Darum gehts
Es herrschte Klassenlager-Stimmung beim Apéro im Bundeshaus nach den Bundesratswahlen. Während die Welt um uns herum von geopolitischen Umbrüchen erschüttert wird – Trump eskaliert Handelskriege, Europa rüstet auf –, feiert sich die politische Schweiz in ihrer wohligen Stube.
Natürlich ist es ein gutes Zeichen, wenn schon die Wahl zwischen einem moderaten und einem etwas rechteren Mitte-Politiker für Aufregung sorgt. Die Schweiz kennt keinen Wahlkampf voller Gift und Galle wie Deutschland oder gar die USA. Bei uns reichen sich Gegner nicht nur die Hand – sie stossen sogar miteinander an.
Doch hier liegt das Problem: Wer sich zu wohl fühlt, übersieht die Gefahr.
Martin Pfisters Grenzen
Auf Martin Pfister (61) wartet «der härteste Polit-Job der Schweiz», wie wir beim Blick schrieben. Der Zuger übernimmt ein Krisendepartement: eine reformbedürftige und bald führungslose Armee, Chaos bei der Rüstungsbeschaffung, keine klare Verteidigungsstrategie – und eine Schweiz, die sicherheitspolitisch zwischen allen Stühlen sitzt.
Pfister bekommt keine Schonfrist, obwohl er neu im Bundesrat, neu in Bern ist. Doch selbst wenn er liefert, wird er allein nichts ausrichten. Sicherheitspolitik ist Aufgabe des Gesamtbundesrats. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – aber die Realität sieht anders aus.
Regierungskrise und vier Schlüsselfragen
Im Parlament fällt bereits das Wort «Regierungskrise». Dabei kennt das Schweizer Konkordanzsystem keine Koalitionen, die zerbrechen können. Das sorgt für Stabilität, hat aber einen Preis: Verantwortung wird so lange verwässert, bis sich niemand mehr zuständig fühlt.
Die Regierung muss den personellen Neustart im VBS nutzen, um endlich eine klare Sicherheitsstrategie zu erarbeiten. Vier Kernfragen sind ungelöst:
- Soll sich die Schweiz der Nato oder einem europäischen Sicherheitsbündnis annähern?
- Bleiben wir Trittbrettfahrer und hoffen, nicht vom beschleunigenden Rüstungszug Europas abgeworfen zu werden?
- Sollen wir weiterhin Waffen exportieren, aber ihre Weitergabe – etwa an die Ukraine – verbieten?
- Wofür und wie genau soll die Armee überhaupt aufrüsten?
Die Debatte dreht sich zu stark um den Anteil des Bruttoinlandprodukts (BIP) für Verteidigung; er soll von 0,7 auf 1 Prozent erhöht werden. Doch warum soll das Militärbudget am Wirtschaftswachstum hängen? Die Bedrohungslage ändert sich nicht mit der Konjunktur. Erst muss geklärt werden, was die Armee leisten soll – dann, was es kostet.
Die Widersprüche der Parteien
Auch die Parteien sind voller Widersprüche in ihrer Sicherheitspolitik.
Die SVP: Will eine starke, unabhängige Armee und lehnt internationale Kooperationen ab. Doch ohne Partner müsste die Schweiz auch alle Sicherheitssysteme selbst beschaffen, unterhalten – und zahlen.
Die SP: Laut Parteiprogramm soll die Armee immer noch abgeschafft werden. Realpolitisch stellt sie sich gegen Aufrüstung, fordert aber Kooperation mit Europa. Ohne eigene Investitionen bleibt das eine leere Forderung.
Die FDP: Will rasch und kräftig aufrüsten sowie mehr internationale Zusammenarbeit. Aber wie sollen die Milliarden-Investitionen finanziert werden, wenn Steuererhöhungen und Schuldenbremse tabu bleiben?
Die Mitte: Unterstützte Viola Amherds Kurs, scheiterte aber schon parteiintern an der Finanzierungsfrage. Die Idee, für Armee und Ukrainehilfe die Schuldenbremse zu lockern, wurde rasch versenkt.
Pfister, Bundesrat, Parlament – jetzt aber los!
Martin Pfister muss das VBS neu aufstellen, der Bundesrat endlich eine kohärente Sicherheitsstrategie liefern und die Parteien widerspruchsfreie Finanzierungspläne für ihre Verteidigungskonzepte vorlegen.
Die Zeitenwende zu erkennen, aber so zu tun, als betreffe sie uns nicht, ist keine Strategie. Die Schweiz ist eine Insel der Stabilität, aber kein Paralleluniversum. Sie kann sich nicht für immer in der gemütlichen Berner Apéro-Stube verschanzen.