Bundespräsidentin Amherd zu EU, Ukraine und Kirche
«Wir müssen einen Beitrag zur Sicherheit Europas leisten»

Viola Amherd kündigt Bewegung im EU-Dossier an. Ein Gespräch am Rande der Rom-Reise über den Missbrauch in der katholischen Kirche, die Ukraine-Friedenskonferenz – und die Zukunft Europas.
Publiziert: 05.05.2024 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 05.05.2024 um 08:07 Uhr
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Bundesrätin Viola Amherd war dieser Tage zu Besuch in Rom.
Foto: Agenzia Romano Siciliani
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Bundespräsidentin, Sie haben am Samstag Papst Franziskus getroffen. Wie war es?
Viola Amherd:
Ich hatte mit dem Papst einen interessanten Austausch in einer herzlichen Atmosphäre. Wir unterhielten uns insbesondere über den Krieg in der Ukraine und andere Krisenherde in der Welt.

Kommt der Papst zur Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock?
Wir haben den Heiligen Stuhl eingeladen. Der Vatikan ist gegenüber der Friedenskonferenz sehr positiv eingestellt.

Sie haben die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche angesprochen.
Ich habe dem Papst meine Besorgnis über die Fälle mitgeteilt. Aufarbeitung ist wichtig und als Schweiz erwarten wir Transparenz bei der Aufklärung. Die Kirche muss ihre Lehren daraus ziehen, Massnahmen beschliessen und diese dann auch umsetzen.

Historikerinnen der Uni Zürich wünschen vom Vatikan Akteneinsicht für ihre Missbrauchsstudie. Konnten Sie hierfür ein gutes Wort einlegen? Transparenz ist das Beste, wenn etwas aufgearbeitet werden muss. Aber das müssen die Eigentümer der Akten entscheiden.

Vor Jahren sagten Sie einmal, dass Sie an Weihnachten nicht mehr in die Kirche gehen. Hängt das damit zusammen, dass die katholische Kirche Frauen diskriminiert?
Ich gehe nach wie vor in den Gottesdienst, wenn auch nicht unbedingt in die Mitternachtsmesse. Man kann nicht eine ganze Institution bestrafen, weil es bei gewissen Themen nicht vorwärtsgeht. Es ist immer besser, wenn man dabei ist, als wenn man nicht dabei ist, wenn man mit etwas nicht einverstanden ist.

Finden Sie es nicht schade, dass Frauen in der Kirche nicht stärker zur Geltung kommen?
Natürlich finde ich das schade – das ist für mich unverständlich. Die Kirche müsste vom Potenzial der Frauen viel mehr profitieren. Ohne Frauen würde die Kirche sehr viele Leistungen nicht mehr erbringen können. Ihr Beitrag sollte auch anerkannt werden.

Viola Amherd

Bundesrätin Viola Amherd (61) steht seit 2019 dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Die Walliserin studierte Jura, arbeitete als Anwältin und Notarin und gehörte von 2005 bis 2018 dem Nationalrat an. Die Mitte-Politikerin ist ledig und wohnt in Bern und in Brig-Glis. Kulinarische Vorliebe: vegetarisch.

Marco Zanoni

Bundesrätin Viola Amherd (61) steht seit 2019 dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Die Walliserin studierte Jura, arbeitete als Anwältin und Notarin und gehörte von 2005 bis 2018 dem Nationalrat an. Die Mitte-Politikerin ist ledig und wohnt in Bern und in Brig-Glis. Kulinarische Vorliebe: vegetarisch.

Sie sind auch Sportministerin. Im Sport kommt es zu vielen Grenzüberschreitungen. Reicht das, was getan wird?
Nach den Missbrauchsfällen, die publik wurden, habe ich sofort reagiert. Kinder- und Jugendschutz ist für mich immer ein extrem wichtiges Thema. Wir haben eine fundierte Untersuchung, die international Aufsehen erregt hat. Zusammen mit dem Verband Swiss Olympic haben wir eine unabhängige Meldestelle aufgebaut, die gute Arbeit macht. Es gibt viele Meldungen, die eingehen. Das ist einerseits negativ, andererseits zeigt es, dass das Vertrauen in diese Stelle gegeben ist.

Sie sind seit Freitag in Rom. Mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni haben Sie über Migration gesprochen. Italien weigert sich, Flüchtlinge aus der Schweiz zurückzunehmen. Was konnten Sie erreichen?
Im Rahmen des zweiten Kohäsionsbeitrages zahlt die Schweiz an ausgewählte EU-Länder einen Betrag. Italien erhält von uns Geld im Migrationsbereich für die Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen. Der Vertrag liegt jetzt zur Unterschrift bereit. Wir hoffen, dass Italien nun Schritt für Schritt wieder die Dublin-Regeln einführt – auch gegenüber der Schweiz.

Lassen Sie uns über das EU-Dossier sprechen. Verliert sich Bundesbern im Kleinklein, statt eine positive Europa-Stimmung zu verbreiten?
Der Bundesrat muss sachlich und objektiv informieren, das machen wir, so gut es geht. Es gibt sicherlich immer Verbesserungspotenzial. Vor allem Wirtschaft, Bildung und Forschung müssten sich jetzt auch stärker engagieren.

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Wer könnte noch die Werbetrommel rühren?
Stabile Beziehungen zu Europa sind für kleine und mittlere Unternehmen sehr wichtig. Unternehmerinnen und Unternehmer können dies aufgrund ihrer Erfahrungen am besten glaubwürdig darlegen. Das ist auch viel glaubwürdiger, als wenn ein Politiker oder eine Politikerin etwas präsentiert.

Erhalten Sie bei den Verhandlungen mit Brüssel Rückenwind von Frau Meloni?
Mir wurde Unterstützung zugesagt. Auch Italien ist daran interessiert, dass es eine Lösung gibt. Und wenn notwendig, würde Italien auch Unterstützung geben.

Ausser der SVP galten die SP-Bundesräte Simonetta Sommaruga und Alain Berset als Bremser im EU-Dossier. Spüren Sie mit Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans einen «wind of change»?
Der Bundesrat hat schon in den letzten Jahren sehr hart gearbeitet, das ist nicht erst in diesem Jahr passiert. Diese Vorarbeit hat dazu geführt, dass wir das Verhandlungsmandat verabschieden konnten.

Am Montag empfängt der Europa-Ausschuss die Sozialpartner. Ihre Kollegen Ignazio Cassis, Beat Jans und Guy Parmelin bringen Gewerkschaften und Arbeitgeber an einen Tisch. Geht es nun endlich vorwärts?
Es ist wichtig, dass man zusammen spricht. Die schlechteste Lösung ist, wenn man vom Verhandlungstisch aufsteht.

Der Konflikt zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern wirkt festgefahren.
Ich bin überzeugt: Wenn die gemeinsamen Gespräche wieder laufen, können wir Lösungen finden.

Die Gewerkschaften sagen klar, was sie wollen. Von Arbeitgeberseite hört man wenig. Wissen Sie, was Economiesuisse und Co. wollen?
Die Wirtschaft hat grosses Interesse daran, dass es eine Lösung gibt. Ich erwarte von der Wirtschaft auch, dass sie das entsprechend kommuniziert.

Zwischen Albert Rösti und Beat Jans gab es einen hübschen Schlagabtausch. Umweltminister Rösti hat das Strassburger Klima-Urteil kritisiert; Justizminister Jans konterte mit dem Spruch, er wolle niemandem die Rösti versalzen. Wie nehmen Sie die Gruppendynamik im Bundesrat wahr?
In einer Gruppe von sieben gibt es immer eine Gruppendynamik, das ist klar. Ich habe mir für mein Präsidialjahr zum Ziel gesetzt, dass wir in der Sache hart diskutieren und respektvoll miteinander umgehen.

Kommen wir noch auf Ihr Departement zu sprechen. In Norditalien rosten 96 Panzer der Ruag vor sich hin. Warum machen Sie den Kauf nicht rückgängig und geben die Panzer an Italien zurück?
Im Moment läuft ein Gerichtsverfahren. Solange das läuft, können wir nichts unternehmen.

Eine deutsche Firma behauptet, 25 Panzer erworben zu haben. Was ist mit den anderen 71 Panzern?
Für die Panzer gibt es Kaufinteressenten – ein Verkauf wäre durchaus eine Option.

Aus welcher Staatengruppe?
Das sage ich nicht. Ein Verkauf kommt nur in Frage, wenn das Kriegsmaterialgesetz eingehalten wird.

Europa durchlebt eine Zeitenwende. War es im Bundesrat nie ein Thema, über Notrecht Waffen in die Ukraine zu liefern?
Notrecht war keine Diskussion. Notrecht darf man nur im Alleräussersten anwenden wie zum Beispiel während der Corona-Krise. Das Parlament diskutiert zurzeit eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes.

Die Schweiz darf der Ukraine keine Waffen liefern. Wäre es nicht solidarisch, keine Munition zu kaufen? So würde der Munitionsengpass leicht abgedämpft.
Als Schweiz müssen wir unsere Verteidigungsfähigkeit stärken. Wir dürfen kein «Loch im Donut» sein und müssen einen Beitrag zur Sicherheit Europas leisten. Deshalb werden wir unsere Rüstungsbeschaffung weiterführen.

Mitte-links plant einen 15-Milliarden-Deal: mehr Geld für die Armee und für die Entwicklungshilfe – an der Schuldenbremse vorbei. Was sagt Ihr politisches Bauchgefühl?
Für mich ist das schwierig zu beurteilen. Die Kommission des Ständerats hat es in der Mehrheit jetzt beschlossen. Als Nächstes wird die Motion im Plenum des Ständerats beraten.

Was würden Sie sich wünschen?
Ich habe leider keinen Wunsch frei.

Aber Sie können Ihre Meinung sagen.
Der Bundesrat hat das noch nicht behandelt. Und ich kann einem Bundesratsentscheid nicht vorgreifen.

Was gibts Neues in Sachen Kampfjets F35? Zuletzt war vom «Ferrari mit Fiat-Motor» die Rede. Die Schweiz erhält einen teuren F35 mit veralteten Turbinen.
Die Schweiz bekommt das beste Kampfflugzeug, das es zurzeit auf der Welt gibt. Die Diskussionen sind nicht nachvollziehbar. Wenn Sie einen Laptop kaufen, dann erhalten Sie im Jahr 2027 auch keinen Laptop mit dem Prozessor von 2029. Wenn man immer auf das neueste Modell warten würde, könnte man nie kaufen.

Im Juni lädt die Schweiz zur Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock. Sie haben schon vor Wochen gesagt, dass Sie positive Signale aus Brasilien, Indien, China und Südafrika erhalten haben. Gibt es bereits eine hochkarätige Zusage?
Wir haben die Einladungen erst diese Woche versendet. Ich bin zuversichtlich, dass es eine gute Beteiligung gibt.

Wie genau haben Sie die Friedenskonferenz aufgegleist? Sie waren in Davos und haben dann Ihre Bundesratskollegen überrumpelt?
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat das Thema bei unserem Treffen in Bern angesprochen und ich bin der Meinung, dass die Schweiz zur Unterstützung der Ukraine machen muss, was sie kann. Als neutrales Land ist Friedensförderung eine Kernkompetenz der Schweiz.

Wann wird die Bürgenstock-Konferenz ein Erfolg?
Eine breite, sehr gute Beteiligung wäre ein Erfolg. Es geht um die vier Themen Humanitäres, nukleare Sicherheit, freie Schifffahrt und Ernährungssicherheit. Wenn wir hier einen gemeinsamen Nenner finden, ist das schon etwas. Ein weiterer Erfolg wäre, wenn wir den Friedensprozess konkret angehen könnten. Wir müssen weiterdenken – auch an übermorgen.

Werden Sie den Gipfel eröffnen?
Ja, ich werde am Gipfel teilnehmen, zusammen mit Kollege Cassis.

Wie stark sitzt Ihnen Mitte-Präsident Gerhard Pfister im Nacken, der auch noch Bundesrat werden will?
Ich habe mit Herrn Pfister ein gutes Verhältnis. Wir arbeiten gut zusammen. Ich habe ihn nie gefragt, was er für Ambitionen hat.

Wie lange möchten Sie noch Bundesrätin sein?
Das kann ich Ihnen heute nicht sagen. Es gibt noch zahlreiche spannende Projekte im Departement, welche ich weiter vorantreiben will.

Heisst das: Bei der Frauen-EM nächstes Jahr in der Schweiz sind Sie als Bundesrätin dabei?
Ich sage weder Ja noch Nein. Ich werde das zum gegebenen Zeitpunkt entscheiden. Solange ich fit und gesund bin und Freude an der Arbeit habe, werde ich die Arbeit fortführen.

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