Fröhliche Musik, herzige Trickfiguren, lachende Kinder – und im Mittelpunkt ein Schoggiriegel. Schon seit Jahren versuchen die Behörden, sich mit den Lebensmittelkonzernen auf freiwillige Regeln für Süssigkeiten-Werbung zu einigen, die sich speziell an Kinder richtet. Doch die Einschränkungen, die die Branche selbst zu machen bereit ist, gehen dem Bund nicht weit genug.
Darum will er jetzt durchgreifen. Bald soll das Lebensmittelgesetz überarbeitet werden. In diesem Rahmen plant der Bund, auch Kinderwerbung zu regulieren. Und zwar Werbung für alle Produkte, die gemäss Ernährungs-Empfehlungen zu süss, zu fettig, zu salzig oder zu energiereich sind.
Nächstes Jahr wirds konkret
Die «SonntagsZeitung» hat im Frühling bereits über die Pläne berichtet. Inzwischen haben diese sich konkretisiert: Im ersten Halbjahr 2024 will das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen einen konkreten Vorschlag präsentieren. Zu diesem können sich dann alle interessierten Kreise äussern, bevor das Parlament über eine Verschärfung entscheidet.
Eine Studie zeigt, dass eine Regulierung für die Lebensmittelkonzerne drastische Konsequenzen haben könnte. Zumindest, wenn das im Gesetz festgeschrieben wird, wofür sich der Bund seit Jahren einsetzt. Er fordert, dass sich die Firmen bei der Kinderwerbung an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) halten.
80 Prozent der Werbung betroffen
Unter dem Namen Swiss Pledge haben sich die grossen Lebensmittelkonzerne 2010 dazu verpflichtet, keine Werbung für Süsses und andere ungesunden Produkte an Kinder unter 13 Jahren zu richten. Seit einigen Jahren gilt die Selbstverpflichtung auch für Werbung auf Social Media. Doch die Kriterien dafür, was als ungesund gilt, sind viel enger gefasst als die der WHO. Knapp 80 Prozent der Kinderwerbung wären unter der WHO-Regelung künftig nicht mehr erlaubt, so das Ergebnis der Untersuchung der Fachhochschule Arc Neuchâtel im Auftrag des Bundes.
Konsumentenschützerinnen kämpfen für gesetzliche Schranken. Kinder dürften nicht dauernd mit Anreizen für ungesunde Lebensmittel konfrontiert sein, findet Präsidentin und SP-Nationalrätin Nadine Masshardt (39). Sie verweist auf die jährlich hohen Gesundheitskosten, die Übergewicht und Fettleibigkeit verursachen. Der Bund ging 2012 von rund 8 Milliarden Franken aus.
Mit Social Media und Youtube habe das Problem nochmals eine neue Dimension angenommen, sagt Sophie Michaud Gigon (48), Waadtländer Grünen-Nationalrätin und Generalsekretärin beim Westschweizer Konsumentenverband FRC: «Wir verlieren die Kontrolle.» Die Selbstverpflichtung der Konzerne reiche nicht, weil einerseits zu wenig Firmen mitmachen würden und andererseits die selbstauferlegten Einschränkungen zu wenig weit gingen.
Branche kämpft dagegen
Swiss Pledge lehnt gesetzliche Werbeeinschränkungen ab. Die freiwillige Regulierung funktioniere, das würden Auswertungen zeigen. Zudem wehren sich die Unternehmen gegen die Übernahme der WHO-Empfehlungen, weil dann «nicht mehr der Schweizer Gesetzgeber, sondern internationale Organisationen entscheiden, welche Werbung zulässig ist».
Michaud Gigon lässt dieses Argument nicht gelten. Sich an den Empfehlungen der WHO zu orientieren, ergebe Sinn. Doch entscheiden tue das Parlament und nicht die Organisation. Auch in Deutschland ist derzeit eine Werbe-Regulierung geplant, die sich an den WHO-Leitlinien orientiert.