Causa befassen. Gemäss Obligationenrecht verfällt der Rentenanspruch nämlich generell nach fünf Jahren. Ob für Bundesräte einen Ausnahme gelten soll? Die Meinungen der Rechtsgelehrten dazu gehen auseinander.
Klar ist momentan nur: Dank Blocher und des Gesamtbundesrats sind die Ruhegehälter wieder auf der politischen Agenda und im Fokus der Öffentlichkeit. Gut möglich, dass der Herrliberger dem Ruhegehalt mit seiner rückwirkenden Forderung den Todesstoss versetzt hat.