Der Kampf gegen Dschihadisten und deren Propaganda ist in der Schweiz oft unerforschtes Gebiet – zumindest juristisch gesehen. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» spricht Bundesanwalt Michael Lauber (50) heute über die Verfahren, mit denen er «Grundsatzentscheide» schaffen will.
Mit dem Urteil des Bundesstrafgerichts gegen drei Mitglieder einer Schaffhauser IS-Zelle von letzter Woche konnte die Bundesanwaltschaft den bisher grössten Erfolg im Kampf gegen Dschihadisten in der Schweiz verbuchen. Doch Lauber will ausloten, wie weit die geltenden Gesetze auch in anderen Fällen greifen.
IZRS-Vorstandsmitglied ist Propaganda-Testfall
Als Testfall wird jener von Naim Cherni (22) herhalten müssen. Der «Kulturverantwortliche» des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) reiste letztes Jahr nach Syrien und brachte zwei Filme zurück: Der eine, «Die wahrhaftige Morgendämmerung», zeigt Chernis Besuch in einem Teil Syriens, in dem die islamische Rechtsordnung gilt.
Der zweite Film ist ein Interview mit dem Topterroristen Abdallah al-Muhaysini. Er soll der Al-Nusra-Front angehören, dem syrischen Ableger der Al-Kaida, der gegen den «Islamischen Staat» kämpft.
Cherni traf al-Muhaysini in Idlib und hielt ohne kritische Gegenfragen dessen Gedankengut fest: «Wir sind gekommen, um die Fahne Allahs zu hissen. Und wir werden die Scharia durchsetzen, nicht Demokratie oder Säkularismus», sagt al-Muhaysini etwa im Interview, das auf dem YouTube-Konto des IZRS veröffentlicht wurde.
Ist das schon Propaganda – und ein Verstoss gegen das IS- und Al-Kaida-Verbot in der Schweiz? Im Dezember eröffnete Laubers Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen Cherni (BLICK berichtete).
«Hier brauchen wir einen Grundsatzentscheid der Gerichte», sagt Michael Lauber im Interview. «Wir wollen abklären, ob ein solches Video tatsächlich Propaganda im Sinne unseres Strafgesetzes ist. Diese Frage ist noch nicht geklärt.»
Abgefangener Dschihad-Reisender ist für Lauber ebenfalls ein «Leitfall»
Die rechtlichen Möglichkeiten will Lauber auch ein einem zweiten Fall ausloten. Ahmed J. wurde vor knapp einem Jahr verhaftet, als er über den Flughafen Zürich ausreisen wollte (BLICK berichtete). Sein Flug ging nach Istanbul, doch sein eigentliches Ziel war der «Islamische Staat», argumentiert die Bundesanwaltschaft.
Lauber bezeichnet den Fall von Ahmed J. nun als «einen ‹leading case›, einen Leitfall»: «Ihn haben wir nun wegen Unterstützung des IS beim Bundesstrafgericht in Bellinzona angeklagt», sagt Lauber im «Tages-Anzeiger».
«Mit anderen Worten: Wir wollen wissen, ob es für eine Verurteilung ausreicht, wenn sich jemand physisch an den Flughafen begibt – mit dem Ziel, ins Kampfgebiet zu reisen», sagt Lauber. «Wir sind der Meinung, es reicht.» (ads)